Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Was ist Geld und warum hat es einen Wert? (Teil 2)

Das ist eine der Kernfragen der Wirtschaftstheorie. “Wir verstehen das Problem heute noch schlechter als früher”, klagt der renommierte Ökonom Martin Hellwig. Wir skizzieren in drei Teilen den Vortrag, den er auf der Tagung des Vereins für Socialpolitik in Wien gehalten hat. Im ersten Teil unserer kleinen Reihe hatten wir uns mit dem Wesen des Geldes befasst. Heute beschäftigen wir mit der Frage, ob Geld in die dominierende neoklassische Gleichgewichtstheorie passt.

In diesem Beitrag müssen wir etwas Theorie betreiben, aber wir versuchen, es möglichst einfach zu halten.

Der Wert des Geldes – ein kleiner Blick in die Theoriegeschichte

Ein altes Verfahren, aus dem sich ein Wert des Geldes bestimmen ließe, wäre die  Quantitätsgleichung: Geldmenge mal Umlaufsgeschwindigkeit ist gleich dem Preisniveau mal der realen Wirtschaftsleistung. Dem hielt John Hicks in einem in der monetären Ökonomik berühmten Aufsatz von 1935 die Frage entgegen: Warum wird der Wert des Geldes mechanisch abgeleitet, wenn der Wert von Gütern in der neoklassischen Theorie auf einem Optimierungskalkül beruht? Eine solche Vorgehensweise wäre auch für das Geld eine Voraussetzung, um Geld analytisch in die dominierende Gleichgewichtstheorie zu integrieren.

Einen systematischen Versuch unternahm wohl als erster Ökonom Donald Patinkin, aber schon kurze Zeit später konstatierte mit Frank Hahn ein führender Kenner der Gleichgewichtstheorie, dass sich das Geld so leicht nicht integrieren lässt. Denn – und das ist die wesentliche Frage: Woher soll Geld in einer friktionslosen Welt seinen Wert beziehen? Weder gibt es in der heutigen Welt ein Versprechen des Geldproduzenten (Zentralbank), das von ihm produzierte Geld auf Verlangen in ein werthaltiges Gut zu transferieren, noch wirft Bargeld eine pekuniäre Rendite ab.

 

Geld als Wertaufbewahrungsmittel

Eine Möglichkeit besteht darin, Geld als Wertaufbewahrungsmittel zu betrachten und so in die Gleichgewichtstheorie zu integrieren. Ein Gedanke (unter mehreren) ist, Geld in einem Modell zu untersuchen, in dem mehrere Generationen von Menschen vorkommen: Im einfachsten Fall (Samuelson 1958) gibt es eine jüngere arbeitende Bevölkerung und eine ältere Generation im Ruhestand. Die ältere bezieht Güter von der jüngeren, indem sie diese Güter mit Geld bezahlt. Aber warum gibt die jüngere Generation die Güter gegen das Geld her, anstatt die Güter selbst zu konsumieren? Nun, sie geht davon aus, dass sie, wenn sie selbst alt ist, dann auch mit Geld Güter von der nachfolgenden Generation kaufen kann.

Der Wert des Geldes beruht hier alleine auf der Annahme, dass Geld auch in Zukunft einen Wert als Tauschmittel besitzt, und diese Erwartungen werden im Modell nicht enttäuscht. Das Geld hat aber keinen intrinsischen Wert.  Der Nobelpreisträger Jean Tirole hat Geld in diesem Zusammenhang vor längerer Zeit als “Bubble” bezeichnet; dieselbe Bezeichnung findet sich auch in der modernen “I-Theory” von Brunnermeier/Sannikov.

Was taugt das Argument? Das Problem ist, dass Geld nur so lange als Wertaufbewahrungsmittel funktioniert, wie es kein verzinsliches Asset gibt, das ansonsten die Eigenschaften von Geld besitzt. In vielen ökonomischen Modellen wird dieses Thema ausgespart, weil in ihnen kein anderes finanzielles Asset als Geld vorkommt. Aber damit wird dem Thema ausgewichen. Hellwig schreibt: “Wenn es neben dem Papiergeld ein Consol gibt, einen Schuldtitel mit ewiger Laufzeit und konstantem Couponzins, und wenn Papiergeld und Consols in allen Transaktionen gleichermaßen verwandt werden können, so gibt es kein Gleichgewicht, in dem Papiergeld etwas wert ist.”1) Um mit dem Geld in der Gleichgewichtstheorie weiter zu kommen, muss man daher annehmen, dass sich Geld und ewiglaufende Staatsanleihen nicht nur in punkto Verzinsung unterscheiden. Worin könnte ein Unterschied bestehen? Das führt direkt zur Frage, ob man Geld wegen seiner Zahlungsmitteleigenschaft in die Gleichgewichtstheorie einbauen kann.

 

Geld als Zahlungsmittel

In vielen ökonomischen Modellen wird angenommen, dass Menschen Güter tauschen. Tatsächlich aber werden Güter üblicherweise gegen Geld getauscht. Wenn dieses “Zwischenschalten” von Geld keine Folgen für das Wirtschaftsleben hätte, könnte man es in der Theorie unterschlagen (wie es auch häufig geschieht). Als einflussreich haben sich in der Theorie Arbeiten des amerikanischen Ökonomen Robert Clower aus den sechziger Jahren erwiesen. Er entwickelte aus einer bekannten Erkenntnis – “Money buys goods and goods buy money but in a monetary economy goods do not buy goods. Really, without money the world would not go around” – Elemente einer keynesianisch geprägten Ungleichgewichtstheorie, die wir an dieser Stelle nicht vertiefen wollen.2)

Clowers Arbeiten gaben aber Anlass, analytisch dem Nutzen von Geld als Zahlungsmittel in modernen Modellen nachzuspüren. Das Ergebnis sind die sogenannten “Cash-in-Advance”-Modelle, die man in Lehrbüchern finden kann. Die Wirtschaftssubjekte müssen Geld halten, um Käufe vornehmen zu können – der Wert des Geldes besteht darin, dass es eine Zahlungsmittelfunktion ausübt, die zum Beispiel ein Consol nicht ausüben könnte.3) In diesen Modellen wird die Tatsache, dass Menschen Ressourcen für die Haltung von Geld mobilisieren müssen, als eine Einschränkung wirtschaftlichen Handelns verstanden: Wenn es nicht den Zwang zur Geldhaltung für Käufe gäbe, könnten alternativ zinstragende Anlagen erworben werden.

Hellwig sieht mit diesen Modellen Probleme: “Es ist widersinnig, dass die Verwendung von Geld als Restriktion erscheint und nicht als Erleichterung.” Denn heißt es nicht gewöhnlich in der Geldtheorie, dass die Verwendung von Geld im Vergleich zur Güterwirtschaft das Tauschen erheblich erleichtert?4)

Der spätere Nobelpreisträger Robert Lucas hat in einem für die Cash-in-Advance-Literatur bahnbrechenden Aufsatz die Verwendung von Geld als vorteilhaft mit Bezug auf den Anfall von Informations- und Transportkosten sowie einer geringen Möglichkeit, beim Tausch betrogen zu werden, bezeichnet, aber Hellwig hat schon in seinem Aufsatz von 1993 die Frage aufgeworfen, ob solche Überlegungen im Rahmen der Gleichgewichtstheorie fehl am Platze sind. Vertreter des Ansatzes wie Clower und Lucas haben die Verwendung von Cash-in-Advance-Modellen mit einer Annäherung als die Realität begründet (in der Realität braucht man meistens erst einmal Geld, ehe man Güter kaufen kann), aber Hellwig überzeugt dies nicht, weil die Gleichgewichtstheorie nun einmal ihrem Wesen nach sehr abstrakt ist. Man könnte noch ergänzen, dass empirische Untersuchungen von Cash-in-Advance-Modellen bestenfalls durchwachsene Ergebnisse gebracht haben.

Bevor die Cash-in Advance-Modelle entwickelt wurden, gab es das in vielen Lehrbüchern erwähnte Modell von Allais/Baumol/Tobin zur Analyse des Geldes aus dem Transaktionsmotiv, wobei angenommen wird, dass den Haushalten als Alternative zur Geldhaltung ein verzinsliches Asset zur Verfügung steht.5) Die Frage, wie ein Haushalt sein Einkommen innerhalb einer Periode (zum Beispiel eines Monats) auf seine gewünschten Ausgaben aufteilt, ist dann auch von der Verzinsung des Assets (sowie den Gebühren für den Kauf und Verkauf des Assets) abhängig.

