Pop-Anthologie

The Beach Boys: „Surfin‘ U.S.A.“

Der größte Hit der Beach Boys hatte mit dem Leben seines Schöpfers Brian Wilson wenig zu tun. War das auf verschlungenen Wegen die Voraussetzung für seine ungewöhnliche Eingängigkeit?

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Brian Wilson von den Beach Boys

Surfin’ U.S.A.

If everybody had an ocean
Across the U.S.A.
Then everybody’d be surfin’
Like Californi-a
You’d seem ’em wearing their baggies
Huarachi sandals too
A bushy bushy blonde hairdo
Surfin’ U.S.A.

You’d catch ’em surfin’ at Del Mar
Ventura County line
Santa Cruz and Trestle
Australia’s Narrabeen
All over Manhattan
And down Doheny Way

Everybody’s gone surfin’
Surfin’ U.S. A.

We’ll all be planning that route
We’re gonna take real soon
We’re waxing down our surfboards
We can’t wait for June
We’ll all be gone for the summer
We’re on surfari to stay
Tell the teacher we’re surfin’
Surfin’ U.S.A.

Haggerties and Swamies
Pacific Palisades
San Onofre and Sunset
Redondo Beach L. A.
All over La Jolla
At Waimea Bay

Everybody’s gone surfin’
Surfin’ U.S.A.

Everybody’s gone surfin’
Surfin’ U.S.A.

Everybody’s gone surfin’
Surfin’ U.S.A.

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Wenn jeder ein Meer vor der Haustüre hätte, in den gesamten United States of America, ja, dann würde jeder surfen, wie man es in Kalifornien zu tun pflegt: „If everybody got an ocean / Across the U.S.A. / Then everybody’d be surfin’/ Like Californi-a.“ Diese kindlich-phantastische Wenn-Dann-Utopie entwarf Beach Boys-Sänger und -Songwriter Brian Wilson in seinem Lied „Surfin’ U.S.A.“, das 1963 auf dem gleichnamigen Album veröffentlicht wurde. Dabei hatte der Kalifornier in Wahrheit selbst nie auf einem Surfbrett gestanden.

Doch obwohl hier nicht einmal die Voraussetzungen stimmten, lösten Wilson und seine Band mit diesem Lied weiland tatsächlich einen regelrechten Surfer-Boom aus – wenn auch nicht ganz so staatenumspannend, wie in „Surfin’ U.S.A.“ beschrieben. Aber dazu hätte es ja auch eines ganzen Ozeans bedurft (vielleicht dachte Wilson auch eher an eine Armada an Mini-Meeren, die sich über das Land verteilten). Den nötigen Look zum Lebensgefühl gaben Wilson und seine Band gleich mit vor, konsequent im Konjunktiv: „You’d see ’em wearing their baggies /Huarachi sandals too / A bushy bushy blonde hairdo / Surfin’ U.S.A.” – man würde sie, die Surfer, ihre Baggypants tragen sehen, dazu blonde Wuschelhaare und Huarachi-Sandalen (ursprünglich eine Art Sandale mexikanischer Ureinwohner). Das Ganze entspricht dem Surfer-Abziehbild noch heute.

In der nächsten Strophe werden nun alle erdenklichen Regionen und Orte besungen, an denen künftig gesurft werden sollt – die echten Surfer-Strände ließ sich Wilson vom Bruder seiner damaligen Freundin durchgeben, der als aktiver Surfer offenbar auch lose Inspirationspate stand für das bis heute berühmteste Lied der Beach Boys. Es folgt dann eine Strophe, welche die sommerliche Vorfreude auf das sportliche Vergnügen beschwört: „We’ll all be planning that route / We’re gonna take real soon / We’re waxing down our surfboards / We can’t wait for June / We’ll all be gone for the summer / We’re on surfari to stay / Tell the teacher we’re surfin’ / Surfin’ U.S.A.“

