Pop-Anthologie

Tom Petty: „Crawling Back to You“

Erst weinte seine Stimme, dann die Gitarre, dann alle Welt: Eine Erinnerung an Tom Pettys weiche Seite, vor allem anhand des Songs „Crawling Back to You“.

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© dpaTom Petty

Schwierig zu deutende Verse wird man in Tom Pettys Songlyrik kaum finden, aber oft entsteht die Reibung oder Ambivalenz im Zusammenspiel mit der Musik. Wenn man zum Beispiel eines seiner weniger bekannten, aber schönsten Stücke betrachtet, „Built to Last“ von dem Album „Into the Great Wide Open“, könnte man zunächst sagen: Das ist ein einfaches Liebeslied, inspiriert von der Doo-Wop-Tradition (es erinnert ein bisschen an „Under the Boardwalk“). Und es trägt sein Herz auf der Zunge: „The world is changing fast / But our love was built to last“. Wir wollen niemals auseinandergehn!

Warum aber würden wohl die meisten sofort intuitiv sagen: Das ist aber ein trauriges Lied? Das liegt, wie so oft bei Tom Petty, am weinenden Gesang. Es wird wahrscheinlich nie mehr einen anderen Sänger geben, der so schön weinen kann. „Ooh, but our love was built to last“: Das vorausgehende „Ooh“ ist hier enorm wichtig, es ist ein aufjaulender Klagegesang, der die frohe Botschaft des Liedes belügt. Aus dem Text einer Strophe dieses Liedes weiß man ja zudem, dass der, der hier ewige Liebe verspricht, vorher oft wankelmütig war („I know I’ve been changing / Changing like the wind“). Und als Antwort auf den Gesang fängt dann am Ende des Liedes auch noch die Gitarre an zu weinen: Das Solo von Mike Campell (etwa ab Minute 2.20), gespielt mit einer seltsam schönen Mischung aus Wah-Wah-Effekt und Hall, ist ein tongewordenes Tränenbächlein. Es mäandert so langsam die Wange herunter, dass es kaum auszuhalten ist.

Der optmistischen Grundidee steht hier also permanent ein dräuendes Unheil gegenüber, ein Wissen um kommende Enttäuschungen und vielleicht auch Verfehlungen – und diese Ambivalenz scheint charakteristisch für viele weitere Tom-Petty-Songs, vielleicht für sein lyrisches Wesen überhaupt. Ohnehin steht ja auf fast jedem Album Tom Pettys den harten Rock-’n‘-Roll-Stücken und so manchem Happy-go-lucky-Hit oft eine ebenso große Zahl an kontemplativen oder sogar schwer melancholischen Stücken gegenüber. Das hat Petty mit seinem ihm ansonsten völlig unähnlichen Namensvetter Tom Waits gemeinsam: Jedem Aufmucken folgt ein Jammern und Klagen, jedem Straßenfeger wieder eine schwermütige Ballade.

In den Nachrufen auf Tom Petty hat man sehr zurecht seine großen Verdienste in der Rockmusik hervorgehoben. Aber vergessen sollte man auch keinesfalls seine leisere, seine weiche und schwermütige Seite. Um nur einige Lieder zu nennen: „A Face in the Crowd“ – erstaunlich, wie man im Jahr 1989, das ansonsten mit die furchtbarste Popmusik aller Zeiten hervorgebracht hat, ein derart abgeklärt-stilsicheres Lied machen konnte! Tom Petty wirkt darin, als ob ihn in seiner felsenfesten Melancholie wirklich nichts aus der Ruhe bringen könnte. Into my heart, into my life.

„Damaged by Love“, sang er später, und „I hope you never fall in love with somebody like you“. Ganz früh wiederum hatte er schon behauptet: „Even the losers / Get lucky sometime“ – aber wer wollte das der zarten Stimme abnehmen, die es sang? Und wer wollte dem lyrischen Ich von „No Reason to Cry“ (2006) Glauben schenken? Auch hier behauptet die Musik doch ganz klar das Gegenteil. Mal schlug die Trauer auch um in Trotz: „You Got Lucky“ (1982), diese pochende Wunde von einem Lied mit der Aussage: Du wirst schon sehen, was Du an mir hattest!, zeigte sogar die latente Aggressivität eines tief Verletzten; dann wieder wusste Petty sie auch in Sarkasmus umzumünzen: „It’s Only a Broken Heart“, sang er 1994 auf seinem melancholischsten Album, „Wildflowers“.

