Pop-Anthologie

Joni Mitchell: „Free Man in Paris“

In diesem Song geht es um Pop als Geschäft. Aber nicht so, wie man es von einem Hippie-Mädchen erwarten würde. Joni Mitchells meist-gecovertes Lied ist eine raffinierte Bauchrednernummer.

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© picture-allianceJoni Mitchell

Free Man in Paris

The way I see it he said
You just can’t win it
Everybody’s in it for their own gain
You can’t please ‚em all
There’s always somebody calling you down
I do my best
And I do good business
There’s a lot of people asking for my time
They’re trying to get ahead
They’re trying to be a good friend of mine

I was a free man in Paris
I felt unfettered and alive
There was nobody calling me up for favors
And no one’s future to decide
You know I’d go back there tomorrow
But for the work I’ve taken on
Stoking the star maker machinery
Behind the popular song

I deal in dreamers
And telephone screamers
Lately I wonder what I do it for
If l had my way
I’d just walk through those doors
And wander
Down the Champs Elysées
Going cafe to cabaret
Thinking how I’ll feel when I find
That very good friend of mine

I was a free man in Paris
I felt unfettered and alive
Nobody was calling me up for favors
No one’s future to decide
You know I’d go back there tomorrow
But for the work I’ve taken on
Stoking the star maker machinery
Behind the popular song

© 1973; Crazy Crow Music

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Ein ungewöhnlicher Pop-Song: Es geht nicht um Liebe, obwohl eine Frau singt und sie auch die Autorin des Textes ist. Es geht nicht um die letzten Dinge der Menschheit, um Pop-Metaphysik wie bei Dylan, Cohen und Patti Smith – den Singer/Songwritern, die literarisch ähnlich anspruchsvolle Texte wie Joni Mitchell geschrieben haben. In „Free Man in Paris“ geht es um das Geschäft Pop. Erstaunlicherweise aber nicht so, wie man es von einem Hippie-Mädchen erwarten könnte. Immerhin ist Joni Mitchell mit „Woodstock“ Verfasserin einer der großen Hippie-Hymnen, von Crosby, Stills, Nash & Young zum Hit gemacht: Mitchell beweint in „Free Man in Paris“ nicht, dass zarte, poetische Seelen vom Moloch Musikindustrie ausgesaugt oder dass ihre Reinheit durch Geld und Erfolg befleckt wird. „Free Man in Paris“ ist kein Lied über den Ausverkauf der eigenen Ideale und Authentizität an den Erfolg, ein bis heute beliebtes Genre popkultureller Selbstreflexion von Pop- und Rockmusiker*innen sowie der Pop-Kritik. „Free Man in Paris“ reflektiert stattdessen die Produktionsbedingungen und die Produktion von Stars und von Emotionen, mit denen sich dann weltweit Millionen von Menschen identifizieren können. Ein Lied über die „star-making machinery behind the popular song“. Und das ganz konkret: Mitchell hat den Text aus Äußerungen ihres eigenen Produzenten David Geffen entwickelt.

„Free Man in Paris“ ist eine Bauchrednernummer, ein Rollengedicht – und stellt so auch viele klassische Rollenklischees auf den Kopf: Die Produzierte, also das Geschöpf, Joni Mitchell, leiht ihrem Schöpfer – Geffen war für den kommerziellen und künstlerischen Erfolg Mitchells grundlegend –nicht nur ihre Stimme. Sie macht ihn zu ihrem künstlerischen Material, in gewisser Weise erschafft sie ihn erst als Figur, die spricht. In der durch ihre Höhe besonders weiblich codierten Folkpop-Stimme von Joni Mitchell hält David Geffen einen Monolog über das Pop-Geschäft und seine Rolle darin: „The way I see it, he said“.

Läse man den Text nur, könnte man den Eindruck gewinnen, man hörte dem typischen, selbstmitleidigen Gejammere eines Managers zu, der erzählt, was für ein unglaublich stressiger Job das alles ist und er am liebsten hinwürfe, damit auch alle wissen, wie unglaublich wichtig er ist.

