Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Fluchtwährung für viele Reiche

Nichts beschreibt den moralischen Niedergang meiner Klasse besser als heute übliche Gesprächsthemen, die früher so unvorstellbar wie der Bordellbesuch des Sohnes oder eine Scheidung der Tochter gewesen wären. Über Fluchtwährungen sprach man nicht. Aber nachdem ich am Samstag selbst erleben musste, wie der Staat seinen Bürger beim Transfer zum Schweizer Franken im Wege steht, sollte man dies ansonsten schamhaft verschwiegene Sujet durchaus hier debattieren.

DER REICHE: Oh hätt’ ich nie mit Schätzen mich beladen!

Calderón,  Das grosse Welttheater

Zu den unangenehmen Seiten der Finanzkrise gehört leider auch eine deutliche Verschiebung der Interessen der Betroffenen: In den USA werden aus konsumfreudigen Hausbesitzern insolvente Mieter, in Irland entdeckt man wieder die Freuden der Kartoffelzucht, und wenn ich hinter der Mauer erzähle, dass ich am Bodensee auf einer Vorbesichtigung war, ignoriert man meine Kunstschilderungen und stellt die Frage, ob ich in der Schweiz war und, wenn ja, ob ich Kontrollen gesehen habe. Tatsächlich traf ich zwischen Überlingen und Meersburg auf eine polizeiliche Strassensperre, aber ich steuerte nur einem schmutzigen SLK, und so erwischte das Los der Schwarzgeldsuche den Volvo hinter mir. Da habe man es wieder, sagte der Vater von Susi, der Staat setze alles daran, die Armen mit Versprechungen hinzuhalten und die Wissenden bei der Rettung ihres Vermögens zu behindern. Kurz, man spricht heute wieder über Fluchtwährungen, statt über Konzerte.

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Tatsächlich helfen die staatlichen Garantien für Spareinlagen zwar den normalen Leuten, aber ausgerechnet denen nicht, die in Deutschland am Schlimmsten von der Finanzkrise betroffen sind: Denen, die man als vermögend bezeichnen könnte. Angesichts des Besitzes und des Verlustrisikos dieser Gruppe sind die Garantien lächerlich niedrig. Dieses Fünftel der Gesellschaft hat einen Grossteil der Börsenverluste zu verkraften, die Ausfälle bei den Rohstoffspekulationen und den Umstand, dass viele Fondsanlagen im Moment kaum zu Geld gemacht werden können. Nur die wenigsten sind vor allem in erstklassigen Immobilien investiert; die meisten haben dagegen auf Schwellenländer oder hochverzinste Anleihen gewettet, sich Zertifikate ohne Sicherheit aufschwatzen lassen oder gedacht, sie seien schlauer, wenn sie im Grauen Kapitalmarkt Luxushotels finanzieren. Es betrifft in der Folge Hersteller bester Seidenstoffe, Delikatessenhändler und Winzer, während die Importeure von Kleider aus Sklavenproduktion, Genfrass und ungesunder Brause fröhliche Urstände feiern.

Vom Schicksal begünstigt sind die Kommunisten, deren blaugelederte Marxausgabe aus der DDR wieder gefragt ist. Die chinesische Überproduktion versorgt den Spieltrieb finanzschwacher Handyangeber mit sagenhaften Sonderangeboten für neuen Mobilmüll. Die Krise belohnt Personen, die seit mehr als 9 Jahren meine Pässe mit ihren O*el A*tras blockierten, und sich nun für 2.500 Euro Subvention das nächste Blechübel aus Rüsselsheim, Rumänien oder Korea kaufen, statt sich zu überlegen, für diesen Betrag eine hübsche Freisprechanlage in einen neuen SLK bauen zu lassen, oder den Kofferraum des Aston Martins mit dem formschönen Gepäck des Hauses zu füllen. Ein SLK dagegen verbrennt beim Beschleunigen auf 230 nach der Kontrolle auf der regennassen Uferstrasse in 15 Sekunden 2 Liter, die der Staat nicht ersetzt. Super Plus! Auch das ist eine Art, die soziale Schere zu schliessen.

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Das jedoch ist in seiner räuberischen Wirkung nichts, absolut nichts gegen den Versuch der Staaten, der drohenden Deflation mittels einer knalligen Inflation Herr zu werden, indem überschuldete Staaten ihren überschuldeten Banken das schuldenfinanzierte Kapital geben, um überschuldeten Bürgern mit neuen Schulden den Kauf von Fernsehern überschuldeter chinesischer Firmen, Autos insolventer Autohersteller und Häusern aus der Insolvenzverwaltung zu ermöglichen – so in etwa sieht das Rettungspaket des neuen US-Präsidenten Obama aus, deren Anleihen beim Zusammenbruch des Ostblocks 1989 offensichtlich sind. Mit Inflation kann man natürlich auch hierzulande Schulden entwerten, den durch Plasmabildschirm und TV-Spiel rotbilanzierten Wähler gewinnen und im Zweifelsfall darauf verweisen, dass es keinen anderen Weg gibt: Die USA und England machten es auch, und zöge man mit der Entwertung nicht nach, könnte man nichts mehr exportieren. Selbst diese Ausrede wird nur nötig sein, wenn Griechenland, Italien, Irland und Spanien nicht allein den Euro so beschädigen, dass selbst die Briten ihren Peso zu halbwegs günstigen Kursen eintauschen können.

