Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

“Flirt mit der Tragödie”

Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos debattieren Experten über Ergebnisse, Potentiale und Grenzen der Geldpolitik. Sie stellen eine bange Frage: Was geschieht in der nächsten Krise? Und wieso ist Mario Draghi der moderne Sisyphus?

Auf dem Podium befanden sich Thomas Jordan (Präsident der Schweizerischen Nationalbank), Paul Tucker (ehemals Vizegouverneur der Bank of England und heute an der Harvard University) sowie der als „Dr. Doom“ bekannte Ökonom Nouriel Roubini. Wir ordnen ihre Aussagen nach Themen.

–          Ausblick auf die nahe Zukunft

Jordan sieht angesichts eines zunehmenden Wirtschaftswachstums einen sehr langsamen Weg zu einer Normalisierung der Geldpolitik. Notwendig sei eine Anerkenntnis, dass die langfristigen Wachstumsmöglichkeiten einer Wirtschaft nicht von der Geldpolitik bestimmt werden. Tucker ist der Ansicht, dass die Entwicklung der Produktivität in den Vereinigten Staaten die wichtigste Nachricht für die Weltwirtschaft sein wird, denn davon würden angesichts einer bereits sehr hohen Beschäftigung die weiteren Wachstumsaussichten Amerikas abhängen. Auch Roubini sieht die amerikanische Geldpolitik auf dem Wege der Normalisierung, aber er will ein Alternativszenario nicht ausschließen: Da Donald Trump Wachstum in der amerikanischen Industrie schaffen will, kann er kein Interesse an einem starken Dollar haben. Daher hält es Roubini auch für denkbar, dass Trump geldpolitische „Tauben“ auf die freien Plätze in der Führung der Fed entsenden wird, die mit einer lockeren Geldpolitik den Dollar am Devisenmarkt schwächen. Diese Spekulation kursiert schon seit Wochen an den internationalen Finanzmärkten.

–          Grenzen der Geldpolitik

Jordan bezeichnet die Geldpolitik in der Finanzkrise als erfolgreich, allerdings hätten danach andere Politikbereiche die Geldpolitik alleine gelassen. Tucker drückt dies weitaus drastischer aus: Die Menschen seien zu Recht wütend auf die politischen Eliten, weil gewählte Politiker ihrer Verantwortung in den vergangenen Jahren nicht nachgekommen wären und die gesamte Verantwortung der Geldpolitik, also nicht gewählten Bürokraten, überlassen hätten. Tucker spricht von einem „Flirt mit der Tragödie“ und fordert die Geldpolitik auf, sich auf ihr Mandat zur Stabilisierung des Preisniveaus zu konzentrieren. Die Bank von Japan befinde sich mit ihrer Geldpolitik „im Vorhof der monetären Staatsfinanzierung“. Auch die Sicherung der Finanzstabilität sei eine Aufgabe von Regulierung und Aufsicht und keine Aufgabe der Geldpolitik. Forderungen aus der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) nach einem zusätzlichen Mandat der Zentralbanken in der Finanzstabilität bezeichnet Tucker als „empörend“, da dies eine Aufgabe für gewählte Politiker sei und gegen das Mandat einer Zentralbank verstoße: „Wenn dagegen die Menschen auf die Straße gingen, ginge ich mit.“ Tucker ist auch wütend über die Passivität von Regierungen, weil diese zu einer neuen Krise beitragen könne: „Wenn sie auf diese Weise mit der Wohlfahrt der Menschen spielen, werden dies die Menschen der Elite nicht verzeihen.“ Mit Blick auf die Zusammenarbeit von Regierungen und Zentralbank in der Eurozone bemerkt Tucker: „Mario Draghi ist der moderne Sisyphus.“

–          Negativzins

Keine Zentralbank führe gerne Negativzinsen ein, sagt Jordan, der für die Schweizerische Nationalbank aber auch konstatiert: „Es war das beste zur Verfügung stehende Instrument. Es war und es ist notwendig und es funktioniert.“ In der Schweiz beträgt der Zins minus 0,75 Prozent. Jordan gibt zu bedenken, dass nur der negative Nominalzins neu ist, während es auch in der Vergangenheit schon häufiger negative Realzinsen gegeben habe. Unternehmen und private Haushalte hätten wie erwartet auf den Negativzins reagiert. Besonders, wenn man lange Zeit Negativzinsen habe, litten manche Gruppen darunter, konzedierte Jordan, der aber keine Alternative sieht: „Wenn wir auf den Negativzins verzichten und der Franken am Devisenmarkt stark aufwertet, leiden die heute vom Negativzins betroffenen Gruppen auch.“ Roubini bezeichnet den Negativzins als ein „notwendiges Übel“, das aber funktioniere, weil eine Deflation vermieden worden sei. Roubini gibt aber einen Punkt zu bedenken, den auch Tucker erwähnt: Negativzinsen heute sind ein Zeichen, dass die Geldpolitik im Falle einer neuerlichen Krise kaum noch Handlungsspielraum besitze. „Sie werden in einer Krise keinen Leitzins von minus 5 Prozent einführen können“, sagt Roubini an die Adresse Jordans – der nicht widerspricht.