Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Das Einfallstor

Wer in Europa über Griechenland redet, sollte China nicht vergessen.

Reimund Mink hat ein eindrückliches und nachdenklich stimmendes Buch über die jüngste wirtschaftliche und finanzielle Krise Griechenlands geschrieben. Der Verfasser hat bis zum Jahre 2011 in der Europäischen Zentralbank gearbeitet; seitdem ist er als Wirtschaftsberater für die EZB und den Internationalen Währungsfonds in Griechenland, Jordanien und Serbien tätig. Athen hat er unter anderem bei Verwaltungsreformen unterstützt. Daher kennt er die Lage in Griechenland. Sein Buch ist angenehm sachlich; er schlägt sich auf keine Seite, und so unterliegt er auch nicht der Versuchung, sich in der griechischen Wahrnehmung der Krise überwiegend auf Äußerungen des früheren Finanzministers Giannis Varoufakis zu stützen.

Die jüngste Krise Griechenlands brach offen aus, als die im Jahre 2009 gewählte, von der Pasok-Partei geführte Regierung Manipulationen der Statistik durch ihre Vorgänger offenbarte und die Öffentlichkeit erkannte, dass sich die Staatsfinanzen in einem kritischen Zustand befanden. Minks Kernthese lautet: Diese Krise war kein zufälliges Ereignis, sondern eine jahrzehntelange Misswirtschaft vorausgegangen.

Er beginnt seine Geschichte im Zweiten Weltkrieg und der frühen Nachkriegszeit und belegt, wie Griechenland, über die Jahrzehnte von zwei widerstreitenden politischen Lagern geprägt, ausgebeutet und innerlich geteilt wurde. Dass Griechenland, das zunächst in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die Vorläuferin der EU, und später in die Europäische Währungsunion eintrat, war ein armes Land, welches mit niedriger Produktivität, wackeligen Staatsfinanzen, und gelegentlich hohen Inflationsraten zu leben gelernt hatte.

Im Nachhinein wird noch einmal die Unbekümmertheit deutlich, mit der Griechenland in den Euro aufgenommen wurde. Ebenso wird – im Nachhinein ist man immer schlauer – anlässlich der in Athen gefeierten Olympischen Spiele von 2004 noch einmal die Illusion deutlich, die sich damals Menschen in wie außerhalb Griechenlands von der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes machten.

Mink beschönigt nichts. Zur hohen Staatsverschuldung im Jahre 2009 schreibt er: “Hinter diesen statistischen Daten versteckt sich zudem eine unendliche Zahl von Geschichten über Verschwendung und Missmanagement staatlicher Stellen. Überall gab es Anzeichen für ein System, das aus den Fugen geraten war. So mussten staatliche Krankenhäuser für Arzneimittel zehnmal mehr bezahlen als private Krankenhäuser. Zehntausende Renten wurden auf betrügerische Weise bezogen. Millionen an Steuergeldern wurden für obskure Sportarten oder Kulturvereine genehmigt.” Dann befasst sich der Verfasser ausführlich mit dem Verlauf der Krise einschließlich der Hilfsprogramme. Daran schließt sich eine Erörterung der Frage an, inwieweit Strukturprobleme eine Rolle für die Krise gespielt haben.

Hat Griechenland eine Chance? Mink zeigt sich weder ungebührlich optimistisch, noch malt er nur schwarz. So weist er auf eine ganze Reihe von Strukturreformen hin, die gelungen seien, auch wenn natürlich vieles im Argen bleibt.

Sehr interessant ist in jedem Falle sein Hinweis, als Folge einer Vernachlässigung durch die Europäer stehe eine andere Macht bereit: “China ist der größte Akteur, der seine Investitionen immer weiter ausbaut. Das Land hat eine langfristige Strategie: Griechenland wird zum Einfallstor für China in Europa aufgebaut. Die chinesischen Unternehmen sind nicht nur im Hafen von Piräus hervorragend aufgestellt, sondern investieren auch in Energie- und Tourismusfirmen und engagieren sich in einem Konsortium für die Restrukturierung des früheren Athener Flughafens Ellinikon. Es besteht durchaus die Sorge, dass China politisch Einfluss nimmt, beziehungsweise, dass die griechische Regierung auf ihren Hauptinvestor Rücksicht nimmt.”

Ergänzend sei bemerkt: Griechenland ist in Europa kein Einzelfall. In Portugal lassen sich mit Blick auf die Chinesen ähnliche Beobachtungen machen. So will das chinesische Unternehmen China Three Gorges den größten portugiesischen Energiekonzern EDP vollständig übernehmen. Bisher sind die Chinesen mit 23,3 Prozent größter Einzelaktionär bei den Portugiesen. Auch an anderen wichtigen Unternehmen in dem südwesteuropäischen Land sind Chinesen beteiligt.


 

Dies ist die erweiterte Version eines Beitrags, der am 16. Juli 2018 im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen ist.