Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Keine Angst vor Studiengebühren

Gebühren schrecken ärmere Menschen vom Studieren ab? Von wegen!

Studenten sind teuer, vor allem für den Staat. Warum also sollten sie die Kosten für ihre Ausbildung nicht mittragen? Wer diese Frage stellt, wird auf heftigen Widerstand stoßen. Besonders in Deutschland sind die Vorbehalte gegen Studiengebühren groß. Gebühren könnten junge Menschen davon abhalten, den Schritt an die Universität zu gehen, lautet eine Sorge. Auch könnten die öffentlichen Bildungsausgaben sinken und damit die Qualität der Bildung schwächen. Vor allem aber könnten sie als zusätzliche Hürde für junge Menschen aus ärmeren Verhältnissen wirken. Also ausgerechnet für jene, die an den Fakultäten ohnehin unterrepräsentiert sind. Statt die Lernfähigen an die Universität zu locken, kämen nur noch die Zahlungsfähigen. Das wäre ungerecht.

Doch führen Studiengebühren tatsächlich zu mehr sozialer Ungleichheit und einem niedrigeren Bildungsniveau im Land? Eine neue Untersuchung aus Amerika weckt Zweifel daran. Die Ökonomen um Richard Murphy von der Universität Texas haben darin ausgewertet, was sich an den Hochschulen in Großbritannien seit der Einführung flächendeckender Studiengebühren verändert hat. Sie blickten darauf, ob die staatlichen Bildungsausgaben zurückgingen und inwieweit die Hochschulmittel davon betroffen waren; und sie analysierten, wie sich die Studentenzahlen entwickelten.

Mit Großbritannien hatten die Forscher einen dankbaren Fall zur Hand. Denn das dortige Hochschulsystem erlebte vor fast zwei Jahrzehnten eine scharfe Zäsur: Bis 1998 war das Studium an den staatlichen Universitäten des Landes kostenfrei. Doch weil die Studentenzahlen in den achtziger und neunziger Jahren so stark stiegen, kam der Staat mit der Finanzierung nicht hinterher – mit der Folge, dass die Regierung flächendeckend Gebühren einführte. Heute kostet das Studium an einer öffentlichen Universität in kaum einem anderen Land der Erde mehr. Britische Universitäten verlangen in der Regel 9250 Pfund im Jahr, rechnen Murphy und seine Kolleginnen vor – und damit sogar im Schnitt 18 Prozent mehr als die öffentlichen Universitäten der Vereinigten Staaten, wo die Hochschulausbildung als besonders teuer gilt. Man könnte meinen, ein System, das die Bildungsfernen zum Studieren motiviert, sehe anders aus.

Das amerikanisch-britische Forscherteam stellte sich deshalb nicht nur die Frage, ob die horrenden Gebühren allgemein dazu führten, dass sich weniger Menschen für ein Studium entschieden, sondern vor allem, ob das insbesondere für Menschen aus ärmeren Verhältnissen galt. Dafür teilten sie die Studenten anhand ihrer familiären Einkommensverhältnisse ein: in die unteren 20, die mittleren 60 und die oberen 20 Prozent.

Ihr Befund ist so überraschend wie brisant. Nicht nur sind die Studentenzahlen seit 1998 um fast 30 Prozent nach oben geschossen. Auch zeigt ihre Analyse, dass trotz der finanziellen Hürden ausgerechnet der Anteil der Studenten aus einkommensschwächeren Familien am stärksten stieg. War die sogenannte “Partizipationslücke” zwischen den ärmeren und wohlhabenderen Studenten vor der Einführung der Studiengebühren immer größer geworden, hat sie sich seit 1998 sogar leicht geschlossen. Trotz happiger Gebühren zog es also gerade Studenten aus benachteiligten Verhältnissen an die Universität.

Um diese Auffälligkeit zu erklären, muss eines deutlich gemacht werden: Mit der Einführung der Studiengebühren 1998 nahm das Volumen der vergebenen Studentenkredite in Großbritannien zu. Grund dafür war die Einführung der sogenannten “income-contingent loans”, die wie eine Steuer funktionieren: Der Staat deckt vom ersten Tag an die Gebühren (und optional auch einen Teil der Lebenshaltungskosten) und zieht später im Berufsleben einen fixen Prozentsatz vom Bruttoeinkommen ab. Aber nur, wenn der Absolvent mehr als 21 000 Pfund im Jahr verdient. Und was nach 25 Jahren noch nicht zurückgezahlt wurde, wird erlassen. Für die Studenten bedeutet das keinen zusätzlichen bürokratischen Aufwand und weniger Hemmungen, den Kredit aufzunehmen.

In einem weiteren Schritt untersuchten die Forscher den Effekt der Gebühren auf die finanzielle Situation der Hochschulen. Die Sorgen im Vorfeld waren auch diesbezüglich groß. Denn: Anders als etwa in den Vereinigten Staaten, wo viele der Top-Adressen private Einrichtungen sind, befinden sich in Großbritannien selbst Eliteuniversitäten wie Oxford oder Cambridge in öffentlicher Hand. Kritiker warnten, dass Studiengebühren öffentliche Mittel verdrängen könnten – mit der Folge, dass die Qualität der Bildung unter den finanziellen Einbußen möglicherweise leidet. Doch auch hier wirkten sich die Reformen positiv aus: Zwar hat die britische Regierung ihre Ausgaben für das britische Hochschulsystem seither drastisch zurückgefahren. Doch die finanzielle Situation hat sich trotzdem deutlich verbessert: Standen den Hochschulen 1999 für jeden Studenten im Schnitt rund 6000 Pfund im Jahr zur Verfügung, ist die Zahl bis 2014 auf fast 10 000 Pfund gestiegen – und das, obwohl es 2014 deutlich mehr Studenten gab. Auch der britische Steuerzahler hat so von der Einführung der Studiengebühren profitiert, schlussfolgern die Ökonomen in ihrer Analyse.

Anders als in Großbritannien war den Studiengebühren in Deutschland ein kurzes Dasein beschieden. Anfang 2005 hob das Bundesverfassungsgericht das gesetzlich festgeschriebene Verbot von Studiengebühren auf, sieben Bundesländer führten daraufhin Semestergebühren in Höhe von 500 Euro ein. Doch das Experiment schlug fehl, der Widerstand war zu groß. 2014 wurden die Semestergebühren auch im letzten verbliebenen Bundesland Niedersachsen wieder abgeschafft.

Auch die etwas vageren Forschungsergebnisse für Deutschland fielen zugunsten einer Gebühr aus: Wer etwa zu dieser Zeit in einem der sieben Bundesländer studierte, machte zügiger einen Abschluss. Das zeigt eine Untersuchung von Karlsruher Wissenschaftlern um Kerstin Bruckmeier. Auch die Studentenzahlen gingen im Vergleich zu anderen Ländern nicht zurück. Verständnis für den politischen Kurswechsel haben die Ökonomen nicht. Im Gegenteil: Aus einer “an den Fakten orientierten Sicht” sei der Schritt “schwer nachzuvollziehen”.

 

 

R. Murphy, J. Scott-Clayton, G. Wyness: The End of Free College in England: Implications for Quality, Enrolments, and Equity, NBER Working Paper No. 23888, September 2017.

K. Bruckmeier, G.-B. Fischer, B. U. Wigger (2015): Tuition Fees and the Time to Graduation: Evidence from a Natural Experiment, Journal of Higher Education Policy and Management, 37, S. 459-471.