Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Sexvergleich: Buch vs. eBook

Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch. Und ein Mittel zur sozialen Distinktion. Ein Haken, um Geschlechtspartner zu angeln. Ein Ausdruck der Seele. Etwas, das süchtig macht und Wände bedecken muss. Ein eBook? Nun, in meinen Augen ist ein eBook eine gute Gelegenheit für gewisse Kreise, sich eindeutig von meinen Kreisen zu distanzieren. Ich habe absolut nichts gegen eBooks. Ganz im Gegenteil.

Ich sagte ihr also, ich liebte sie; ich schwor ihr, ich würde sie mein Leben lang anbeten.
Crébillon d. J., Die Liebestaten des Vicomte de Nantel

Sex mit Büchern 2009 am Tegernsee, 4 Uhr morgens: Sie liegt ermattet auf dem Bett, er ist ihr nahe, aber nicht, noch nicht zu nahe, ein paar Kerzen brennen, und sie sagt: Liest Du mir was vor? Er geht zum Bücherschrank, entnimmt einen Band in rotem Halbleder und Büttenpapier, und hebt an: “Ich habe das Unglück, an Gefühle und schöne Leidenschaften nicht zu glauben.” Er liest es in diesem Tonfall, der keinen Zweifel daran lässt, dass er es ernst, sehr ernst meint, aber wenige Seiten später treibt der Vicomte de Nantel schon dreiste Dinge mit einer 11-Jährigen – 18. Jahrhundert halt – und seine Hand vollführt an ihrem Gesicht jede Bewegung, die das Buch

Sex mit eBook 2010 in Berlin, 4 Uhr morgens: Sie liegt ermattet auf dem Bett, er ist ihr nahe, aber nicht, noch nicht zu nahe, eine Lavalampe blast trübe, und sie sagt: Liest Du mir was vor? Er holt das eBook, scrollt sich durch ein paar Menüs, steht auf, geht ins Arbeitszimmer an den Rechner, wühlt ein paar Dateien durch, lädt ein avantgerdistisches Twitter-Werk eines jungen Berliner Autors – Freeware aus dem Internet – auf das eBook, geht zurück, und hebt an, sein Gesicht von der nackten Glühbirne an der Decke beleuchtet, und liest abgehackt vor: “Anita kratzt Ekzem. Imke sich unter dem Arm. Riecht daran. Ob Gero das schmeckt?” – 21. Jahrhundert halt. Währenddessen überlegt sie, ob sie sich noch ein Piercing in den Bauch stechen lassen soll, und ob er genug Geld hat, das Taxi zu bezahlen, wenn sie jetzt gleich schreckliche Migräne

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2009 stehen neue Endgeräte als Buchersatz auf den Buchmessen, und Propheten verkünden mal wieder das Ende des analogen Verbreitungsweges, sie schwärmen von neuen Märkten und vom brutalen Tod der Alten, die sich dem Neuen nicht anpassen wollen. Der angeblich führende deutsche eBook-Vertrieb sitzt zwar nun schon seit Jahren in der gleichen unrenovierten Bruchbude in München, man hört so gar nichts mehr von all den tollen Plänen, aber auf der Buchmesse in Leipzig hindert das niemandem, grandiose Zukunftsvisionen zu entwerfen. Gerne wird hier auf das Schicksal der Musikindustrie verwiesen, die das Geschäft verschlafen habe, die mittelalterliche Mentalität der Verleger beklagt, und eine Umfrage unter Nutzern eines Online-Buchportals zitiert, die sich zu 57% vorstellen könnten, ein eBook zu kaufen.

Ich kenne das alles seit 10 Jahren. 1999 kam “Rocket” auf den Markt, mit den gleichen Zukunftshoffnungen versehen. Schon damals glaubte man, dass hier das Ende der Bücher, wie wir sie kennen, vorgestellt wird. Schon damals argumentierte man mit einer jungen, von Technik begeisterten Zielgruppe, die sich schnell dem Buch entwöhnen werde. Natürlich durfte auch das Argument der Platzersparnis für eine junge und sehr mobile Käuferschicht nicht fehlen. Ausserdem wären digitale Bücher billiger, weil Druck und Vertrieb und Buchhandel wegfallen würden, man spare sich Wege und Mühen und demnächst auch Verlagsstrukturen, denn hier könne jeder sein Buch nach Lust und Laune anbieten.

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Die eBooks kamen und gingen, wurden neu entworfen und veralteten, Akkus gaben den Geist auf und das Plastik wurde hässlich, und zudem bildeten sich tatsächlich vier mir reichlich gut bekannte Gruppen von Menschen heraus, die dem digitalen Buch tatsächlich gewogen waren, als da sind:

– Informatiker und andere Techniker, deren Fachbücher schnell veralten, und die eine besonders ausgeprägte Neigung haben, sich dergleichen als Download ohne Kosten aus dem Netz zu besorgen. Ich kenne Informatiker, die ganze Bibliotheken auf ihrem Rechner haben, und nie einen Blick hineinwerfen. Der Baudrillard und der Wittgenstein stehen aber weiterhin in Papier im Schrank.

– Manager, Juristen und Berater, die diesen ruckzuck-supermobilen Lebensstil bis in den Buchkonsum ausdehnen. Manche brauchen sogar tatsächlich sowas wie eine Handbibliothek für unterwegs, und gerade juristische Texte müssen häufig ergänzt werden. Es gibt tatsächlich so etwas wie einen kleinen Markt für diese Art Profiliteratur.

