Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Ein Schwede gegen die Baseler Turmherren

Die verheerende Finanzkrise von 2008 wirkt bis heute nach. Ob Notenbanken mit präventiven Zinserhöhungen künftige Krisen verhindern sollen, ist umstritten. Nun ist mit der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ein wichtiger Debattenteilnehmer ins Zwielicht geraten.

 

Niemand will noch einmal Tage erleben wie nach dem Untergang von Lehman Brothers und der staatlichen Rettung der großen staatlichen Versicherung AIG im Herbst 2008, als selbst schlachtenerprobte Bankvorstände nicht wussten, ob das globale Finanzsystem einstürzen würde. Finanzkrisen, so zeigt die Erfahrung, sind überwiegend das Ergebnis durch niedriger Zinsen und lockerer Regulierungen befeuerter und durch großzügige Kreditvergabe getriebener Vermögenspreisblasen, nach deren Kollaps sinkende Vermögenspreise die Sicherheiten der Kredite verschwinden lassen und die faul werdenden Kredite die Stabilität des Finanzsystems bedrohen.

Wer künftige Krisen verhindern will, muss an den Ursachen ansetzen. Und da von vielen in Frage kommenden Ursachen zwei wohl dominieren, stehen sich in der Diskussion zwei Schulen gegenüber: Die eine Schule will die Geldpolitik einsetzen, um durch präventive Zinserhöhungen die Gefahr exzessiver Kreditvergabe zu bannen. Die andere Schule will durch eine stärkere Regulierung vor allem von Banken diese von einer exzessiven Kreditvergabe abhalten – man spricht hier von “makroprudentieller Politik”.

Die Debatte hat viele Facetten und, jedenfalls bis heute, keine eindeutigen Antworten. In den vergangenen Jahren hat vor allem eine Frage Streit erzeugt: Wie sind die Kosten und die Erträge präventiver Zinserhöhungen durch Notenbanken zu bewerten? Der Streit hat sich zu einem Duell zwischen dem schwedischen Ökonomen Lars Svensson und der in einem Büroturm in Basel heimischen Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), der Bank der Zentralbanken, entwickelt. Wir haben in FAZIT in den vergangenen Jahren viele Arbeiten der BIZ vorgestellt.

Der Grundkonflikt sieht so aus: Wenn es gelänge, durch rechtzeitige Zinserhöhungen eine eventuelle spätere Finanzkrise zu verhindern, hätte eine solche Strategie Vorteile. Allerdings sind Notenbanken in erster Linie ihrem Kernmandat, der Sicherung des Preisniveaus verpflichtet und damit gleichzeitig – ob offen wie im Falle der amerikanischen Fed oder indirekt wie im Falle vieler anderer Notenbanken unter Einschluss der EZB – auch der Beeinflussung der Konjunktur. Präventive Zinserhöhungen zum Zwecke der Vermeidung einer Finanzkrise können daher in Konflikt zum Kernmandat einer Notenbank stehen und im schlimmsten Falle dazu beitragen, dass eine Wirtschaft in eine Rezession stürzt. Dies wäre offensichtlich ein schwerer Nachteil einer solchen geldpolitischen Strategie. Die Frage ist – und darum geht der Streit zwischen Svensson und der BIZ -, ob die Vorteile oder die Nachteile größer sind. Die Auseinandersetzung wird mit theoretischen Modellen und Simulationsrechnungen geführt. Doch es geht nicht nur um die ökonomische Wahrheit, sondern auch um Macht und Einfluss. Svensson vertritt eine Sichtweise, die in britisch-amerikanisch geprägten Notenbanken verbreitet ist. Die Position der BIZ, die seit einigen Jahren harte Kritik an der von vielen Notenbanken betriebenen Geldpolitik äußert, findet vor allem in Deutschland und in einigen Schwellenländern Unterstützung.

Svensson lehnt die Sicherung der Finanzstabilität neben der Sicherung der Preisniveaustabilität als weitere Aufgabe für Notenbanken vehement ab; statt dessen will er die Finanzstabilität durch Regulierungspolitik sichern. Sein Argument lautet, dass die geldpolitischen Kosten präventiver Zinserhöhungen deutlich höher sind als die Erträge. In einer immer wieder überarbeiteten Studie hält er seinen Widersachern vor allem zwei Punkte entgegen: Erstens bedürfte es außergewöhnlich starker präventiver Zinserhöhungen, um die Gefahr einer Finanzkrise alleine mit diesem Instrument zu bannen. Daraus leitet er sein zweites Argument ab, nach dem sehr starke präventive Zinserhöhungen eine Wirtschaft über Gebühr schwächen und durch diese Schwächung erst recht anfällig für Krisen machen. Mit anderen Worten: Die vermeintliche Krisenprävention kann Krisen erzeugen, die es ohne Präventionsversuche gar nicht gäbe.