Haushalte treffen hier Portfolioentscheidungen und ein Punkt, auf den Hellwig in seiner Diskussion abstellt, lautet: Wer ist eigentlich die Gegenpartei, wenn die Tauschzeitpunkte von Geld in Assets und umgekehrt von Haushalten und Unternehmen nicht synchronisiert sind und der Markt für Geld nicht immer geräumt wird? Was dann? Wer sagt, dass ein Finanzintermediär wie eine Geschäftsbank für den Ausgleich sorgen könnte, müsste eine Antwort auf Hellwigs Frage haben: “Was ist in diesem Modell die Rolle von Intermediären, die sich darauf beschränken, ‘da’ zu sein? Was ist deren Kalkül?” Wer den Markt für Geld durch die Zentralbank räumen lassen will, müsste im Rahmen der Gleichgewichtstheorie eine Antwort auf Hellwigs Frage finden: “Funktioniert Laisser faire nicht in diesem Rahmen?”

 

Bestands- und Stromgrößen

Abschließend kommen wir noch einmal auf das Thema Bestands- und Stromgrößen zurück. “Portfolioanalyse, Kapitalmarkttheorie und Bankentheorie befassen sich mit Bestandsgrößen”, schreibt Hellwig. “Geld ist eine Bestandsgröße, aber eine, die beim einzelnen nicht konstant bleibt, sondern im Zahlungsprozess auf und ab geht.” Nun aber gilt auch: “Der Zahlungsprozess ist eng verbunden mit Strömungsgrößen wie Konsum, Investitionen, Produktion und Einkommen.”

Hellwig fragt: “Wie modellieren wir die Dynamik von Bestands- und Strömungsgrößen so, dass die Sonderrolle von Geld berücksichtigt wird?”6)

Auf meine Frage, ob es eine moderne Arbeit gibt, die diesen Anspruch erfüllt, antwortete Hellwig kurz und bündig: “Nein.”

 

Im dritten und abschließenden Teil der Reihe befassen wir uns im übertragenen Sinne mit einer Geldtheorie ohne Geld.

 

 


  1. In einer Arbeit aus dem Jahre 1993, in der Hellwig den damaligen Stand der Geldtheorie zusammengefasst hatte, gelangte er nach diesem Befund zu dem Schluss: “This negative result unermines practically all our textbook models of closed-economy and open-economy macroeconomics.”
  2. Die Hochzeit dieser Schule waren die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts. Wer in seinem Bücherschrank das Makro-Lehrbuch von Felderer/Homburg besitzt, wird darin ein Kapitel finden. An der Uni hatten wir eine Monografie von Kurt Rothschild gelesen. In unseren Tagen hat Richard Werner versucht, auf der Basis dieser Ungleichgewichtstheorie zu argumentieren.
  3. Wir beschränken uns hier auf den einfachen Fall exogenen Geldes. Es gibt auch Modelle, in denen Kreditgeld verwendet wird.
  4. Um zur oben erwähnten neokeynesianischen Ungleichgewichtstheorie Clowers und seiner Mitstreiter zurückzukehren: Dort sorgt die Cash-in-advance-Einschränkung im Zusammenhang mit Friktionen in der Wirtschaft für die Möglichkeit einer Rezession. Hellwig schreibt kopfschüttelnd: “It is all the more paradoxical that the cash-in-advance constraint in our models make the use of money as a medium of exchange appear to be the source of an effective-demand problem.”
  5. In den Lehrbüchern wird das Modell meist anhand des Aufsatzes von James Tobin (1956) behandelt, aber die Priorität gehört Maurice Allais, dessen Arbeit in französischer Sprache erschienen und deshalb den amerikanischen Ökonomen unbekannt geblieben war.
  6. Ein Versuch einer solchen Modellierung findet sich in der Nobelpreis-Vorlesung Tobins (1981), der aber den heutigen Anforderungen an ökonomische Modellierung nicht mehr genügt.