Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Eltern, die auf Smartphones starren

© Picture AllianceNicht auszuschließen, dass dieses Kind missbilligend auf das Smartphone seiner Mutter blickt

Kennen Sie sie auch? Diese modernen Mütter und Väter, die alle Hände voll damit zu tun haben, sich um all ihre Babys gleichzeitig zu kümmern: um ihr Kind und um ihr Smartphone. Eine Hand am Buggy, eine Hand am Display, verpassen sie vor lauter Tipperei die Grünphase an der Ampel. Im Supermarkt versperren sie mit ihrem Einkaufswagen den Gang, weil sie ihre Nachrichten checken, während sich ihr Kleinkind unbemerkt auf den Weg zum Süßigkeitenregal macht. Und auf dem Spielplatz hört man sie, den Blick auf das Handy gerichtet, auf „Mama, guck mal!“ immer erst mit Verzögerung antworten, oder mit: „Warte Schatz, gleich!“

Also, ich kenne diese Eltern. Wir gehören dazu, wenn Sie so wollen. Denn wir haben Kinder, und wir haben Smartphones. Wir benutzen sie häufig, auch im Beisein von Ben (4) und Lukas (zwei Monate). Und die oben beschriebenen Szenen sind zwar übertrieben, aber es ist nicht total abwegig zu glauben, dass sich die eine oder andere durchaus schon mal so ähnlich abgespielt haben könnte. Und nun – Feuer frei? Schließlich warnen Studienautoren und Medienpädagogen, dass mobile Telefone die Eltern-Kind-Beziehung störten und bei Kindern zu Verhaltensauffälligkeiten führten. Frustriert sei der Nachwuchs ob der fehlenden Aufmerksamkeit der „Smartphone-Eltern“, hyperaktiv und neige zu Wutanfällen, berichteten Forscher im amerikanischen Fachmagazin „Pedriatic Research“. In Hamburg hat kürzlich gar ein Siebenjähriger eine Kinderdemo gegen den nervigen Handykonsum von Eltern organisiert.

Das ist alles überaus beunruhigend. Ich fühlte mich beim Lesen der Studie, natürlich auf dem Handy, gleich ertappt und für einen Moment schuldig. Denn mein Mann und ich sind allein schon aus beruflichen Gründen ausgiebige Handynutzer, und zumindest an Wutanfällen herrscht bei uns zu Hause in letzter Zeit kein Mangel (wie Sie hier nachlesen können). Aber mit denen hätten wir ganz sicher auch ohne Smartphones zu kämpfen. Das vermeintlich unheilbringende Gerät komplett aus unserem Alltag zu verbannen, ist für uns jedenfalls nicht die richtige Lösung. Für mich ist das Smartphone längst nicht nur Telefon, sondern unter anderem auch Notizblock, Zeitung, Kochbuch, Terminkalender, Wecker, Fitnesscoach (zumindest habe ich die App dafür), Einkaufszettel, Supermarkt und Nachschlagewerk. Theoretisch könnte es sogar die Heizung hochdrehen, kurz bevor wir nach Hause kommen, oder das Licht ausmachen, wenn wir es mal wieder vergessen haben. Nur hapert es praktisch noch an der smarten Haustechnik dafür. Kurzum: Das Smartphone kann bei vielen Dingen des Alltags behilflich sein – gerade bei solchen, die oft im Familienleben anfallen und teilweise viel Mühe machen oder Zeit fressen. Gut möglich also, dass ich im Supermarkt mit meinem Einkaufswagen den Gang versperre, weil ich gerade durch meinen Einkaufszettel scrolle oder schnell noch mal google, welche Zutaten ich für das Abendessen brauche. Ist das verwerflich? (Ich komme natürlich noch am Süßigkeitenregal vorbei, und dort wartet Ben dann wahrscheinlich mit bettelndem Blick, aber ansonsten völlig unschuldig.)