– Downloader, die downloaden, weil man es downloaden kann und downloaden cool ist, und damit die 79 Gigabyte ungehörte Musik einen Spielkameraden auf der Festplatte haben, wenn der Downloader den [Hier streiikt das Blogsystem]-Ordner bemüht.

– und die Gruppe, die von allen am wenigsten sexy ist: Die verhinderten Autoren, denen Verlage unverschämte Briefe mit Absagen für ihre epochalen Romane des 21. Jahrhunderts schicken, die sich aus irgendwelchen Gründen die Schmach eines Zuschussverlages nicht leisten können oder wollen, und nun ihre Bücher im Internet veröffentlichen, in der Hoffnung, dass die Netzleser die wahren Qualitäten zu erkennen wissen.

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Und ich bin mir sicher, dass diese Gruppen auch die neuen eBooks wieder herzlich willkommen heissen werden. Zu dumm, dass diese Gruppen teilweise ein massives Imageproblem darstellen. Zu schade für sie, dass sie sich damit von der Vermehrung mit klugen Artgenossen ausschliessen, die bei der Auswahl ihrer Geschlechtspartner nach den Büchern vorgehen. Niemals etwa würde ich eine Frau mit eBook ansprechen, was sie da lese, denn sie könnte ja antworten: Einen tollen Karriereführer. Oder: Die Onlineausgabe der Bildzeitung. Einen Lore-Roman. Steuerrecht von Konz. Und dann stünde ich trotz all meiner Bildung da wie ein Idiot, denn dazu hätte ich nichts beizutragen ausser Mitleid. Ein Buch ist durchaus in der Lage, einen Menschen einzuordnen, ein Blick auf den Rücken, und man weiss, ob man ein Thema, ein Interesse und vielleicht auch einen gemeinsamen Heimweg hat.

Noch schlimmer wäre es natürlich, die komplette Bibliothek billig aus den Netz zu beziehen und auf einem eBook zu speichern. Keine Frau, die es wert wäre, würde je anders als nach der Devise “Kein Buch, kein Beischlaf” verfahren. Eine Bibliothek ist eine unverzichtbare Gebrauchsanweisung und der Wissenden der Schlüssel zur Seele. Mit Bibliotheken kann man sich auszeichnen und zu einem nassgeweinten Kissen verdammen, aber mit einem eBook ist man ein unbeschriebenes Blatt. Ein Vakuum. Ein Nichts. Und mit höchster Wahrscheinlichkeit so spannend wie ein Vergleich von Akkulaufzeiten. Und billig wie der Download.

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Bliebe dann noch die Sache, dass eBooks praktisch sind. Das stimmt! Ich gebe es sofort zu. Sie ahnen ja gar nicht, was es bedeutet, 4000 Bücher von München in die Provinz zu verlegen, wo der Rest steht. Mein armer Rücken! Wie schwer mein Corpus Vitrearium Medii Aevi ist! Meine Sammlung des Sacher-Masoch! Wie habe ich unter Tucholsky gelitten und am Heine geschleppt! Der ganze Stress mit der Neuordnung, Wochen, ach was, Monate habe ich damit zugebracht! Und dann die Doubletten, die ich natürlich brauchte, wegen meiner zwei bis drei Wohnorte, schrecklich, allein deshalb musste ich ja wieder an den Tegernsee ziehen, und auch dort ist der Schrank schon wieder voll.

Es ist ganz grässlich mit diesen Büchern, ein Fluch, und dann die Lagerung, Sie ahnen ja gar nicht, wie froh ich war, als ich ein altes Bücherregal aus jesuitischer Zeit in einer Holzlege wiederentdeckte, in dem ich jetzt Teile meiner Bibliothek des 18. Jahrhunderts unterbringen kann, unfassbar, dieser Stress, und wenn ich in Urlaub fahre, sitze ich tagelang vor all den Metern und finde ü-ber-haupt nichts mehr. Das alles gestehe ich jederzeit. Jeder jammert. Alle leiden. Unsereins kann gegenüber Frauen tagelang über das Elend klagen, das Meter um Meter, Band um Band, in unser Dasein tragen.

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Aber nicht, weil wir wirklich Schmerzen empfänden. Man nennt so etwas “Balz”. Man trägt das vor, um dem Gegenüber verklausuliert zu sagen: Wenn Du morgen die Augen öffnest, siehst Du nichts als Bücher. Wenn Du morgen erwachst, liegt neben Dir kein Idiot und keine arme Wurst, die sich keine Bibliothek leisten kann. Wenn Du morgen entzückend gähnst, wird Dir niemand zotige Sprüche ins Gesicht schleudern, oder den Wunsch äussern, den Kumpels ausm Gameclan n paar Pix von der Nacht zu mailen. Was diese eBook-Typen nie verstehen werden: Bücher sind bei denen, die sie in wahren Mengen kaufen, die den Markt am Leben erhalten, nicht nur Bücher. Sie sind Sex und Arterhaltung, sie sind Klassenschranke und Mittel zur Abgrenzung, sie können gar nicht teuer genug sein, man zahlt das gerne, sie sind ein Luxus, der greifbar sein muss. Wer das nicht so sieht, findet anderswo sicher auch eine Partner, und bleibt, wo er ist. Das ist fein.

Insofern begrüsse ich natürlich den Versuch, mit eBooks ein neues Differenzierungsmerkmal, einen elektrischen Makel, ein Stigma, ach was, ein selbst in den literarischen Hiintern gerammtes Brandzeichen zur Selbstausgrenzung einzuführen, und hoffe auf weite Verbreitung unter jenen, die das Gadget und den Download über das Buch stellen.