Pop-Anthologie

David Bowie: „Where Are We Now“

Mit diesem still lancierten Song über seine Berliner Jahre ging David Bowie 2013 ein Risiko ein. Doch ihm gelang, auch mit dem Video, eine Raketenzündung.

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Als „Where Are We Now“ am 8. Januar 2013 erschien, hatte David Bowie eine Reihe von Mutproben hinter sich. Er wurde an diesem Tag 66 Jahre alt. Seit zehn Jahren hatte er nichts veröffentlicht, seit sieben Jahren war er nicht aufgetreten. Das Risiko, sein imponierendes Werk im fortgeschrittenen Alter mit einem Flop zu beenden, war hoch.

Zu seiner Persona gehörte die Überraschung, indem er zwischen musikalischen Genres flirrte, um in jedem als Avantgarde zu brillieren. „Ich fühle mich keinem Musikstil verpflichtet“, sagte er in einem Interview, „ich kann Ziggy Stardust sein und dann wieder ein anderer.“ Dauer im Wechsel sozusagen, aber immer als Verführer, als „Mann, der vom Himmel fiel“, schillerndes Outfit und Styling inbegriffen. Also Glanz und Glamour mit 66? Wahrscheinlich hätte er auch das geschafft, aber er wählte einen anderen Weg. Da der Song eine eher konventionelle Ballade war, musikalisch schmeichelnd, doch kein Neuland, dazu als Text eine Assoziationskette, die nicht jeder in Idaho oder Tokio nachvollziehen konnte, wurden Innovation und Risiko ins Video verlegt. Tony Oursler, ein Fotograf und Installationskünstler, drehte es in zwei Tagen in seinem New Yorker Studio, und indem es gegen alle Regeln der Werbung verstieß und die Wahrheit nicht verdeckte, sondern öffentlich machte, gelang die berühmte Raketenzündung.

Song und Video wurden zudem ohne Begleitlärm in die Welt gesetzt, sozusagen als nackte Geburt, eine weitere Mutprobe. Kein Presseservice, keine Ankündigungen, kein Getrommel. Einfach ein neuer Post auf Bowies Webseite mit der Information, dass diese Single Teil eines neuen Albums namens „The Next Day“ war. Auch später blieb Bowie unerreichbar und überließ seinem Produzenten Tony Visconti die Rolle der „irdischen Stimme“. Visconti erzählte, dass die Musik früher fertig war als der Text, mit dem Bowie dann eines Morgens ins Studio spazierte. Erinnerung sollte das Thema sein, Zeit, Vergänglichkeit, Wandel, Verlust, konkretisiert in Bildern aus den Berliner Jahren. Keine Geschichte, nur ein paar Locations, deren deutsche Bezeichnungen ein imaginäres Berlin beschwören. Ein Mix aus Wirklichkeitspartikeln und Allgemeinplätzen, die eher Seufzern gleichen als Aussagen. Space meets Time, und während die Ortsnamen dokumentarisch genug klingen, um bei Europäern die innere Kamera klicken zu lassen, rückt die Zeit sie in die Ferne, da sie nicht mehr sind, wie sie waren.

So sucht auch die Titelfrage keine Antwort, sondern entfaltet sich einfach. Ihr Staunen, ihre Melancholie gelten immer, ob 2013 oder heute, im Corona-Lockdown, wo wir noch mitten im Now stecken und nur mühsam abschätzen können, was in diesen Wochen keimt. „The moment you know“ ist ebenso vieldeutig: es kann den konkreten Augenblick meinen, an den das Ich oder das Du oder beide sich erinnern, aber auch das Nunc stans des Ewigen oder, dritte Möglichkeit, den Moment des Rückblicks, der Erkenntnis, da man plötzlich begreift, was eine vergangene Episode oder Begegnung bedeutete und welche Folgen sie hatte. Der Songtext öffnet ein Buch, dessen Seiten das nicht mehr existierende Tacheles und die Nürnberger Straße zeigen, die Siegessäule, den Dom, aber auch den Zeitstrom selbst („walking the dead“, „as long as there’s rain“, usw.).

David Bowie lebte in den Siebzigern zwei Jahre in Berlin, zusammen mit Iggy Pop bewohnte er eine Sieben-Zimmer-Altbauwohnung in Schöneberg. Er kam aus Kalifornien, war kokainabhängig und körperlich fast ein Wrack. Das eingemauerte West-Berlin, wo immer noch Nachkriegszeit herrschte, der Fluchtort mit Inselfeeling und mythischen Clubs („Dschungel“), entpuppte sich für ihn als der genau richtige Ort. Im Hansa-Studio, einem historischen Ballsaal, nahm er die „Berliner Trilogie“ auf, darin „Heroes“, Trost für Millionen bis auf den heutigen Tag.

Das Video zeigt die Orte in Schwarz-Weiß-Kamerafahrten, aber den Kick bilden die beiden gequetschten Stoffpuppen, in deren ovalen Kopflöchern die Gesichter von Ourslers Frau Jacqueline Humphries und David Bowie erscheinen. Aller Glitzer (bis auf ein hingehauchtes Kajal) ist verschwunden, der Star reduziert auf Stirn, Augen, Nase, Mund und Falten, Falten. Auch die Stimme kommt wie sie wohl ist, als kriegte sie es gerade noch hin. Gesicht und Stimme verklären nichts, im Gegenteil, die Erinnerungen erzeugen kein Lächeln. Demonstriert wird die Zeit als Abgrund und die Sehnsucht, ihr nachzustürzen.

Am Ende lehnt ein seltsam alt-junger Mann an der Wand und starrt auf sein Leben. An seinem 69. Geburtstag erschien noch ein weiteres Album („Blackstar“). Drei Tage später starb er.

„Where Are We Now“

Had to get the train
From Potsdamer Platz
You never knew that
That I could do that
Walking the dead

Sitting in the Dschungel
On Nürnberger Straße
A man lost in time
Near KaDeWe
Just walking the dead

Where are we now?
Where are we now?
The moment you know
You know you know

Twenty thousand people
Cross Bösebrücke
Fingers are crossed
Just in case
Walking the dead

Where are we now?
Where are we now?
The moment you know
You know you know

As long as there’s sun
As long as there’s sun
As long as there’s rain
As long as there’s rain
As long as there’s fire
As long as there’s fire
As long as there’s me
As long as there’s you