Lately I wonder what I do it for
If l had my way
I’d just walk through those doors
And wander
Down the Champs Elysées
Going cafe to cabaret

Aber so einfach ist es nicht. Mitchell macht sich als Texterin und als die Stimme, die das singt, diesen Inhalt auch zueigen – und der ändert sich damit. Es erscheint etwas, was auch heute noch nicht selbstverständlich ist und 1974 so etwas wie ein Regenbogen-Einhorn war: die Möglichkeit einer mächtigen Frau in der Kreativ-Industrie. Zumindest haben das einige Mädchen und junge Frauen, die das Lied in den siebziger Jahren hörten, so verstanden – und daraus Inspiration und Motivation für die eigene kreative Karriere gezogen:

„A woman singing those lyrics and referring to herself as a man living independently in Paris was eye-opening. The way she sang, in that high voice, captured the secret desires of women and their complex emotions—wanting to be independent and loved, not wanting to be too different, wanting to take a chance but not taking a chance.“ So beschreibt Candace Bushnell, Bestseller-Autorin und Erfinderin von „Sex and the City“, der Serie für weiße Karriere-Frauen in den Nuller-Jahren, wie sie „Free Man in Paris“ verstand.

Kreativ-Management als Gefühlsarbeit

Tatsächlich leiht sich Joni Mitchell die Figur des „Free Man in Paris“, um auf eine Weise über die eigene Position im Pop-Business zu sprechen, die in den 1970er Jahren nicht für Frauen vorgesehen war: als Profi und Geschäftsfrau. Selbst heute werden Pop-Mogulinnen wie Beyoncé für das selbstbewusste Reklamieren dieser Rolle von vielen Seiten angegangen, während ihrem Mann Jay-Z  nie die Legitimität abgesprochen wird.

Mitchell spricht in „Free Man in Paris“ also auch von sich selbst. Schließlich war sie 1974 schon längst einer der größten Stars der Folk- und Pop-Szene, trat in den wichtigen amerikanischen TV- und Radio-Shows auf und war ein Poster Girl der Hippie-Generation. Nur eben ohne Drogen-Karriere und Esoterik-Affinität.

Ohne das „he said“ gleich in der ersten Zeile könnte die erste Strophe des Songs auch ihre Situation beschreiben:

You can’t please ‚em all
There’s always somebody calling you down
I do my best
And I do good business
There’s a lot of people asking for my time
They’re trying to get ahead
They’re trying to be a good friend of mine

Durch die Überlagerung von weiblicher und männlicher Sprechposition kann die Figur, die hier zur Sprache kommt, auch über Dinge in ihrem Business sprechen, über die man als erfolgreicher Produzent nicht spricht – weil sie ja für toughe Kerle und Medien-Mogule gar kein Problem sind: Die Verquickung von Emotionalität, Persönlichkeit und Business, die das Musikgeschäft wie wohl alle Kreativ-Industrien prägt. Kreativ-Management als Gefühlsarbeit. In ihrem Songtext lässt Mitchell dabei die saubere Trennung zwischen den guten, weil authentischen Gefühlen und dem geschäftlichen Teil, dem Business, kollabieren. „Everybody’s in it for their own gain“. Träumer und Leute, die einen am Telefon anschreien, fallen in dieselbe Kategorie:

I deal in dreamers
And telephone screamers

Wobei das Verb „to deal“ hier seine ganze Ambivalenz ausspielen kann: „to deal in“ lässt sich als „handeln mit“ übersetzen. Ob das eher heißt, dass der, der hier spricht, solche Typen verkauft – also zu einem marktfähigen Produkt, zu einem Star macht, oder dass er sich jeden Tag mit solchen Typen herumschlagen muss oder ob es das gleiche ist, bleibt offen. Klar ist nur: In diesem System sind Freunde Geschäftspartner und Geschäftspartner Freunde – das Soziale ist das Ökonomische. Im Prinzip wie bei der Mafia.