Man kann leicht Beispiele finden, die Brian Wilsons Talent als Songwriter noch eindrucksvoller belegen als dieses Lied. Fündig würde man vor allem auf dem Album „Pet Sounds“, bei dem herzzerreißend schönen „God Only Knows“ oder dem vielleicht noch schmerzhafteren „I Know There’s An Answer“, in dem Wilson einen schlechten LSD-Trip verarbeitet (für beide Lieder sind übrigens jeweils weitere Schreiber als Urheber gelistet, und auch für „Surfin’ U.S.A.“ meldet bis heute Co-Gründungsmitglied Mike Love seine Ansprüche an). Das Klischee von der Musik oder allgemeiner vielleicht noch: der Kunst, die die Welt verändert, erscheint in „Surfin’ U.S.A.“ aber in seiner sinnigsten, weil zugleich ad absurdum geführten Leibwerdung. Alles an diesem Song war Initialzündung, der Text, aber auch der von Wilson kreierte Sound mit den allenfalls an Chuck Berry geschulten Beats. Selbst die Entstehung des „California Myth“, diesem über-idealisierten Kalifornien, das nur kurze Zeit später wichtige Säule der Hippie-Bewegung werden sollte, wird dem Lied neben anderem zugeschrieben. „Surfin’ U.S.A.“ lieferte nicht nur den Soundtrack, sondern auch die inhaltliche Vorlage für einen Lifestyle, der erst noch zu kreieren war – und der von seinem Erfinder und Besinger kaum weiter hätte entfernt sein können. Und dann, durch die Hintertür, veränderte das Lied dessen Leben dann doch drastisch, nicht zuletzt dadurch, dass es erst einmal ganz banal finanzielle Unabhängigkeit mit sich brachte.

Bis heute unverändert

Während die halbe Welt nun dank Wilson und den Beach Boys Jahre lang aufs Surfbrett stieg und an die gar nicht einmal so Hawaii-esken Stränden Kaliforniens pilgerte, entschied er sich seiner eigenen Legende nach dafür, ein ganzes Jahr lang im Bett zu liegen, um die Wunden der vergangenen Jahre heilen zu lassen, die sein strenger Vater und das von ihm einst angestoßene Projekt „Beach Boys“ mit all seinen Folgen aufgerissen hatten (zum Zusammenbruch kam es Anfang der siebziger Jahre allerdings kurioserweise erst nach dessen Tod). Bis heute leidet der Musiker unter starken Angstzuständen; die ständigen Misshandlungen durch den Vater und der Nachhall plötzlichen Ruhms auf eine sensible Persönlichkeit hat Schauspieler Paul Dano als Wilson in „Love & Mercy“ eindrucksvoll dargestellt. In seinen Memoiren fasste Brian Wilson das Flickwerk seiner Identität auf seine sehr eigene Art zusammen:  „My story is a music story and a family story and a love story, but it’s a story of mental illness, too.”

Das bemerkenswerteste an dieser Phantasieuniversums-Surferhymne aber ist vielleicht, dass sie bis heute unverändert in Wilsons Repertoire verblieben ist. Einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit, auch nur eine zarte Verweigerung, alte Schinken wie anno dazumal zu spielen, wie sie bei einigen seiner Altersgenossen gang und gäbe ist, sucht man bei Wilson vergebens. Das wiederum führt dazu, dass sich von „Surfin’ U.S.A.“ noch heute der Hawaiihemd-Träger ebenso angesprochen fühlen darf wie der „Pet Sounds“-Fan, der sich am offiziellen Merchandise-Shirt mit Albumcover zu erkennen gibt. Man darf vermuten, dass man mit „Pet Sounds“ das berühmte „persönlichste Album“ des Künstlers auflegt. Sicher sein kann man sich nicht.

© F.A.Z., Michael KretzerBrian Wilson 2017 in Frankfurt

In der Frankfurter Jahrhunderthalle jedenfalls, in der Wilson im Spätsommer 2017 zu Gast war, legte der damals 75 Jahre alte Kalifornier noch eine regelrechte Greatest Hits-Zugabe hin, die vielleicht vor allen anderen Dingen vom ausgeprägten Dienstleistungsverständnis eines Künstlers und Showmasters zeugte, der gar nicht anders kann, als genau dies zu sein.  Nach einer kurzen Pause kam Brian Wilson langsam auf die Bühne gehinkt, er musste sich dabei stützen lassen, bis er irgendwann schließlich am Flügel angekommen die weltberühmten Akkorde in die Tasten hauen konnte, die auch die Spätergeborenen unweigerlich auf dieses eine Lied einstimmen. Der Saal wurde heller gedimmt, alle strömten nach vorn, auch die „Pet Sounds“-Fans, und klatschten im Rhythmus einer Hymne, die nicht dem Leben ihres Schöpfers galt und die vielleicht gerade deshalb jedem überall gelten darf: „Haggerties and Swamies / Pacific Palisades / San Onofre and Sunset / Redondo Beach L. A. / All over La Jolla / At Waimea Bay / Everybody’s gone surfin’ / Surfin’ U.S.A.“