Pop-Anthologie

Element of Crime: „Delmenhorst“

„Delmenhorst“ von Element of Crime ist ein Liebeslied, das sich gegen Gefühlsduselei und lyrische Sprache sträubt. Das Ergebnis ist ein Meisterstück der Poesie als Selbstverteidigung.

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© EPA/HANS KLAUS TECHTDer Band-Name stammt von einem Filmtitel Lars von Triers: „Element of Crime“

Vom Blues sagt man, er komme mit drei Akkorden aus. Über die Texte von Element of Crime, vor allem über jene, in denen Liebe vorkommt, ließe sich Ähnliches sagen, ohne dass dies im geringsten abwertend gemeint wäre. Wiederkehrende Strukturen und Sprachmuster sind geradezu programmatisch in den Texten Sven Regeners. Element of Crime bringt es fertig, ein Album inklusive gleichlautendem Song „Immer da wo du bist bin ich nie“ (2009) zu nennen – und das, obwohl (oder gerade weil?) das Auftaktlied des Vorgänger-Albums „Mittelpunkt der Welt“ (2005) schon mit dem Vers begonnen hatte: „Ich bin jetzt immer da, wo du nicht bist“.

Der vollständige Song ist ein sehr eigenwilliges Liebes-, Liebeskummer-  oder vielleicht auch Selbstliebeslied (leider gibt es nur ein qualitativ minderwertiges Video auf Youtube, das allerdings trotzdem mehr als 800.000 Mal aufgerufen wurde):

Delmenhorst

Ich bin jetzt immer da, wo du nicht bist
und das ist immer Delmenhorst
Es ist schön, wenn’s nicht mehr weh tut
und wo zu sein, wo du nie warst

Hinter Huchting ist ein Graben,
der ist weder breit noch tief
und dann kommt gleich Getränke Hoffmann
Sag‘ Bescheid, wenn du mich liebst

Ich hab jetzt Sachen an, die du nicht magst
und die sind immer grün und blau
Ob ich wirklich Sport betreibe,
interessiert hier keine Sau

Hinter Huchting ist ein Graben,
der in die Ochtum sich ergießt
und dann kommt gleich Getränke Hoffmann
Sag‘ Bescheid, wenn du mich liebst

Ich mach‘ jetzt endlich alles öffentlich
und erzähle, was ich weiß
Auf der Straße der Verdammten,
die hier Bremer Straße heißt

Hinter Huchting ist ein Graben,
in den sich einer übergibt
und dann kommt gleich Getränke Hoffmann
Sag‘ Bescheid, wenn du mich liebst

Ich bin jetzt da, wo ich mich haben will
und das ist immer Delmenhorst
Erst wenn alles scheißegal ist,
macht das Leben wieder Spaß

Hinter Huchting ist ein Graben,
der ist weder breit noch tief
und dann kommt gleich Getränke Hoffmann
Sag‘ Bescheid, wenn du mich liebst

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In einem Interview hat Sven Regener einmal erklärt, dass die Texte bei Element of Crime immer erst im Anschluss an die Musik entstünden. Die ersten Zeilen von „Delmenhorst“ hätten sich geradezu „aufgedrängt“, sie hätten sofort sehr überzeugend geklungen, wohl weil sie an „Ich sehe was, was du nicht siehst“ erinnern, so Regener. Was wiederum dafür sprechen würde, dass Element of Crime eine Schwäche für bekannt klingende Phrasen hat, auf die wir noch zurückkommen werden. Und noch einen Hinweis gibt Regener in dem Interview. Die Stimmung von „Delmenhorst“ verweise insgesamt auf das Lied „Weißes Papier“ von 1993, in dem eine ganz ähnliche Grundtendenz vorherrsche, die Regener mit den Worten umschreibt: „Am liebsten wär’ ich auf einem anderen Stern, wo mich nichts an dich erinnert.“ Damit wäre der erste Vers schon in drei Verweise verwickelt – schwebt der Band Element of Crime in ihren Songtexten etwa eine Art von Domino-Ästhetik vor? Wäre das unlyrisch? Verglichen mit den unzähligen Nachtigallen und Rosen bei Heinrich Heine sicher nicht. Und wie heißt es im Schlusslied des neuesten Albums der Band so schön assertorisch: „Wiederholungen sind besser als du denkst“. Diese Ansage muss man erst einmal widerlegen.

Was ebenfalls gleich in der ersten Strophe von „Delmenhorst“ auffällt: Die Logik wird, wie in so vielen Liedern von Element of Crime, brachial außer Kraft gesetzt. Der Widerspruch zwischen „jetzt“ und „immer“ im ersten Vers mag noch auf die Schwäche der Band für skurrile umgangssprachliche Wendungen zurückzuführen sein. Dass ein Song-Ich aber immer da ist, wo das „Du“ – wahrscheinlich eine frühere Geliebte – nicht ist, und dass dieser Ort „immer Delmenhorst“ ist, erscheint eher trotzig als wahrscheinlich. Überhaupt durchzieht die erste Strophe eine ungewöhnlich ausgeprägte Lust an der Zwangsläufigkeit, die in den Texten der Band ebenfalls häufig anzutreffen ist. Zu den beliebtesten Wörtern Regeners gehören: „immer“, „alles“, „nur“ und „nie“. Nicht zu vergessen auch die vielen pseudo-sozialdarwinistischen und meist sehr komischen Satzkonstruktionen nach dem Muster: „Wer nicht …, verliert“.