Wenn man so will, hat Petty darauf auch das Thema von „Built to Last“ und die darin angedeuteten Fehltritte wieder aufgenommen. Auf „Wildflowers“ nämlich findet sich, während man über das schönste streiten kann, Tom Pettys wohl allertraurigstes Lied. Es singt darin ein Geschlagener, der am Boden liegt und nur noch kriechen kann: „Crawling Back to You“.

Der Song setzt ein mit erratischen Flötentönen, bei denen man einen irren Schamanen vor sich zu sehen glaubt, dann langsam findet der Gitarrist die Mollakkorde. Und wenn dann endlich die Band einsetzt, das Schlagzeug mit dieser so wunderbar klingenden Snaredrum auf der makellosen Rick-Rubin-Produktion, bei der jeder Schlag wie ein Peitschenhieb sitzt, trifft es einen mit aller Macht:

Waiting by the side of the road
For day to break so we could go
Down into Los Angeles
With dirty hands and worn out knees

I keep crawling back to you
I keep crawling back to you

The ranger came with burning eyes
The chambermaid awoke surprised
Thought she’d seen the last of him
She shook her head and let him in

I keep crawling back to you
I keep crawling back to you

Hey baby, there’s something in your eyes
Tryin‘ to say to me
That I’m gonna be alright if I believe in you
It’s all I want to do

It was me and my sidekick
He was drunk and I was sick
We were caught up in a barroom fight
Till an Indian shot out the lights

I’m so tired of being tired
Sure as night will follow day
Most things I worry about
Never happen anyway

Das Lied beginnt wie eine Art Landstreicherballade: am Straßenrand im Morgengrauen. Von einem „We“ ist die Rede – wer mag das sein, mexikanische Einwanderer? Sie wollen nach Los Angeles, „with dirty hands and worn out knees“ (erstaunlicherweise reimt sich das). Da werden Erinnerungen an John Steinbeck und seinen Tom Joad wach: Es könnten auch Sandsturm-Flüchtlinge in der Zeit der Großen Depression sein, auf dem Weg nach Westen. Aber dann ist diese mit wenigen Strichen gezeichnete Szene auch schon wieder vorbei, und auf einmal tritt ein lyrisches Ich auf: „I keep crawling back to you“. Steht es in irgendeiner Verbindung mit dem vorherigen „Wir“? Man weiß es nicht.

Die zweite Strophe, die von einem „Ranger“ und einer „Chambermaid“ erzählt, könnte in einer ganz anderen Zeit spielen. Aber langsam wird klar, dass sich hier ein verbindendes Thema durchsetzt: Sie lässt ihn kopfschüttelnd wieder rein, heißt es, und dann kommt wieder der Refrain, diesmal womöglich aus dem Mund des Rangers: Ich krieche immer wieder zu dir zurück.

Es wäre wohl kein Tom-Petty-Song, wenn es dann nicht wenigstens einen Lichtblick gäbe: „Es ist alles o.k., wenn ich in Deine Augen seh“, könnte man ihn zusammenfassen. Aber dann muss das Lied doch noch einmal zurück in eine Strophe, und plötzlich steht der Gesang, steht Tom Pettys Stimme ganz nackt da, mit nur minimaler Begleitung:

It was me and my sidekick
He was drunk and I was sick

Das ist so einfach gesagt, und doch von so großer poetischer Schönheit. Das Ich trifft seinen Doppelgänger, und beiden geht es mies. Dann beginnen sie eine Kneipenschlägerei:

We were caught up in a barroom fight
Till an Indian shot out the lights

Wieder weiß man nicht, wann und wo sich das zuträgt: Im Wilden Westen? Heute? Jedenfalls in der Vorstellung des Sängers, der seiner Müdigkeit müde ist. Und der wie nebenbei dann noch eine tiefe Weisheit von sich gibt:

Most things I worry about
Never happen anyway

Mit Tom Pettys überraschendem Tod scheint dieser Spruch auf bittere Weise widerlegt. Aber dann kommt ja nochmal, noch mehrmals die Zeile „I keep crawling back to you“, die nun für uns, die Hörer, eine ganz neue Bedeutung annimmt. Ja, er wird uns noch lange immer wieder ins Ohr kriechen.

Das kuriose Ende vom Lied, das bei aller Bitterkeit auch einen Funken Humor hat, erscheint wie eine Abwandlung des Spruches „It ain’t over til the fat lady sings“: Es ist nicht vorbei, bis der Indianer das Licht ausschießt. Wir sind mit auf den Knien. Möge die Straße immer wieder hart sein, aber Tom Petty in Frieden ruhen.