Pop-Anthologie

Mazzy Star: „Fade Into You“

Was zieht uns immer wieder zu diesem Indie-Hit der Neunziger zurück? „Fade Into You“ von Mazzy Star sind fünf Minuten wattige Sanftheit im Dunkeln, womöglich auch nur ein Fiebertraum.

Es ist eine düstere und geheimnisvolle Welt, von der Mazzy Star in ihren Songs erzählen. Überall lauern Schatten, und wer sich von ihnen verschlucken lässt, dem werden die Augen blind und die Sinne stumpf. Da ist so viel leerer Raum, in dem man sich verlieren kann, und so viel nutzlose Zeit zu verträumen. Liebe verfließt, und was lebendig war, zerfällt langsam zu Staub. Zurück bleibt häufig nur eine große, unbestimmte Sehnsucht, für die Mazzy Star dann oft gar keine Worte mehr brauchen, sondern nur ein paar Gitarrenakkorde.

„Fade Into You“ von 1994 ist so ein Lied des kalifornischen Duos. Es geht darin um eine Liebe, die so stark ist, dass das lyrische Ich darin aufgehen und sich am liebsten ganz darin auflösen möchte. Doch das ist ihm verwehrt. Stattdessen bleiben die Gefühle unerwidert, sogar unbemerkt: „Fade into you / I think it’s strange you never knew“, heißt es im Text. 

Passenderweise trägt Sängerin Hope Sandoval den Text mit einer so ätherischen Stimme vor, dass ihr Gesang seinerseits nur knapp nicht im Klangteppich der Band aufgeht. Über der ganzen Aufnahme von „Fade Into You“ liegt zudem so viel künstlicher Hall, dass das Lied trotz seiner Melancholie nur wie ein zarter Hauch daherkommt. Alles an ihm ist wattige Sanftheit, langsam und verführerisch eingespielt, ein einziger, knapp fünf Minuten währender Fiebertraum.

Mit „Fade Into You“ gelang Mazzy Star ihre einflussreichste Single, sie markierte den Höhepunkt im siebenjährigen Bestehen der Gruppe. Kennengelernt haben sich der Gitarrist David Roback und die Sängerin Hope Sandoval schon am Ende der achtziger Jahre in Los Angeles. Roback spielte zuerst bei Opal, einer Band, die sich vornehmlich von den psychedelischen Rockbands der sechziger Jahre inspirieren ließ. Sandoval stieß später zu der Gruppe. Sie war eher von Folk geprägt, hatte aber auch schon mit den Lärmkünstlern von Sonic Youth auf der Bühne gestanden. Doch das interessierte sie nach einer Weile alles nicht mehr. Sie wollte etwas Neues, Eigenes anfangen, das sie von Anfang an mitgestalten konnte. Sie tat sich mit Roback zusammen.

Bald darauf wurde ein Album aufgenommen. Die übrigen Bandmitglieder von Opal wurden kurzerhand als Studiomusiker verpflichtet, sodass Mazzy Stars Debüt schon im Sommer 1990 in die Läden kommen konnte. Elf Songs waren auf der Platte, einer finsterer als der andere. Auf dem Eröffnungsstück, der träumerischen Ballade „Halah“, singt Sandoval: „Baby, ich wünschte, ich wäre tot.“ Und in diesem morbiden Stil geht es dann weiter, bis zum titelgebenden „She Hangs Brightly“ von einer Selbstmörderin die Rede ist, die sich an einem Baum aufgeknüpft hat.

Diese mitunter bizarren Todessehnsüchte schreckten das breite Publikum keineswegs ab. Der Langspieler wurde allseits mit heller Begeisterung aufgenommen. Es sei das „wohl umwerfendste Debüt des Jahres“ gewesen, stand später im renommierten britischen „Melody Maker“ über das Album. Die Kritikerin des „Rolling Stone“ fand es „kühl und schön zugleich“. Und dass Kurt Cobain, der wenig später zum Antihelden der Rockgeschichte wurde, „She Hangs Brightly“ zu seinen wichtigsten Einflüssen zählte, spricht ebenfalls Bände.

Von Mazzy Star angetan war bald auch die Musikindustrie. Weil ihr bisheriges Label Rough Trade so gut wie bankrott war, wechselten sie zur amerikanischen Plattenfirma Capitol. Alles deutete darauf hin, dass Mazzy Star am Anfang einer Weltkarriere standen. Aber gerade das wollten sie nicht.

Gleich zu Beginn gab David Roback zu verstehen, dass ihn Erfolg und Verkaufszahlen nicht interessierten. Darauf komme es ihm nicht an, sagte er noch vor dem großen Plattendeal mit Capitol zu einer amerikanischen Tageszeitung. Er wolle nämlich lieber frei bleiben, führte er aus, und vielleicht gehörte zu dieser Freiheit, dass das Duo kaum Presseanfragen beantwortete und nur selten auf Tour ging. 

Trotz der geringen Ambitionen in Bezug auf ihre Karriere arbeiteten Mazzy Star drei Jahre an ihrem zweiten Album, das noch besser und noch erfolgreicher wurde als das erste. „Fade Into You“ eröffnete das 51-minütige Werk, das insgesamt weniger finster und damit etwas zugänglicher ausfiel als der Vorgänger. Das Video zur Single schaffte es sogar in die MTV-Rotation, obwohl die meisten Szenen im Dunkeln gefilmt wurden und man fast überhaupt nichts sieht.

Drei weitere Jahre blieben Mazzy Star aktiv, ein Album erschien noch, dann konnten sie nicht mehr. Sandoval und Roback zogen sich aus der Öffentlichkeit zurück, der Erfolg behagte ihnen nicht. „Früher konnten wir tun und lassen, was wir wollten. Dann war da eine Plattenfirma, die sieben Millionen Tonträger verkaufen wollte und uns erklärte, wie das geht. Da stiegen wir aus.“ So minimalistisch, wie Mazzy Stars Musik gewesen war, so einfach war ihr Ende erklärt.

Hope Sandoval kehrte daraufhin zu ihren Folk-Wurzeln zurück. Mit Colm Ó Cíosóig von My Bloody Valentine trat sie als Hope Sandoval & The Warm Inventions auf und spielte weiterhin schwermütige Lieder, allerdings fast nur noch mit zurückhaltender akustischer Begleitung. Roback arbeitete als Produzent und Installationskünstler in Norwegen. Als die beiden sich 2013 entschlossen, noch einmal Material von Mazzy Star zu veröffentlichen, waren die Reaktionen wiederum durchs Band positiv. Sie hätten dort weitermachen können, wo sie so abrupt aufgehört hatten. Aber die zwei nahmen sich sofort wieder zurück.

Ihre weitere Zusammenarbeit beschränkte sich auf eine EP, die 2018 erschien. Im Februar ist David Roback im Februar an einem Krebsleiden gestorben. Und damit hat sich das Projekt Mazzy Star endgültig aufgelöst.

 

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I want to hold the hand inside you
I want to take a breath that’s true
I look to you and I see nothing
I look to you to see the truth
You live your life, you go in shadows
You’ll come apart and you’ll go blind
Some kind of night into your darkness
Colors your your eyes with what’s not there

Fade into you
Strange you never knew
Fade into you
I think it’s strange you never knew

A stranger’s light comes on slowly
A stranger’s heart without a home
You put your hands into your head
And then its smiles cover your heart

Fade into you
Strange you never knew
Fade into you
I think it’s strange you never knew
Fade into you
Strange you never knew
Fade into you
I think it’s strange you never knew
I think it’s strange you never knew