Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Vielleicht noch schnell ein Hamsterrad kaufen

Tag 1: Kitas und Schulen sind seit heute geschlossen. Meine 5-jährigen Zwillinge sind zu Hause. Mein Mann und ich können im Home Office arbeiten. Das ist mit Kindern zwar nicht unbedingt entspannt, aber es geht. Irgendwie. Wie lange wir in dieser Isolation leben werden, kann derzeit niemand sagen. Experten gehen aber nicht von Tagen, sondern Wochen aus. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier appelliert: „Unsere Selbstbeschränkung heute, rettet morgen Leben.“ 

Kinder und gesunde Erwachsene unter 65 Jahren überstehen eine Infektion mit dem Corona-Virus meist ohne größere Probleme. Diese Tatsache wiegte mich lange in Sicherheit. „So schlimm wird es schon nicht werden,“ dachte ich mir. Aber hier geht es nicht um meine Kinder, meinen Mann oder mich. Hier geht es um meine Eltern, Schwiegereltern, den krebskranken Nachbarn oder die ältere Dame, die immer an unserer Bushaltestelle sitzt und dennoch nie in einen Bus einsteigt. Sie sitzt einfach nur da und lässt das Leben der anderen an sich vorbeiziehen. Es geht darum, diese Menschen zu schützen und dafür gibt es derzeit nur ein wirksames Mittel: zu Hause bleiben! 

Familien mit kleinen Kindern kennen die Situation. Krankheiten gehören zu unserem Alltag. Wer das erste Krippenjahr ohne Infektionen überstanden hat, schmeiße die erste Atemschutzmaske rüber. Meine beiden Söhne waren ständig krank. Mein Mann und ich auch. Alle zwei Wochen spielten wir „Catch me if you can“ und luden jedes Mal ein anderes der mehr als 300 unterschiedlichen Erkältungsviren dazu ein. 

Viren, die bei uns Erwachsenen gerade mal die Nase zum Laufen bringen, sorgen bei kleinen Kindern meist für hohes Fieber. Schon ab einer Temperatur von 38 Grad heißt es dann: Kindergarten- und Krippenverbot!  Das Kind soll sich zu Hause erholen und natürlich keine anderen Kinder in der Einrichtung anstecken. An diese Vorgabe halten sich aber längst nicht alle. Die Erzieherinnen in unserer städtischen Kita berichteten von Fällen, wo Eltern ihren Kindern Ibuprofen-Saft in die Trinkflaschen gemischt hatten. Diese Fiebersäfte sind wahre Wundermittel. Ein fiebriges, lethargisches Kind verwandelt ein Schluck Ibo in Nullkommanix wieder in einen tobenden Rabauken, der seine Keime fröhlich durch die Gegend prustet. Auch ich habe meine Söhne schon mal mit leichtem Fieber in den Kindergarten gebracht. Was sollte auch schon passieren, dachte ich mir. So ein bisschen Schnupfen ist ja keine schlimme Krankheit. Kinder sollen ja ihr Immunsystem trainieren. Meine Einstellung änderte sich schlagartig, als Madita in unseren Kindergarten kam. Die 6-Jährige hatte gerade eine Nierentransplantation hinter sich gebracht. Damit ihr Körper das neue Organ nicht abstößt, musste sie Medikamente nehmen, die ihr Immunsystem unterdrücken. Ein kleiner Schnupfen, so erklärte ihre Ärztin auf einem Elternabend, könnte für Madita wirklich gefährlich werden.  

Mit dem Corona-Virus verhält es sich nun ganz ähnlich. Ein bisschen Husten für die einen, Lebensgefahr für die anderen. Es ist richtig, dass das öffentliche Leben eingeschränkt und, Fußballspiele, Theaterveranstaltungen und Messen abgesagt werden. Auch der wöchentliche Mädelsabend mit meinen Freundinnen, das Familienessen am Sonntag und auch das Ostereiersuchen bei Oma im Garten werden für uns ausfallen. Das ist sehr schade, aber notwendig. Ich stelle mich in nächster Zeit auf ein Leben ein, dass sich in unseren vier Wänden abspielen wird. Und das wird anstrengend!

