Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Das Rätsel der Zinsparität

Seit dem Ausbruch der Finanzkrise müssen Ökonomen und Teilnehmer an Finanzmärkten immer wieder Neues lernen und Altvertrautes in Frage stellen. Dies gilt auch für ein ehrwürdiges Monument der monetären Außenwirtschaftstheorie: die gedeckte Zinsparität.

Als Hyun Song Shin noch Professor an der amerikanischen Elite-Universität Princeton war, sagte er seinen Studenten: „Das einzige Prinzip, dem Sie im internationalen Finanzwesen vertrauen können, ist die gedeckte Zinsparität.“ Heute versucht Shin als Chefökonom der Bank für Internationalen Zahlungausgleich (BIZ) mit seinen Kollegen nach Gründen, warum die gedeckte Zinsparität seit der Finanzkrise außer Kraft gesetzt wirkt und altes Lehrbuchwissen plötzlich überholt erscheint.

Darum geht es: Nehmen wir als Beispiel an, die deutsche Förderbank KfW begebe zwei Anleihen mit einer identischen Laufzeit und einem identischen Betrag. Eine Anleihe wird in Dollar und eine Anleihe wird in Euro begeben. Diese beiden Anleihen müssen rein theoretisch eine identische Rendite besitzen, weil der Emittent und die Laufzeit identisch sind.

Hätte die Dollaranleihe eine höhere Rendite, würde kein Anleger die im Vergleich unattraktive Euroanleihe kaufen – jedenfalls, solange das Wechselkursrisiko durch Geschäfte am Devisenmarkt, darunter auch am Terminmarkt, beseitigt wird. Ein Beispiel: Ein deutscher Anleger, der eine Dollaranleihe kaufen und sich gegen ein Wechselkursrisiko absichern will, kauft Dollar mit sofortiger Lieferung am sogenannten Kassamarkt, um den Anleihekauf zu finanzieren. Gleichzeitig verkauft er seine Dollar am Terminmarkt. So hat er kein Wechselkursrisiko, wenn die Anleihe zurückgezahlt wird. Die Konditionen dieser Geschäfte sorgen in der Theorie für den Ausgleich der Renditen der beiden Anleihen. Das ist die gedeckte Zinsparität.

Es war immer bekannt, dass es in Krisenzeiten an den Finanzmärkten vorübergehend zu Abweichungen von der gedeckten Zinsparität kommen konnte. Ein Grund ist, dass die notwendigen Termingeschäfte am Devisenmarkt unterblieben, weil es Unsicherheit über die Bonität des Geschäftspartners gab – eine typische Begleiterscheinung schwerer Finanzkrisen. Auch kommt es immer wieder vor, dass in manchen Währungen die Umsätze am Terminmarkt nicht groß genug sind, um stets eine spannungsfreie Bildung von Wechselkursen zu ermöglichen. Das ist ein Grund, warum viele Investoren Anleihen auch in Währungen begeben, in denen sie eigentlich gar kein Geschäft haben.

So begeben die deutschen Förderbanken KfW und Landwirtschaftliche Rentenbank Anleihen auf australische Dollar, obgleich sie dort mit ihren Fördergeschäften gar nicht tätig sind. Immer wieder einmal erlaubt es der Wechselkurs, dort etwas günstiger Geld aufzunehmen als unmittelbar in Euro. In Anlehnung an die englische Bezeichnung Swap für die begleitenden Devisenmarktgeschäfte heißt es dann an den Märkten: „Ein Swap-Fenster ist aufgegangen.“ Nach früheren Erfahrungen schließen sich diese Fenster schnell wieder.

Aber von solchen Ausnahmen abgesehen, verhielten sich die Devisenkurse vor der jüngsten Finanzkrise in etwa so, dass die gedeckte Zinsparität im Großen und Ganzen galt. Das Problem ist: Seit der jüngsten Finanzkrise lassen sich langandauernde Abweichungen in früher unvorstellbaren Ausmaßen beobachten und dies auch in Währungen von Staaten wie Japan und der Schweiz. Irgend etwas scheint  aus den Fugen geraten.

Shin erklärt diese Entwicklungen mit einer Überforderung der durch die Krise oft geschwächten Banken vor allem dann, wenn der Dollar aufwertet. Dies gilt nicht zuletzt für europäische Banken, die vor der Finanzkrise eine erhebliche und seinerzeit kaum zur Kenntnis genommene Rolle im Markt für Dollaranlagen spielten und heute in diesem Markt kaum noch vertreten sind. (Ein interessanter Kommentar zu Shins Ausführungen stammt von IWF-Chefökonom Maurice Obstfeld.)

Der größte Teil der Geschäfte am Devisenmarkt findet unter Einschaltung der amerikanischen Währung statt. Wenn Anleger sich am Devisenmarkt gegen künftige Wechselkursschwankungen absichern wollen, brauchen sie einen Geschäftspartner, der das Wechselkursrisiko übernimmt. Das sind zumindest früher meist Banken gewesen, aber vor allem wenn der Dollar aufwertet und die Kreditaufnahme in amerikanischer Währung für ausländische Banken teurer wird, kann es am Devisenterminmarkt zu Verspannungen kommen, als deren Folge Abweichungen von der gedeckten Zinsparität auftreten.

Shins BIZ-Kollegen Claudio Borio, Robert McCauley, Patrick McGuire und Vladyslav Sushko gehen in mehreren Arbeiten (hier und hier) davon aus, dass es auch künftig in vermeintlich ruhigen Zeiten zu Verspannungen an Devisenmärkten mit dem Ergebnis bedeutender Abweichungen von der gedeckten Zinsparität kommen wird. Sie begründen dies mit einer tendenziell hohen, aber kurzfristig volatilen Nachfrage nach Absicherungen gegen Wechselkursrisiken am Devisen-Terminmarkt. Als Nachfrage solcher Absicherungen nennen sie neben Banken und langfristigen Vermögensverwaltern auch Unternehmen, die in Fremdwährung Anleihen begeben. Die durch eine expansive Geldpolitik begünstigen niedrigen Zinsen in den Industrienationen haben in der jüngeren Vergangenheit viele Unternehmen in Schwellenländern veranlasst, Anleihen in Dollar, Euro und Yen zu begeben. Viele dieser Unternehmen sichern sich am Devisenterminmarkt bereits den Wechselkurs, zu dem sie am Ende der Laufzeit ihre Anleihe tilgen können.

Dieser starken Nachfrage nach Absicherungen am Devisenterminmarkt stehen nach Ansicht der BIZ-Ökonomen  nicht immer Marktpartner in ausreichendem Maße entgegen, die bereit seien, die Risiken zu nehmen. Als wesentlichen Grund nennen sie die seit der Krise zunehmenden Kosten für Finanzhäuser, und hier in erster Linie Banken, eine große Bilanzsumme zu unterhalten. Die Frage ist, ob andere Marktteilnehmer die Rolle der Banken übernehmen können, denn diese Abweichungen von der gedeckten Zinsparität eröffnen prinzipiell Arbitragegewinne.

Nun ist bekannt – und die Arbeiten der BIZ-Ökonomen zielen auch darauf hinaus -, dass es Grenzen für Arbitrage gibt (der fundamentale Beitrag zu diesem Thema stammt von Shleifer/Vishny ). Aber vermutlich wären viele Ökonomen dennoch erstaunt, wenn es auf lange Sicht deutliche Abweichungen von der gedeckten Zinsparität geben sollte, denn eigentlich gelten an den Finanzmärkten gerade die Devisenmärkte als die am ehesten effizienten. Aber – man muss immer bereit sein, Neues zu lernen.