Es gibt aber eine Sache, für die ich dem Smartphone noch dankbarer bin als für die Einkaufshilfe: Es ermöglicht, die Welt mit Kindern ganz anders zu erklären und zu erleben als früher. Klar sollte man den Kleinen ihre Fragen möglichst mit eigenen Worten beantworten, mit ihnen Bücher anschauen, zum Erkunden der Natur mit ihnen in den Wald gehen, reisen etc.. Das tun wir auch, soweit möglich. Aber mithilfe des Smartphones können wir Ben auch zeigen, wie eine Rakete startet, ein Gewitter entsteht und unsere Straße aus dem Weltall aussieht. Wenn wir auf eine Frage keine Antwort wissen, können wir es schnell nachschlagen und lernen nicht selten selbst noch dazu (es soll Ehemänner geben, die Stunden damit zubringen, bei Wikipedia auf „Zufälliger Artikel“ zu klicken). Und wenn Ben der entfernt lebenden Tante sein neues Piratenschiff zeigen will, kann er das per Smartphone-Videoschalte tun. Ganz zu schweigen von den unzähligen Schnappschüssen, über die Oma und Opa aus der Ferne fast in Echtzeit an Bens Erlebnissen teilhaben (und sich in unsere Erziehung einmischen) können. All das wäre ohne Smartphone und Internet nicht möglich.

Noch ein Punkt zur Verteidigung des Smartphones als Familienmitglied: Mein Handy ist auch Auszeit, bewusste Ablenkung, Zerstreuung. Alles Dinge, die vermeintlich nicht nötig sind – und dennoch so elementar, gerade wenn man kürzlich ein Kind bekommen hat und dadurch in Sachen Freizeitgestaltung und Erwachsenenunterhaltung vorübergehend ziemlich limitiert ist. Ein Beispiel: Es gibt wenig Einsameres, als nachts um drei in gedämpftem Licht dem Saugen und Schmatzen eines hungrigen Säuglings zuzuhören. Das Smartphone hält mich in dieser Zeit wach und verbindet mich mit der Welt da draußen, während das schlaftrunkene Baby ohnehin keinen gesteigerten Wert auf Blickkontakt legt. Freilich könnte ich auch zu einem Buch greifen; wenn Sie zu jenen Menschen gehören, die in jeder freien Minute den Dostojewski zücken – herzlichen Glückwunsch. Ich für meinen Teil lese nachts um drei manchmal politische Analysen, manchmal Klatschgeschichten (und könnte mir Dostojewski jederzeit aufs Handy laden), oder ich beantworte Whatsapp-Nachrichten. Und habe das auch schon oft auf dem Spielplatz getan. Sandburgen sind etwas ganz Tolles, aber ich bin der Meinung, dass ich mein Kind nicht gleich fürs Leben versaue, wenn ich nicht auch noch bei seiner vierten Sandburg in Begeisterungsstürme und Lobeshymnen ausbreche, sondern zwischenzeitlich etwas lese oder schreibe.

Ja, es ist mir auch schon passiert, dass ich so vertieft in mein Handy war, dass ich meinem Sohn nicht sofort geantwortet habe, wenn er etwas zu mir sagte – wobei ich bisher noch immer unterscheiden konnte, ob es eine Wortmeldung der Sorte „Guck mal kurz“ oder „Ich brauche dich jetzt dringend“ war. Aber mein Mann und ich sind uns einig: Ben zeigt bislang keine Anzeichen für ein Aufmerksamkeitsdefizit, und das Neugeborene kann sich ebenfalls (noch) nicht beschweren. Manchmal habe ich eher das Gefühl, das Gegenteil ist der Fall: Oft genug kreist mein ganzes Denken und Tun nur noch um die Kinder. Hat Lukas heute schon in die Windel gemacht? Was hat Ben da für einen roten Fleck am Ohr? Holst du ihn von der Kita ab oder ich? Fahr mal schnell rechts ran, der Große muss kotzen. Es muss erlaubt sein, mich inmitten des täglichen Wahnsinns weiterhin auch um die Welt um mich herum zu interessieren. Und auch wenn es verrückt klingt: Manchmal können einen gerade Tiervideos, Low-Carb-Rezepte und Modesünden der Stars davor bewahren, verrückt zu werden.