Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Was ist eigentlich in Amerika los?

Die amerikanische Wirtschaft befindet sich in einem ungewöhnlich langen Konjunkturaufschwung. Dennoch entfaltet die Wirtschaft im historischen Vergleich keine große Dynamik.

Die Gründe für die nachlassende wirtschaftliche Dynamik beschäftigen viele Ökonomen und waren auch in FAZIT schon mehrfach ein Thema (zum Beispiel hier und hier und hier.) Um die Debatte ein wenig einzuordnen, haben Ufuk Akcigit und Sina T. Ates nun eine Übersicht der auffallendsten Phänomene und der wichtigsten modernen Arbeiten in Ökonomen zusammengestellt.

Was kennzeichnet die amerikanische Wirtschaft in unseren Tagen? Hier sind zehn Trends:

  • In vielen Branchen hat die Konzentration zugenommen. Dieser Prozess ist spätestens seit dem Jahre 1980 beobachtbar; seit dem Jahre 2000 hat er sich beschleunigt. Er lässt sich für viele Branchen in wachsenden Marktanteilen der führenden Unternehmen nachweisen; auch zeigt er sich in einer Analyse der Neuanmeldung von Patenten.
  • Zahlreiche Studien zeigen, nicht nur für die Vereinigten Staaten, eine Zunahme der Handelsspannen (“markups”) von Unternehmen, was als Indiz für eine Zunahme von steigender Preissetzungs- und Marktmacht gilt. In jüngerer Zeit wird die Methodik bei der Berechnung von Handelsspannen allerdings in Frage gestellt.
  • Der Anteil der Unternehmensgewinne an der Wirtschaftsleistung (BIP) ist gestiegen. Begleitet wird diese Entwicklung durch eine Schwäche der Investitionstätigkeit.
  • Umgekehrt ist der Anteil der Arbeitseinkommen an der Wirtschaftsleistung (BIP) gesunken. Dieser Trend ist besonders stark in der Industrie zu beobachten und er beschränkt sich nicht auf die Vereinigten Staaten.
  • Es existiert ein empirischer Zusammenhang zwischen der wachsenden Konzentration in der Wirtschaft und dem rückläufigen Anteil der Arbeitseinkommen am BIP.
  • Die Abstände in der Arbeitsproduktivität zwischen den innovativsten Unternehmen und den Nachzüglern nimmt zu. Dabei fällt auf, dass die durchschnittliche Produktivität eines Wirtschaftszweigs umso niedriger ausfällt, je größer die Produktivitätsunterschiede zwischen den einzelnen Unternehmen in der jeweiligen Branche sind.
  • Die Zahl neuer Unternehmen nimmt ab. Diese Beobachtung gilt als ein sehr starker Beleg für die These einer nachlassenden Dynamik in der amerikanischen Wirtschaft.
  • Mit der vorherigen These zusammenhängend ist die Beobachtung, dass der Anteil junger Unternehmen an der Gesamtheit der Unternehmen rückläufig ist.
  • Der Arbeitsmarkt wird weniger dynamisch. Das Tempo der Schaffung wie der Zerstörung von Arbeitsplätzen hat nachgelassen.
  • Vor allem seit dem Jahre 2000 hat die Streuung der Wachstumsraten von Unternehmen nachgelassen. Dies dürfte mit der nachlassenden Bedeutung junger Unternehmen unter anderem in der Technologiebranche zusammenhängen: Die großen amerikanischen Internetkonzerne sind keine jungen Unternehmen mehr.

 

Während diese Trends weitgehend unumstritten sein dürften, bleiben ihre Ursachen und ihre Folgen ein sehr aktives Betätigungsfeld für Ökonomen.

Wir schauen heute kurz auf drei Erklärungsansätze aus der aktuellen Forschung, die zumindest mehrere der oben genannten Trends erklären und einordnen wollen:

 

  • Eine Arbeit von Philippe Aghion und vier Co-Autoren stellt auf die fundamentale Rolle des Einsatzes von Informationstechnologie ab. Ihre Kernthese lautet, dass große Unternehmen, als Beispiele nennen sie Amazon oder Walmart, durch den Einsatz von IT die Möglichkeit erhalten haben, einerseits Kosten zu senken und ihre interne Organisation effizienter zu machen und andererseits in neue Märkte vorzustoßen. “Weil ihre Effizienz schwer zu imitieren ist, finden es weniger effiziente Unternehmen schwer, in diese Märkte einzudringen. Daher werden sie weniger innovativ.” In der Folge werden aber auch die effizienten Riesen wie Walmart und Amazon weniger innovativ, weil sie nicht unmittelbar miteinander konkurrieren wollen und ihren Expansionsdrang in neue Märkte nach einiger Zeit beenden.
  • Akcigit und Ates stellen in ihrer Erklärung auf eine nachlassende Verbreitung von Wissen über Innovationen in der Wirtschaft ab. Im Unterschied zu früher sei es heute schwieriger, die Verbreitung von Wissen von innovativen Unternehmen zu anderen Unternehmen im Laufe der Zeit festzustellen. Die Autoren sehen verschiedene Ursachen wie die Vorteile, die aus der Nutzung exklusiver Daten für innovative Unternehmen entstehen. Viele dieser Daten werden nicht an andere Unternehmen weiter gegeben. Eine Rolle für die langsamere Verbreitung von Wissen mag auch eine lasche Wettbewerbspolitik spielen, die große Unternehmen bevorzugt – Unternehmen, in deren Besitz sich ein immer größerer Teil der Patente befinden.
  • Schon einmal kurz vorgestellt hatten wir in FAZIT eine Arbeit von Ernest Liu, Atif Mian und Amir Sufi, die sich mit der Bedeutung des niedrigen Zinsniveaus für die Abnahme des Wettbewerbs in der amerikanischen Wirtschaft befasst haben. Wir zitieren aus unserem früheren Artikel: “Grundsätzlich sind die Folgen niedriger Zinsen für den Wettbewerb nicht klar. Sie können ebenso positiv wie negativ sein. Man braucht daher empirische Tests – und man kann das mangels Daten möglicherweise nur indirekt testen. So haben sich die drei Autoren unter anderem angeschaut, wie sich bei unterschiedlichen Zinsniveaus die Aktienbewertungen von amerikanischen Unternehmen mit unterschiedlichen Marktpositionen entwickelt haben. Demnach haben sich die Bewertungen von Unternehmen mit großen Marktpositionen bei niedrigen Zinsniveaus so vorteilhaft entwickelt, dass die Autoren den Schluss ableiten, dass ein niedriges Zinsniveau in Amerika in der Tendenz nicht gut, sondern schlecht für den Wettbewerb ist. Das ist ein wichtiges Resultat – aber da die empirischen Testmöglichkeiten schwierig sind, sollte es mit einer gewissen Vorsicht behandelt werden. Ergänzende Tests wären nicht schlecht.”

In der Literatur finden sich noch eine ganze Reihe anderer Erklärungsansätze wie zum Beispiel die Demografie oder die Transformation von Industrie- zu Wissensgesellschaften mit der Folge wachsender immaterieller Investitionen (Patente, Software). Man darf vermuten, dass die säkularen Veränderungen in der amerikanischen Wirtschaft nicht nur auf eine Ursache zurückzuführen sind und in den kommenden Jahren noch viele weitere Untersuchungen erscheinen werden. Arbeiten für Europa sind bisher leider noch etwas dünn gesät; immerhin aber ist der in Amerika beobachtbare Rückgang des Wettbewerbs in Europa nicht so leicht zu konstatieren.