Schlaflos

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Das Familienblog der F.A.Z.

Wenn’s kracht mit der Kita

Kind und Mutter vor dem Eingang einer Kita in Berlin

Kürzlich hat es gekracht zwischen uns und der Kita unseres Sohns. Im Januar hatten wir uns mehr oder weniger freiwillig in Isolation begeben, weil die Kita kein Testkonzept einführen wollte und wir nicht riskieren konnten, dass Max erst sich und dann seinen kleinen Bruder mit Corona ansteckt. Danach hatte Max dann Schwierigkeiten, zurück zu seiner Kita-Routine zu finden. Er stieg morgens nicht aus dem Auto aus, heulte und versteckte sich. Schon am Abend vorher tobte er, dass er am nächsten Morgen nicht in die Kita wolle. Alle Kinder seien „benackt“ („beknackt sagt man nicht“) und er habe dort überhaupt keinen Spaß.

Wir wussten zwar, dass das nicht stimmte, weil es ihm vorher immer gut gefallen hatte, wollten ihm aber einen Moment zum Durchschnaufen geben und ließen ihn einen Tag zu Hause, quasi zum Erholen. Verständnis statt Druck, bindungsorientiert statt autoritär, und auf einen Tag mehr oder weniger kam es uns nicht an. Das stieß Gruppenleiterin Andrea sauer auf. Sie war erbost und ließ uns das via Sprachnachricht aufs Handy auch deutlich spüren. Wir seien nicht konsequent, ließen uns vom Kind herumkommandieren und erschwerten ihm den Wiedereinstieg und ihr die pädagogische Arbeit, warf sie uns vor. Inhaltlich vielleicht richtig, aber zumindest im Ton hatte sie sich völlig vergriffen.

Unsere Bitte, das in einem Gespräch zu klären, beantwortete Andrea mit einer schnippischen Sprachi: Es sei doch alles gesagt. Auf weitere Erklärungs-Sprachnachrichten von uns ging sie nicht richtig ein. Wir fühlten uns ein bisschen selbst wie Dreijährige, die ihre Tomatensuppe ausgekippt hatten.

Max zuliebe ließen wir den Streit nicht eskalieren. Wir fühlten uns zwar unverstanden und auch ein bisschen ungerecht behandelt, aber wir schluckten unseren Ärger hinunter und stellten unsere verletzten Egos hinten an. Wir hätten so viel zu sagen gehabt – aber wir kennen mehrere Familien, die sich in der gleichen Einrichtung so mit den Erzieherinnen überworfen hatten, dass ihnen letztlich keine andere Möglichkeit blieb, als für ihre Kinder einen anderen Betreuungsplatz zu  suchen. Und das ist für uns keine Option.

Max hängt an seinem Kindergarten. Er hat sich toll entwickelt seit er dort ist, kommt jeden Tag ausgeglichen nach Hause und hat noch nie ein schlechtes Wort über eine der Erzieherinnen gesagt.

Sich mit der Kita zu streiten, ist ein bisschen wie Streit mit dem Partner in einer langjährigen Ehe. Man ist emotional und hat manchmal auch etwas Angst, wie es danach sein wird, wenn man etwas anspricht, was einem nicht gefällt. Auch hier bestehen vielleicht Abhängigkeiten, die einen vom harten Cut abhalten. Zumindest lässt so ein Streit einen nächtelang wach liegen.

Dass Eltern unzufrieden sind mit der Betreuung ihrer Kinder, höre ich leider immer wieder. Bei einer Freundin stürzte das Kind in der Kita aus dem Kinderwagen, weil die Erzieher vergessen hatten, es anzuschnallen. Nach dem Wickeln war das Kind oft nur oberflächlich gesäubert. In unserer zweiten Krabbelstube nach dem Umzug wusste nie jemand, wann und wie lange Max geschlafen und was er gegessen hatte – in der ersten Einrichtung hatten wir das Tagesprotokoll immer etwas belächelt („Max hat gut gesnackt und ein großes Kacka gehabt“), es hatte uns aber natürlich im weiteren Tagesverlauf geholfen.

Mein Neffe musste im Kindergarten immer im Nebenraum „zur Strafe“ puzzlen, wenn er zu aufgedreht war – bis heute hasst er nichts so sehr wie Puzzles. Einmal holte meine Schwester ihn ab, als er zusammen mit einem anderen Dreijährigen dabei war, verschüttete Farbe aufzuwischen. Die Erzieherinnen ließen die beiden das aus erzieherischen Gründen allein machen, wie sie erklärten. Am Ende wischte meine Schwester zuerst die Kinder und dann den Boden sauber, die Flecken in den Pullis ließen sich nie mehr auswaschen.

Das hier soll kein Erzieherbashing sein. Es gibt tolle Erzieher und Erzieherinnen, keine Frage, wir haben in jeder Einrichtung solche tollen Menschen kennengelernt. Doch wenn es hakt, dann wird es oft richtig schwierig. Denn alle stehen unter Druck: die Eltern, die auf die zuverlässige Betreuung angewiesen sind, die Erzieher, die chronisch unterbesetzt sind und seit Corona zunehmend Überstunden ansammeln – und letztlich auch die Kinder, die die angespannte Situation natürlich auch mitbekommen und dementsprechend verunsichert sind.

Den Schritt, tatsächlich einen anderen Betreuungsplatz zu suchen, geht niemand leichtfertig. Die Zeit des Eingewöhnens, der manchmal schwierige Neustart und die Ungewissheit darüber, ob es in einer anderen Einrichtung tatsächlich besser ist, machen eine Entscheidung für einen Wechsel zu einer meist sehr langwierigen Angelegenheit.

Meine Bekannten, die den Schritt zu einem Wechsel gewagt haben, sind mit ihrer Entscheidung glücklich. Die Kinder gehen jetzt zu einer Tagesmutter, in eine kleinere Einrichtung oder in einen Waldkindergarten. „Unser Wechsel war die beste Entscheidung ever “, sagte kürzlich eine Freundin zu mir.

Auch bei uns hat der Streit Spuren hinterlassen. Wir sind zurückhaltender, vorsichtiger. Wir bringen und holen unser Kind überpünktlich und bringen umgehend neue Windeln und die Sommer-Matschhose mit, sobald der Zettel an der Garderobe hängt. Doch das freundschaftliche Verhältnis aus den Anfangstagen haben wir heruntergedimmt. Wir haben den Streit nicht noch einmal thematisiert, sondern sind Schritt für Schritt wieder in den Alltag übergegangen. Ich bedauere das etwas, aber Max‘ Verhalten gibt uns die Bestätigung, dass es für ihn und damit auch für uns richtig war.

Seine Unlust dauerte nur wenige Tage an und seither geht er wieder begeistert in den Kindergarten. Es war nie ein Thema, dass er nicht im Kindergarten sein wollte – er wollte sich nur morgens nicht von uns und dem Baby trennen. Wir stellten unseren Tag ein wenig um, richteten uns alle, als wenn wir zur Arbeit müssten, und erklärten ihm, dass jeder von uns nun seinen Tag starte – und seiner eben im Kindergarten beginne. Jeden Tag, wenn ich sein strahlendes Gesicht sehe, wenn ich ihn aus der Einrichtung abhole, weiß ich, dass unsere Entscheidung vielleicht nicht für jeden passend gewesen wäre, für unser Kind aber die beste, die wir hätten treffen können.