Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Kluge sind knauserig

Mit steigendem Bildungsgrad sinkt die Spendenbereitschaft. Auch wenn die Leute viel verdienen.

© dpaErziehung zum Egoisien?

Vor einem Jahr haben wir ein Experiment gemacht, und zwar mit Ihnen, den Lesern von F.A.S. und FAZ.NET. Es ging um Ihre Spendenbereitschaft. In einem wissenschaftlichen Experiment mit zwei Universitäten mussten Sie sich entscheiden: Will ich Geld lieber für mich haben? Oder sollen die Forscher lieber 200 Euro für die Aktion „F.A.Z.-Leser helfen“ spenden, die es an ein Mädcheninternat in Ghana gibt?

Interessant wurde es dadurch, dass die Forscher zwar immer eine 200-Euro-Spende vorsahen, aber den Lesern unterschiedliche Geldbeträge für sich angeboten wurden, die sie behalten könnten. Die Frage: Ab welchem Betrag werden die Leser schwach? Das Ganze war keine theoretische Übung: Antworten von 20 zufällig ausgewählten Lesern wurden verwirklicht. 4000 Leser machten mit, und am Ende stand eine überraschende Erkenntnis: Je mehr Bildung die Leser in ihrer Jugend genossen hatten, desto weniger waren sie bereit, zu spenden.

Insgesamt waren die Leser nicht geizig. Im Durchschnitt mussten die Forscher den Lesern 240 Euro anbieten, damit die das Geld einer 200-Euro-Spende vorzogen. So war es in dem Experiment, das wir zusammen mit Matthias Sutter, der heute am Max-Planck-Institut für Gemeinschaftsgüter in Bonn arbeitet, und Michael Kirchler von der Universität Innsbruck durchführten.

In einem anderen, ähnlichen Experiment nahmen Studenten der Universität Innsbruck das Geld schon dann für sich, wenn der Spendenbetrag noch lange nicht erreicht war. Das ist kein Wunder. Wer ein hohes Einkommen hat, spendet sein Geld eher – das ist schon lange bekannt. Unsere Leser haben oft hohe Einkommen, also spenden sie auch tendenziell mehr Geld. „Andere benötigen das Geld, nicht ich“, schreibt ein einkommensstarker Teilnehmer in der Begründung seiner Entscheidung. Ärmere Leser argumentieren oft anders, zum Beispiel mit: „80 Euro sind für mich ein recht hoher Geldbetrag.“

Bildung senkt die Spendenbereitschaft

Doch es ergab sich eben die zweite Feststellung: Auf jeder Einkommensstufe sorgt zusätzliche Bildung dafür, dass die Spendenbereitschaft sinkt. Ein Beispiel: die Leser mit einem Nettoeinkommen über 4000 Euro monatlich. Akademiker in dieser Einkommensklasse nahmen durchschnittlich dann das Geld für sich, wenn ihnen mindestens 260 Euro angeboten wurden, also 60 Euro mehr als die veranschlagte Spende. Die Leute mit mittlerer Reife taten dies erst ab 340 Euro.

Nahmen die Leute das Geld nur, um es anderweitig zu spenden? Auch das erfragten wir. Die Teilnehmer mit mittlerer Reife sagten eher, sie würden das an sie ausgezahlte Geld privat spenden.

Ticken so nur unsere Leser? Oder gibt es so ein Phänomen auch anderswo? Die Antwort ist nicht ganz leicht. Eigentlich dachten Spendenforscher immer: Wer sehr gebildet ist, der spendet viel. So haben es Umfragen seit vielen Jahren ergeben. Doch neuere Experimente stellen diese These in Frage.

Das liegt daran, dass die alten Umfragen nicht unbedingt ein genaues Bild ergeben haben. In den Niederlanden haben die Spendenforscher René Bekkers und Pamala Wiepking immer wieder verglichen, was die Leute in Umfragen sagten und was sie tatsächlich taten.

Gebildete Leute sind großmäulig

Dabei stellte sich heraus: Gebildete Leute sind ein bisschen großmäulig. Wer einen Universitätsabschluss hat, der überschätzt seine Spenden aus dem vergangenen Jahr in Umfragen gegenüber dem tatsächlichen Betrag oft deutlich. Leute mit geringerer formaler Bildung dagegen verstehen gelegentlich schon die Umfrage nicht richtig. Und wenn sie die Frage richtig verstehen, erinnern sie sich nicht immer an all ihre Spenden. Das Ergebnis: Gebildete Leute überschätzen ihre Spenden in Umfragen, weniger gebildete Leute geben zu wenig an.

Leider ist es viel schwieriger, das echte Verhalten von Menschen zu beobachten, als sie nur danach zu fragen. Deshalb gibt es sehr viel weniger Experimente als Umfragen. Eines aber wurde an der Universität in Orlando, Florida durchgeführt: Dort sollte der Ökonom John List eine Spendensammlung organisieren, damit ein neues „Zentrum für Umweltpolitik-Analyse“ entstehen konnte. Wie viele andere Spendensammler auch schrieb er 2000 Leute über einem gewissen Jahreseinkommen an, die im vergangenen Jahr schon einmal für einen wohltätigen Zweck gespendet hatten. Dann allerdings wertete er systematisch aus, wer wie viel gespendet hatte. Junge Männer spendeten mehr als alte Frauen, und über die Bildung wurde immerhin so viel bekannt: Wer mehr Bildung genossen hatte, gab zumindest nicht mehr Geld.

Wer viel denkt, behält viel für sich

Ähnliche Ergebnisse gibt es auch in abstrakteren Experimenten, zum Beispiel im sogenannten „Diktator-Spiel“: Dabei werden zwei Experimentteilnehmer anonym und zufällig zu Experimentpaaren zusammengestellt. Einer bekommt einen Geldbetrag, das ist der Diktator. Er darf dem anderen so viel abgeben, wie er mag. Dieses Experiment haben verschiedene Ökonomen mit einem Test kombiniert, der zeigt, ob jemand impulsiv oder eher rational-überlegend handelt. „Wenn fünf Maschinen fünf Minuten brauchen, um fünf Teile zu machen, wie lange brauchen dann 100 Maschinen für 100 Teile?“ Wer impulsiv antwortet, sagt meist „100 Minuten“. Dabei sind fünf Minuten richtig. Im Diktator-Spiel aber sind es die Impulsiven, die mehr Geld abgeben. Wer hingegen die rational richtige Antwort gegeben hat, behält mehr Geld für sich.

Warum also sind überlegte oder gebildete Leute so knauserig? Eine These lautet: Es könnte an der Einstellung zum eigenen Einkommen liegen. Wer wenig formale Bildung hat, aber viel verdient – der denkt vielleicht eher, er habe im Leben Glück gehabt. Und ist dann eher bereit, dieses Glück mit anderen zu teilen. Eine andere These lautet: Wer rationaler handelt, der macht sich weniger Gedanken um die Verteilung von Wohlstand – vielleicht sind das die gebildeten Leute. Aber sicher ist das alles noch nicht. Dazu braucht es noch mehr Experimente.

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Patrick Bernau