Quälende Gefühle muss man sich vom Leib halten

Aber ein logischer Kontrolldurchgang ist natürlich nicht die geeignete Zugangsweise zu den Texten von Sven Regener. Welcher Hörer würde nicht daran verzweifeln, sich ernsthaft einen Reim auf Begriffspaare wie „Lieblingsfarben und Tieren“, „Kaffee und Karin“, „Dosenravioli und Buch“ zu machen? In den Songs von Element of Crime werden – fast zen-mäßig – ganz bewusst Aporien, künstliche Widersprüche und absurde Zwangsläufigkeiten erzeugt, um das Denken in eine Zwickmühle zu führen und den Boden für eine besondere Form der Einfühlung zu bereiten. Da die Semantik nicht weiterhilft, wird dem Zuhörer geradezu aufgezwungen, sich zu fragen, aus welcher inneren Haltung heraus die widersprüchlichen Aussagen der Songtexte einen Sinn ergeben könnten. Das Denken wird dabei aber insofern nicht gänzlich ausgeschaltet, als ein rein-gefühlsmäßiger Zugang immer wieder durch ruppige, emotionsfeindliche Äußerungen flankiert wird. So folgt auf das aufatmende „Es ist schön, wenn’s nicht mehr weh tut“ in „Delmenhorst“ ein Refrain, in dem alles Hochtrabende in einen „Graben“ nahe Huchting hinabgezogen wird, der „weder breit noch tief“ ist.

© dpaWas kann ich dafür, dass du mich nicht mehr liebst? Sven Regener auf der Bühne in Berlin

Doch dann, was für eine Phrase! „Sag‘ Bescheid, wenn Du mich liebst“. Selbst wenn dieser Spruch in der Gegend um Delmenhorst seit Jahrhunderten gebräuchlich sein und einen langen Bart haben sollte – die Poesie ist ihm nicht auszutreiben. Die Kombination aus Umgangssprache und erhoffter Liebeserklärung kann man nach ganz unterschiedlichen Seiten drehen und wenden, und immer wird eine andere Botschaft ausgespuckt. Ist hier mehr Trotz oder mehr Verzweiflung im Spiel, Spott oder Zärtlichkeit? Alles scheint möglich zu sein; die musikalischen Soli, die nach dem Refrain einsetzen, verbreiten einen fast sirenenhaften Wohlklang dazu.

Und in der dritten Strophe kommt dann mit der absurd-denunziatorischen Doppelzeile „Ich mach‘ jetzt endlich alles öffentlich / und erzähle, was ich weiß“ zu allem Überfluss auch noch der Humor ins Spiel, den Regener in einer kürzlich gehaltenen Vorlesung, als „Befreiung durch Distanz“ definiert hat. Das war bezogen auf seine Romane. Dieselbe Befreiung ist aber offensichtlich auch in „Delmenhorst“ beabsichtigt. Quälende Gefühle hält sich das Song-Ich durch alle möglichen Formen des uneigentlichen Sprechens vom Hals – eine Strategie, die in der vierten Strophe in einer Weisheit gipfelt, welche die Botschaft des Punk vom Kopf auf die Füße stellt: „Erst wenn alles scheißegal ist, / macht das Leben wieder Spaß“, wobei das „scheißegal“ von Regener fast liebevoll betont wird.

Wie der Schlussklang auf einer Dorfkirmes

Auch hier wird deutlich: Poesie darf bei Element of Crime, das scheint ein ehernes Gesetz der Band zu sein, nicht dauerhaft durch poetische Formulierungen erzeugt werden. Manchmal bricht sich in den Texten sogar eine regelrechte Poesiefeindschaft Bahn: „Scheiß auf Metaphern, die sind böse und heiß“; „Wer als erster von weinenden Wolken spricht, verliert“. Aus Angst vor der Pseudolyrik verzichtet Regener fast komplett auf lyrische Marker – außer in den wenigen Versen, derer er sich ganz sicher zu sein scheint, wie zuletzt in dem zärtlich-schüchternen „Ich gäbe meinen rechten Arm dafür, wenn du mir nur einmal noch ein Lächeln schenkst“ aus dem Lied „Wenn der Wolf schläft müssen alle Schafe ruhen“.

Unsere Eingangsthese können wir daher wie folgt zuspitzen: Die Band Element of Crime arbeitet in ihren Texten nicht mit drei Akkorden, sondern mit nur einem, bei dem der Dreiklang meist auf folgender Kombination beruht: Ausdruck von Gefühlen bei gleichzeitiger Infragestellung und Ablehnung derselben. Das ist wohl auch der Grund dafür, dass man Element of Crime in so vielen unterschiedlichen Situationen anhören kann. Es wird niemals peinlich, man fühlt sich niemals belästigt, es kann sich jeder angesprochen fühlen – verliebt oder nicht, sentimental oder nüchtern. Und wahrscheinlich bringt der emotionale Dreiklang sogar die Gefühlskräfte ins Gleichgewicht.

Denn, das ist die musikalische Pointe so vieler Element-of-Crime-Songs, die ja instrumental wahre Ohrenschmeichler sein können: Am Schluss nimmt Regener oft wie ein artiger Bandleader die Trompete zur Hand, spielt etwas, dem man lange zuhören könnte, setzt dann aber, wie beim Rausschmeißer-Lied auf einer Dorfkirmes, abrupt den Schlussklang. Dann ist alles wieder auf Null gestellt, tabula rasa, „Weißes Papier“ – und bei Gelegenheit geht das Ganze wieder von vorne los.

© dpaEs muss auch mal Schluss sein, aber Wiederholungen sind besser als du denkst: Sven Regener spielt eines seiner plötzlich verebbenden Soli