Mit zwei fünfjährigen Jungs über Tage, vielleicht Wochen, in der Wohnung zu hocken, ist in etwas so artgerecht wie die Haltung eines Rudels Huskywelpen in einem Apartment in Kuala Lumpur. Irgendwann werden die Kinder anfangen die Couch anzuknabbern. Vielleicht sollte ich noch schnell ein Indoortrampolin bestellen. Oder statt zu hamstern lieber gleich ein Hamsterrad im Großformat kaufen. Wir werden uns anschreien, genervt voneinander sein und zwischendurch ganz oft Rommé spielen. Es wundert mich nicht, dass in China, nachdem die Quarantäne-Regeln gelockert wurden, viele Ehepaare als erstes zum Standesamt liefen, um sich scheiden zu lassen. Auch für unsere Familie wird es eine Herausforderung, so viel steht fest. Aber was ist das schon im Vergleich zu dem, was auf die schwer Erkrankten, Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger alles zukommen wird?

Ich hoffe darauf, dass sich die Mum-Blogger-Blase vereinigt und jeden Tag das Netz mit Bastelanleitungen, Quarantäne-Spielen und sonstigen hilfreichen Tipps füllt, wie es zum Beispiel Mutti so yeah schon tut. Erziehungs-Influencer wie Supernanny Katharina Saalfrank könnten sich einschalten und Eltern dabei helfen, den Alltag zu strukturieren. Ich habe eine kleine Tafel aus dem Keller gekramt, auf der wir nun Tagesablauf festhalten wollen: Wann müssen Mama und Papa arbeiten, wann sollen sich die Jungs alleine beschäftigen, was gibt es zum Mittagessen und wann nehmen wir uns zu viert Zeit, um die Ritterburg aufzubauen. Mir selbst werde ich eine Corona-Ticker Auszeit verordnen. 

Es fühlt sich an, als ob jemand auf die Stopp-Taste in einem Film gedrückt hat. Eben noch Feelgood-Movie, jetzt angekommen in der Realität! Corona zeigt uns allen, dass auch wir in Europa nicht unverwundbar sind. Dass kollektive Krisen nicht nur woanders passieren, sondern hier. Ich wanke zwischen Pragmatismus, Endzeitstimmung und Faszination. Was passiert da gerade mit uns und der Welt? Wird es jemals so sein wie vorher? Und wollen wir überhaupt, dass alles so wird wie vorher oder ist nun der Moment der ultimativen Katharsis gekommen? 

Bis vor ein paar Tagen hätte niemand sich vorstellen können, was jetzt bereits Alltag ist. Läden machen dicht, Spielplätze schließen und sogar die Klopapierwitze werden weniger. Meine größte Sorge war noch vor zwei Wochen, ob unsere Wohnung Instagram tauglich ist. Ich bin fast ein bisschen erleichtert, dass mich das Weltgeschehen auf das wirklich Wesentliche zurück katapultiert hat.

Corona-Prävention ist keine Ansichtssache mehr. Wir hängen da alle mit drin. Und wenn wir das einmal verstanden haben, werden wir hoffentlich auch zukünftige Krisen besser bestehen können. Der Kampf gegen den Klimawandel ist da nur ein Beispiel von vielen. „Heute verzichten, um morgen Leben zu retten.“ Ja, diesen Spruch sollte man sich aufs Geschirrtuch sticken.

Und die Kinder? Tiago und Fabian finden die Coronaferien natürlich wunderbar. Sie verstehen zwar, dass da draußen irgendwo ein Virus unterwegs ist und dass sie sich nun gut die Hände waschen und dabei Happy Birthday singen sollten. Mehr wollen und müssen sie derzeit auch nicht wissen.

Für uns Erwachsene heißt es nun: Abwarten und Wein trinken. Und wenn das nichts hilft, haben wir immer noch Netflix.