Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Prominenz und Promi

Der Promi ist etwas ganz Erstaunliches: Neureich, ohne zwingend reich zu sein. Keine Vergangenheit, aber auch keine Zukunft, die man teilen möchte. Hochgradig irreal und nur durch die Medien gemacht, und dennoch voller segensreicher Auswirkungen für all jene, die prominent sind. Ich finde Promis wirklich gut. Solange sie nicht in meine Nähe ziehen.

Der kultivierte Mensch hat seine Energie nach innen, der zivilisierte nach außen.
Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes

Ich mag das Wort “Promi”. Man wird es zwar aus meinem Munde nie ohne eine Wagenladung Salzkörner hören, und mit einem Klang, als habe ich gerade Kernseife mit Blaukraut gegessen, aber prinzipiell finde ich die Entstehung dieses Begriffs sowie der davon Betroffenen ganz famos. Erleichtert es mir doch die Trennung und Abgrenzung von einer gewissen Gruppe, die man ein paar Jahrzehnte irrigerweise unter dem Titel “Prominenz” führte, die dort aber nichts verloren hatte: Viele Tennisspieler, Mitarbeiter von privaten Fernsehanstalten, den ein oder anderen Besitzer von Bordellen und Lokalitäten, Fussballer und deren Frauen, abgefilmte Ballettratten, bayerische Köche, Sprechsänger aus Berlin und andere Personengruppen vom Rande der Gesellschaft, die im Zuge sprachlicher Verluderung jenen Stempel bekamen.

Bild zu: Prominenz und Promi

Denn Prominenz ist etwas anderes. Ich etwa komme aus einem Prominentenviertel. So nennt man  bei uns tatsächlich noch jene Ansiedlungen, in denen nicht jeder wohnt. Dort, wo meine Vorfahren wohnten, wohnte die bessere Gesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts; dorthin, wo meine Eltern zogen, siedelte man in den 60er und 70er Jahren um, wenn man einer gewissen Schicht angehörte, und auch am Tegernsee, wo ich dies schreibe, spricht man von der hier anwesenden Bevölkerung gerne von Prominenz. Prominenz im Sinne des lateinischen Wortes prominentia, das Hervorragende, sprachlich verwandt mit den lateinischen Wörtern für Kinn und Berg. Das angenehme an solchen Prominentenvierteln ist, dass, wenn jeder hervorragt, wieder alle gleich sind. Das ist dann die “Klasse”. In diesem Fall die richtige Klasse, vulgo Oberschicht. Und eben nicht die Promis.

Denn nichts könnte unterschiedlicher sein. Selbst ich, der ich nur sehr begrenzt den Anforderungen dieser Schicht entspreche – nicht verheiratet, bewusst kinderlos, unsteter Lebenswandel und zu all dem auch noch ein Betätigung im nicht gerne gesehen Journalismus – habe doch ein paar grundlegende Gewissheiten in meinem Leben. Es gehört nicht viel dazu, meinen weiteren Lebensweg in groben Zügen vorherzusagen; mein Dasein ist wenigen Veränderungen unterworfen, und sollte sich trotzdem einmal etwas in den Weg stellen, so findet sich immer eine Lösung oder ein Bekannter oder eine Seitentür, die mich vom Ungemach befreit, mich an unerquicklichen Zeitläufe anpassen zu müssen.

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Das ist natürlich nicht mein Verdienst, aber in eben jenem Wissen wurde ich erzogen, es würde schon für mich reichen, und grundsätzlich habe ich auch kein Problem damit, wenn man mich als reaktionär bezeichnet. Wie alle in meinem Umkreis bin ich extrem empfindlich gegen Anmassungen einer sich ändernden Umwelt, und ich wage zu behaupten, dass in der Bewahrung des Status der Kern aller Bemühungen der Oberschicht besteht. Neuerungen akzeptiert man erst mit etwas Verzögerung, wenn sie an anderen Klassen ihre Schärfen und Kanten verloren haben. Und man ist natürlich auch stets um die nützlichen Idioten froh, die sich von der Moderne das Gesicht einschlagen lassen: Promis eben.