Die BIZ vertritt eine andere Sicht, nach der eine langfristig und konsequent auch an der Finanzstabilität ausgerichtete Geldpolitik auf Dauer vorteilhaft ist und die an der konkreten Krisenprävention ausgerichteten Berechnungen Svenssons keinen vollständigen Blick auf die langfristigen Erträge einer geldpolitischen Präventionspolitik gestatten. Es liegen Studien weiterer Ökonomen vor, von denen manche die Position Svenssons und andere die Position der BIZ (zum Beispiel hier, mit einer Replik von Svensson, und hier) unterstützen.

Nun hat die Debatte eine unerwartete Facette erhalten – mit der Evaluierung der Arbeit der BIZ-Ökonomen durch externe Gutachter 1), die grundsätzlich viel Lob 2) für die BIZ-Ökonomen finden, aber auch herbe Kritik vor allem an der Praxis äußern, in geldpolitischen Fragen Druck auf Ökonomen auszuüben, in ihrer Forschung zu Ergebnissen zu gelangen, die der Führung der BIZ genehm sind. Dies gilt nicht zuletzt für die Auseinandersetzung mit Svensson. Pikant an der Evaluierung ist auch, dass sie von der BIZ selbst in Auftrag gegeben worden ist  und dass die Auftraggeber von Vornherein gewusst haben dürften, welche Ergebnisse die Evaluierung bringen würde. Offensichtlich geht es ihnen darum, die rund 60 in der BIZ beschäftigten Ökonomen ein Stück weit aus der politischen Schusslinie zu nehmen und sie statt dessen für wissenschaftlich fundiertere Arbeiten einzusetzen. Das Vorbild dürfte die ökonomische Abteilung der Federal Reserve Bank of New York sein, die seit einer vergleichbaren Evaluierung vor rund 15 Jahren und einer anschließenden Neuausrichtung ihrer Arbeit viele interessante Untersuchungen erstellt hat.

Im Falle der BIZ bemängeln die Gutachter, dass es bisher kaum gelungen sei, in der Fachwelt für ihre Forderung nach präventiver Geldpolitik Unterstützung zu finden: “Das hängt zum Teil mit dem Fehlen überzeugender Nachweise zusammen, dass die erwarteten Erträge einer solchen Strategie die erwarteten Kosten übertreffen.” 3) Die Gutachter verwundert, dass sich ein ganzes Forschungsprojekt mit der Frage befasst, wie man Svenssons Arbeiten widerlegen könne, ohne dass man bisher viel zustande gebracht hätte.4) Eher grundsätzlich fällt die Kritik an dem BIZ-Ansatz aus, die Welt – und hier besonders die Geldpolitik – möglichst schwarz zu malen: “Die meisten Forschungsarbeiten seit der Finanzkrise befassen sich mit der Frage, was alles schief gegangen ist. Aber die Finanzsysteme haben sich seitdem in den meisten Ländern als widerstandsfähig gezeigt. Vielleicht wäre es sehr instruktiv, sich in der Forschung auch mit der Frage zu befassen, was alles richtig gemacht wurde.” Svensson dürfte sich bei der Lektüre der Evaluierung amüsiert haben. Die BIZ-Ökonomen dürften sich nach einer Neuaufstellung bemühen, verlorenen Boden gut zu machen. Die Verhinderung künftiger Finanzkrisen ist eine Aufgabe, die alle Anstrengungen wert ist.

 

  1. Die drei Gutachter haben intern und extern Stellungnahmen zur Arbeit der BIZ-Ökonomen eingeholt. Angemerkt sei, dass auch ich als ein regelmäßiger journalistischer “Konsument” um eine Einschätzung gebeten worden bin. Ich habe mich daran nicht beteiligt, um nicht in den Ruf zu kommen, ich schriebe anschließend über ein Gutachten, an dessen Herstellung ich (wenn auch nur geringfügig) beteiligt war.
  2. Über der partiellen Kritik an der Arbeit der BIZ-Ökonomen sollte das generelle Lob der Gutachter nicht vergessen werden: “(T)he panel judge that BIS research is generally of a high professional standard. Moreover, for a relatively small organisation, it spans a broad range of topics: banking and finncial market structure; financial stability and financial crises; international finance; and macroeconomics and monetary policy. Some of this research has been genuinely path-breaking.”
  3. Ein altes Problem der BIZ ist, dass viele ihrer Arbeiten gerade in der akademischen Community nicht gelesen werden. Das Gutachten nennt mit dem Jahresbericht ein trauriges Beispiel. “The Report attracts attention in central banks and other official institutions. It sometimes also attracts the attention of the financial media and private-sector financial institutions, though rather less so than the IMF’s World Economic Outlook. It gets relatively little traction in academia. For comparison purposes, theAnnual Report gets about the same number of downloads from the web as the Bank of England’s Inflation Report. Since the BIS Annual Report should be of international interest, while the Bank of England’s Inflation Report is primarily just of interest to people in the United Kingdom, this seems rather disappointing.”
  4. Die von uns vorgestellte Arbeit von Filardo/Rungcharoenkitkul wurde im Dezember 2016 und damit nach Redaktionschluss des Gutachtens als Arbeitspapier veröffentlicht. In Fachkreisen war sie aber schon Monate vorher bekannt.

    Eine etwas kürzere Version dieses Beitrags ist am 25. Januar 2017 im Finanzteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen.