Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Warum mir keine Katze ins Haus kommt

Katzen wie Kleiner Fuchs gehören in Griechenland zum Bild. Aber vergnüglich ist es nicht, beim Essen zuzusehen, wie sie eine Eidechse vertilgen. Foto Privat

Ich kann es nicht leugnen, ich mag keine Katzen. Schon als Kind waren mir die Biester unheimlich. In einem Moment streichen sie dir um die nackten Beine, schnurren, lassen sich streicheln, um dir urplötzlich und ohne Grund die Krallen in die Haut zu schlagen. Nein, um Katzen mache ich einen Bogen. Hunde sind mir lieber. Treu, brav und berechenbar, des Menschen bester Freund eben. Wir hatten früher immer Hunde.

Jetzt sind wir Eltern und haben keinen Hund, selbstverständlich keine Katze und auch sonst kein Haustier. Dabei fordern unsere Kinder, Theo (8) und Frida (6), regelmäßig: „Papa, ich möchte einen Hund.“ Oder fragen: „Papa, warum kriegen wir kein Haustier?“ Die Antwort ist einfach: Weil ihr euch nicht drum kümmern werdet, basta. Wir erleben es bei Bekannten: Nach spätestens zwei Wochen ist das Interesse am Hund, der vorher noch total süß war, verflogen. Dann gehen Mama und Papa mit dem Bello Gassi, weil die Kinder kein Interesse mehr an dem armen Tier haben. Ich möchte keinen Hund, weil ich keine Lust habe, mich um ihn zu kümmern. Wenn wir einen hätten, würde ich mich kümmern müssen.

Es gibt allerdings noch einen zweiten, ähnlich pragmatischen Grund, warum wir keine Haustiere und vor allem keinen Hund haben. Einmal im Jahr fliegen wir nach Kreta in den Urlaub. Hätten wir einen Hund, müsste er entweder mitfliegen oder jemand müsste sich während unserer Abwesenheit seiner annehmen. Beides wollen meine Frau und ich dem armen Kerl nicht zumuten. Wenn ich sehe, wie andere Touristen auf Flughäfen ihre verängstigten Hunde in diese engen Miniboxen verfrachten, tut mir das jedes Mal weh. Genauso unerträglich ist die Vorstellung, einen Hund für zwei oder mehr Wochen in die Obhut eines anderen zu geben. Ich möchte mir nicht ausmalen, welche Sehnsucht das Tier nach seiner Familie hat.  

Jetzt zu Kreta. Die größte griechische Insel ist berühmt für die Sonne, die Strände, die Berge, Sirtaki, die griechische Gastfreundschaft und ihre Katzen. Wer auf Kreta in einer Taverne isst, egal wo, kann sich darauf verlassen: Spätestens zwei Minuten, nachdem das Essen auf dem Tisch steht, tauchen aus dem Nichts mindestens eine, oft aber auch drei, vier Katzen auf. Sie belagern den Tisch.

Die Situation der meisten Katzen auf Kreta ist prekär. Es sind arme, zerzauste Kreaturen, sie leben mehr oder weniger wild, werden weder gefüttert noch medizinisch versorgt. Sie sind unterernährt, krank und tun mir unendlich leid. Trotzdem möchte ich sie nicht an meinem Tisch haben und darum verscheuche ich sie, den Protesten meiner Kinder zum Trotz.

In diesem Jahr hatten wir eine Unterkunft, in der drei Jungkatzen lebten. Wir hatten gerade im Schatten auf unserer Terrasse Platz genommen, genossen den Blick aufs Libysche Meer und wollten essen, als das Trio um die Ecke kam. Ich seufzte, aber unsere Kinder waren verzückt. Sie gaben den Tieren sofort Namen: Die Schwarze hieß Blacky, die Schwarz-Weiße Flecki und die Jüngste tauften sie Kleiner Fuchs. Nach dem Essen spielten die Kinder mit den Katzen.

Nachdem mein erster Ärger über die drei Biester verflogen war, (sie hatten versucht, unseren Tisch zu entern und waren dabei äußerst dreist, vor allem Roter Fuchs schien keinerlei Respekt vor mir zu haben, so dass ich ihn erst mit einem Spritzer Wasser verscheuchen konnte), sah ich mir die drei Tiere genauer an. Alle waren gesund, ihr Felle glänzten, ihre Augen waren klar. Trotzdem bestanden wir darauf, dass sich unsere Kinder nach jedem Kontakt mit den Katzen gründlich die Hände wuschen.

Die Katzen waren von jetzt an regelmäßig bei uns. Am nächsten Tag kam ein junges Mädchen vorbei. Es sagte, dass es jetzt nach Deutschland flöge und übergab Theo und Frida bedeutungsschwer eine Packung Katzenfutter. Sie nahm den beiden das Versprechen ab, Blacky, Flecki und Kleiner Fuchs damit zu füttern. Ich seufzte: Bis zum Ende unseres Urlaubs waren wir damit für Katzenfutter zuständig…

Wir stellten den Kindern eine Bedingung: Sie durften die Katzen füttern, aber nur auf einer Wiese, die weit von unserem Quartier entfernt war. Das klappte natürlich super: Die Kinder fütterten die Katzen auf der Wiese und kamen in Begleitung der drei zurück. Unsere Haustür war für die Katzen im Übrigen keinesfalls Endstation. Vor allem Kleiner Fuchs kannte keine Tabus. Mehrmals musste ich ihn aus unserem Haus jagen. Das schien sein Verhältnis zu mir aber kein bisschen zu belasten.

Beim nächsten Abendessen war das Trio wieder da und versuchte, den Tisch zu entern. Dieses Mal griff ich zum Wasserschlauch und konnte die Katzen vertreiben – für etwa zwei Minuten. Sie kamen zurück, hielten aber immerhin etwas Sicherheitsabstand. An einer Mauer erweckte plötzlich etwas ihr Interesse. Es war eine Eidechse. Das arme Tier war schnell, aber nicht so schnell wie Blacky. Die Katze erwischte das Reptil.

Auch das beste Essen, frisches, sonnengereiftes Gemüse, griechischer Feta und butterzartes Lamm schmeckt nur halb so gut, wenn in acht Metern Entfernung eine kleine Echse in den Fängen einer Katze vergeblich um ihr Leben kämpft. Ich erinnerte mich an Freunde, deren Katze ihren Besitzern jeden Tag ein anderes Geschenk brachte: Mal eine kleine Maus, einen kopflosen Spatzen oder einen halb zerteilten Maulwurf. Nein, Katzen würden mir nicht ins Haus kommen. Irgendwann erbarmte sich Blacky und verschlang die Echse. Ich erklärte unseren Kindern, dass Katzen eben Raubtiere sind und diese Grausamkeit in ihrer Natur liegt. Am nächsten Tag saß Theo vor unserer Haustür. Alle drei Katzen lagen auf ihm und ließen sich streicheln. Katzen und Kinder, unschlagbar und unzertrennlich.

Einmal lag ich auf einer Liege im Schatten und las ein Buch. Plötzlich sprang mir etwas auf den Bauch. Es war Kleiner Fuchs. Ich erschreckte mich fürchterlich und verscheuchte ihn. Eine Viertelstunde später kam er wieder und legte sich an meine Füße. Ich fragte ihn, ob er nicht verstehe, dass ich keine Katzen mag. Er hob kurz den Kopf, streckte sich und schmiegte sich an meinen nackten Fuß, als ob er das immer schon getan hätte. Ich ließ ihn liegen. Als würde das Tier ganz bewusst den Menschen erobern wollen, der es am wenigsten leiden kann.

An einem Morgen stand ich früh auf und ging mit einem Kaffee auf die Dachterrasse, um den Blick auf die See, die Berge und die Morgenstille zu genießen. Plötzlich streifte etwas meine Beine. Wieder war es Kleiner Fuchs. „Du bist komisch, Katze“, flüsterte ich. Er schmuste weiter. Und tatsächlich erwischte ich mich, wie ich plötzlich meinen Arm ausstreckte und das kleine Tier streichelte. „Händewaschen nicht vergessen, Papa“, dachte ich. Unten miaute jemand. Es war Flecki, der eifersüchtig, so schien es mir, nach oben schaute. Kleiner Fuchs blickte tiefenentspannt und maunzte zurück. Ich meinte, einen Triumph in diesem Maunzen zu hören.

Der Urlaub ging weiter, die Katzen kamen und gingen. Alle drei begleiteten uns bis zum Auto, wenn wir einen Ausflug machten. Ich kaufte Futter, eine große Packung. Wir gaben ihnen Wasser zu trinken. Irgendwann nicht mehr auf der Wiese, sondern direkt vor der Haustür. Dann kam der Tag des Abschieds. Meine Frau packte, ich verstaute das Gepäck im Wagen, die Kinder warteten, schauten und riefen. Die drei Katzen ließen sich aber nicht blicken. „So sind sie halt“, dachte ich. Die Enttäuschung der Kinder hielt sich erfreulicherweise in Grenzen. Sie hatten sich vorher schon von Blacky, Flecki und Kleiner Fuchs verabschiedet. Nein, eine Katze kommt mir nicht Haus. Basta. Und wenn irgendwann vielleicht doch, dann eher drei.