Was wir, die wir viel, wenn nicht gar alles ausser unseren 53 Zimmern, den Autos, der Uhrensammlung und dem Familiensilber zu verlieren haben, also wirklich bräuchten, wäre also ein sicherer Hafen, in dem unser Besitz die schweren Zeiten überdauert. Gold wäre eine Möglichkeit, aber es ist inzwischen sehr teuer und nachgerade wegelagerisch steuerbelastet, und man kann damit, ähnlich wie mit einem Zimmer, dem Hepplewhite-Sideboard oder Seidenteppich, nicht einfach auf dem Markt einkaufen. Darin besteht in den besseren Kreisen Einigkeit, wie auch im Umstand, dass es nicht mehr so leicht wie früher ist, eine passende Fluchtwährung zu finden, wohin wir unser Vermögen schieben könnten.

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Ich denke, man versteht das Drama, das unsere Gesprächsthemen beherrscht. Denn den Euro haben wir schon, der britische Peso dürfte allenfalls für Besitzer russischer Rubel gut aussehen, und der Dollar ist die Reservewährung eines globalen Finanzsystems, das keine Reserven mehr hat. Bliebe also noch der Schweizer Franken. Der Franken, der derzeit auf historischen Höchstständen zum Euro ist, den die Schweizer vergeblich abzuwerten versuchen, und der relativ unbeschadet von Inflation und Kriegen das 21. Jahrhundert erreichte. Ganz im Gegensatz zur Goldmark, der Schatzanweisung, der Rentenmark, der Reichsmark, der D-Mark, und was da sonst noch an Hyperinflation, Währungsreform, Ölkrise und Systemzusammenbruch in Deutschland war. Die Schweiz hat eine beneidenswert niedrige Inflationsrate, ein stabiles politisches System und ein Bankgeheimnis, das teilweise erklärt, warum unser Staat maximal die Einfuhr von 10.000 Euro pro Person und Reise erlaubt. Mehr, als der DDR-Rentner an Ostmark in den Westen nehmen durfte. Die Regelung ist trotzdem hochgradig prohibitiv und singlefeindlich, wenn man eine halbe Million verbringen und in Franken wechseln möchte.

Es gibt natürlich auch einiges, was gegen den Franken spricht. So hat die Schweiz mit der Credit Suisse und der UBS zwei international tätige Grossbanken, die fraglos zu den Verlierern der Krise gehören. Es bleibt zu hoffen, dass sie bei ihrer Pleite klug genug sind, die Folgekosten ihren britischen, irischen und amerikanischen Töchtern zu überlassen. Die Schweiz ist vom internationalen Bankengeschäft stark abhängig, und wird hier den ein oder anderen Rückschlag verkraften müssen. Natürlich kann die Schweizer Wirtschaft nicht tatenlos zusehen, wenn Euro, Peso und Dollar abgehen wie eine Lawine am Matterhorn. Das schöne Alpenland wird mit unschönen Entwertungen nachziehen müssen, wie sie es schon 1936 getan haben. Aber erst, nachdem alle anderen Währungen stark gelitten hatten. Und selbst in diesem Fall bliebe abzuwarten, ob dieses kleine Land wirklich die Kraft hat, sich, wie von der Nationalbank angekündigt, gegen den Aufwertungsdruck der geballt zufliessende Finanzkraft zu wehren. Der Schweizer Export wird leiden, aber, das muss man der Schweiz leider auch mal sagen dürfen, sie hat lange gut vom Schwarzgeld anderer Nationen gelebt, und es steht nirgendwo geschrieben, dass sie dereinst daran nicht ersticken muss. Sollte sie die Abwertung trotz all der Milliarden schaffen, kann man ja wieder in den solide entwerteten Euro – oder wie auch immer dann die Währung heisst, Renteneuro vielleicht – wechseln.

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Es gibt also durchaus hohe Risiken mit dem Franken, aber bitte: Welche Fluchtwährung ist im Moment besser? Es geht in den Volvos auf der Uferstrasse also nicht um Gewinn, sondern nur um die nicht risikobehaftete Rettung des Bestandes mangels besserer Möglichkeiten. Was sonst brächte den Chefarzt dazu, sich  bei Meersburg der Kontrollgefahr mit wirklich schönem Blick auf das allzu ferne Schweizer Ufer des Bodensees auszusetzen. Es mag etwas zynisch klingen, aber seien wir ehrlich: Niemand, wirklich niemand hat etwas davon, wenn die Reichen verarmen, und danach alle in den gleichen Säcken und Aschen gehen. Irgendwer muss nachher wieder Aston Martins kaufen, und auch wenn Marx wieder beliebt ist – mit seiner blauledernen Gesamtausgabe wird man auch in Zukunft kaum mehr als einen Satz Radmuttern erwerben können. Damit aber kommt nicht zu den Auktionshäusern in Überlingen.