Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Zinsen, Ertragsraten und die Staatsverschuldung

Olivier Blanchard hat die sehr wichtige Debatte über die Rolle der Finanzpolitik befeuert. Wer nur Schwarz-Weiß denkt, wird mit ihm aber nicht glücklich: Wie Staatsverschuldung wirkt, hängt von vielerlei, in einer unsicheren Welt nicht vorhersehbaren Einflüssen ab. So sind heutige Schulden nicht zwingend künftige Steuern.

Der französische Ökonom Olivier Blanchard hat eine viel diskutierte Analyse der Rolle der Staatsverschuldung in einer Zeit niedriger Zinsen vorgelegt. Im Januar trug er seine Arbeit auf der Jahrestagung der amerikanischen Ökonomenvereinigung vor; nun hat er den Text überarbeitet. Kritiker werfen dem ehemaligen Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds vor, Blanchard befürworte in einer Welt bereits sehr hoher Schulden weitere Schulden. Blanchard weist dies zurück: „Meine Absicht besteht nicht darin, für mehr Schulden zu plädieren. Sie besteht in einer reichhaltigeren Diskussion der Kosten der Staatsverschuldung und der Finanzpolitik, als es derzeit der Fall ist.“


Blanchard befasst sich zunächst mit dem Einwand, Staatsverschuldung erzeuge Kosten, weil heutige Schulden identisch mit künftigen Steuern seien. Dies ist allerdings nicht der Fall, wenn der Staat bestehende Schulden durch die Ausgabe neuer Anleihen refinanzieren kann und wenn die Zinsen der Staatsanleihen unter dem Wirtschaftswachstum liegt: „Das BIP nimmt mit dem Wirtschaftswachstum zu, und wenn das Wirtschaftswachstum den Zinssatz übertrifft, sinkt das Verhältnis von Staatsschulden zum BIP im Laufe der Zeit, ohne dass jemals Steuern erhöht werden müssten.


Nach den Angaben Blanchards lag die Verzinsung der Staatsanleihen in Amerika seit dem Jahre 1950 die meiste Zeit unter dem Wirtschaftswachstum. Es lohnt sich, die Charts in seiner Arbeit zu studieren. Dies war zumeist auch in Großbritannien und in Japan der Fall sowie in den vergangenen zwei Jahrzehnten zumeist für die Eurozone, wenn eine Durchschnittsverzinsung der Eurostaatsanleihen mit dem Wirtschaftswachstum in der Eurozone verglichen wird. Allerdings gilt der Zusammenhang nicht für alle Euroländer: In Italien lag die Verzinsung häufig über dem Wirtschaftswachstum – für Rom ginge die Rechnung also nicht auf.


Blanchard räumt ein, dass sein Kalkül hinterfragt werden kann. So nimmt er an, dass auslaufende Staatsanleihen durch neue Anleihen ersetzt werden können. Wenn ein bereits hoch verschuldetes Land sich aber weiter verschulden will, kann es seine Anleihen möglicherweise nicht mehr verkaufen „Dieser Einwand ist am schwierigsten zurückzuweisen“, räumt Blanchard ein. Für Länder mit sehr guten Ratings ist das indessen nicht so sehr relevant. Eingewendet werden kann auch, dass sich ein Staat heute mit sehr lange laufenden Anleihen zwar eine niedrige Verzinsung sichern kann. Aber das künftige Wirtschaftswachstum ist und bleibt unsicher, so dass auch bei niedriger Verzinsung nicht garantiert ist, dass der Zins unter der Rate des Wirtschaftswachstums liegt.


Anschließend befasst sich Blanchard mit dem Argument, Staatsschulden wären schädlich, weil sie rentable private Investitionen verdrängten. Insofern lebe die heutige Generation auf Kosten ihrer Kinder und Enkel. Der Franzose weist dieses Argument nicht völlig zurück, aber er hält es für plausibel, dass diese Kosten überschätzt werden. Seine Begründung ruht auf zwei Säulen. Zum einen will er Staatsschulden ausschließlich für Projekte verwenden, die einen Ertrag versprechen. Und wenn solche Projekte, man könnte an Infrastruktur denken, zu den heutigen sehr niedrigen Zinsen finanziert werden, können sie sich rechnen und positiv zum Wirtschaftswachstum beitragen. Auch in diesem Falle würden rentable private Investitionen verdrängt, aber der Schaden wäre begrenzt.


Dieser Schaden hängt aber nicht nur von den Finanzierungskosten ab, mit denen der Staat Projekte finanziert, sondern auch von der Rendite, die mit privaten Investitionen erzielt werden könnten. Nimmt man als Maßstab für die Rentabilität des privaten Kapitals in den Vereinigten Staaten das Verhältnis der Vorsteuergewinne zum Sachkapital, ergibt sich seit fast einem halben Jahrhundert eine Rendite privaten Kapitals von rund 10 Prozent. Auf den ersten Blick wäre es somit sehr teuer, die Bildung privaten Kapitals durch Staatsverschuldung zu ersetzen.

Blanchard gibt aber zu bedenken, dass diese Rendite in der Realität wahrscheinlich niedriger ist, weil zum einen der wachsende Anteil immateriellen Kapitals (Software, Patente, Markenrechte) nicht berücksichtigt wird und viele Unternehmen von einer sehr starken Marktstellung profitierten. „Staatsverschuldung ist schlecht, aber nicht katastrophal“, schließt der Ökonom.