Paris, Champs-Elysées

Das Gegenbild zu dieser Welt scheint im Refrain des Liedes auf: Paris.

I was a free man in Paris
I felt unfettered and alive

Paris ist seit der Belle Époque der Sehnsuchtsort amerikanischer Kreativer. Schon Henry James schickte seine amerikanischen Helden dorthin, um sie sich zu einer wirklich interessanten Persönlichkeit entwickeln zu lassen. In den zwanziger Jahren legten zahlreiche amerikanischen Expats, ehemalige Soldaten oder Millionärstöchter, dort die Grundlage der amerikanischen modernen Literatur und befreiten sich von ihren puritanischen Verklemmungen. In den fünfziger Jahren suchten hier schwarze oder als Kommunisten verschriene amerikanische Künstler eine Zuflucht vor den hysterischen politischen und rassistischen Konvulsion im „land of the free and home of the brave“. In den Siebzigern wurde es dann zum Fluchtort von Stars wie Jim Morrison, der hier sowohl vor seinem Ruhm, den Verpflichtungen, weiter Platten mit den Doors aufnehmen zu müssen als auch vor der Strafverfolgung wegen seines Drogenkonsums Schutz suchte. 1977 entzieht sich dann Roman Polanski seiner Verurteilung wegen Vergewaltigung einer Dreizehnährigen – und zieht nach Paris, um sich dort von der französischen Film- und Kulturszene als Film-Genie feiern zu lassen. Aber so tief ist man 1974 noch nicht gesunken.

Für „David Geffen“ bedeutet Paris eine nostalgisch gefärbte Erinnerung an eine Zeit ohne Verpflichtungen, eine Zeit, in der ein Besuch in einer Musik-Kneipe nicht zum Casting wird, eine Zeit, in dereinen kein ehrgeiziger Popstar in spe am Telefon anschreit, eine Zeit, in der man einfach so für sich, unerkannt, die Straße entlang schlendert – eine Welt, in der Ökonomie keine Rolle spielt oder in der man zumindest selbst frei von seiner ökonomische Rolle ist. Paris als Stadt der Bohème, in der man tatsächlich einen besten Freund haben könnte, anstelle eines Business-Netzwerks.

Thinking how I’ll feel when I find
That very good friend of mine

Als aktive, lebendige Stadt der Kunst und der Künstler*innen gibt es Paris in diesem Lied nicht mehr, vielleicht noch als Stadt der Liebe – in einer Art Translatio Imperii sind die Kunst und die (aktiven) Künstler*innen weiter nach Westen gezogen: Kalifornien, das Hippie-Traumland, ist längst der Ort, wo die Musik spielt. Und das professionelle Ethos des amerikanischen Westens („A man’s got to do, what a man got to do“) ist stärker als die Verlockungen der Bohème-Nostalgie. Der „Free Man in Paris“, dieses Amalgam aus Joni Mitchell und David Geffen, aus einem Business-Profi und einem Hippie, verlässt nicht einfach das Studio in Los Angeles und verschwindet für immer in die imaginäre Freiheit Paris’. Ganz im Gegenteil: Er/sie macht sich an die Arbeit, den eigenen Anfall von Nostalgie in ein Kunst-Produkt zu verwandeln, in den Song „Free Man in Paris.“

You know I’d go back there tomorrow
But for the work I’ve taken on
Stoking the star maker machinery
Behind the popular song

Erschienen ist „Free Man in Paris“ 1974, auf „Court and Spark“, dem sechsten Studio-Album von Joni Mitchell. Das Album erreichte Platz 2 in den Album-Charts der Vereinigten Staaten, Platz 2 in Kanada. Das Lied selbst schaffte es bis auf Platz 22 der Billboard Hot 100 und gehört damit zu den kommerziell erfolgreichsten Werken Mitchells, und zu ihren am meisten gecoverten.