Oh, natürlich sind Promis geschmacklos, erbärmlich und nicht der Rede wert, wie auch die Berichterstattung um sie. Man kann sich kaum mit diesem Thema beschäftigen, ohne sich schmutzig zu fühlen. Ich weiss schon, warum ich keinen Fernseher besitze. Bei Leuten, die darüber schreiben, denke ich mir nur: Das muss es auch geben. Und: Gut, dass sie mir nicht vorgstellt wurden, diese Buffetfreunde, die irgendwelchen Dummerchen erzählt, sie hätten zu den Promis Zutrtt. Es ist wirklich schön, wenn es einen riesigen Betrieb aus Zeitungen, Sendern, Werbern und bereitwilligen Promis gibt, die der Welt da draussen “Prominenz” vorgaukeln. Die sich von der Boulevardgosse schikanieren lassen, deren schreibender Auswurf selbst sein Leben vergeudet, und den man im Gegensatz zur Reinigungskraft auch gar nicht mit einem leisen, schlechten Gefühl betrachten muss, denn sie alle – wollen es so. So und nicht anders. Man landet dort nicht, wenn man nicht will.

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Wenn also das gemeine Volk, also jene, die stundenlang vor der Glotze sitzen und im Internet nach Nacktbildern von MTV-Moderatoren und dem Aufenthaltsort von Zelluloidmimen suchen, schon mangels eigener Erlebnisse gezwungen ist, im Gespräch auf derartige Konstrukte einer Promiwelt zurück zu greifen, entbindet es die echte Prominenz von der unerquicklichen Nachrede, vor der man sich früher stets zu fürchten hatte. Denn natürlich zog auch die Prominenz das Wochenmarktgeschwätz nach sich, und wenn ich diese Woche zur Mille Miglia fahre, weiss es jeder, der es in meiner Heimat wissen möchte. Das Maul aber zerreisst man sich jedoch über jene, die exakt zu diesem Behufe Promi sein möchten. Jene, die so konstruiert werden, auf dass man ihnen mit dieser unanständigen Indiskretion und jenem Zynismus begegne, die man früher am Pranger oder auch bei Randgruppenvertreibungen antraf.

Als ich noch klein und das Fernsehen anständig war, blieb das Niedere allein der Realität vorbehalten. All das Getuschel und Getratsche bezog sich auf das, was nicht in der Zeitung stand, und was man mühsam in Erfahrung bringen musste. Heute hat sogar das bodenständige Heimatseite eine verkappte Promiseite, kostenloses Material wird täglich brühwarm von PR-Agenturen in die Zeilen gekotzt, der Gestank öffentlicher Prominenz überdeckt jeden feinen Verwesungsgeruch aus den Ehen meiner Bekannten, und man muss schon einen erheblichen Rosenkrieg ausfechten, um gegen die Lautstärke der Rollenspiele all jener Castingshows, Kochaufläufe und Promitalks anzukommen, jener Schwätzerbelustigung, die all das bis zur letzten Aufmerksamkeit der Massen auswalzen, bis eine neue, brandneue Skandalschlagzeile auf Gossenpapier gedruckt wird.

Bild zu: Prominenz und Promi

Natürlich wird der Promi böse verenden, denn er lebt von eben jener Veränderung, die echte Prominenz so gerne vermeidet. Es mag sein, dass er während des TV-Auftritts unter Palmen und in Hoffnung auf einen Buchvertrag in die Kamera grinst, es kann sein, dass ihm der Tegernsee spiessig und langweilig erscheint. Aber wohin mit all den verbrauchten Promis, wenn die nächste Staffel den nächsten Promi zeitigt? In den Urwald, in den Eiskanal, in den Anrufsender, und dann? Was macht man nach zwanzig Jahren, wenn man abgewirtschaftet hat und der Markt keine Rolle für Mittvieriger bietet? Die ein oder andere verbrauchte Musikansagerin mag vielleicht noch den Gerontokraten des ZDF als Zukunft erscheinen, manch Star wird auch in 30 Jahren noch auf Busfahrten zwischen dem Heizdeckenverkauf auftreten dürfen. Ihre Chronisten aus dem Medien werden andere Jugendliche abfilmen und selbst sehr alt und vergleichsweise hässlich sein, denn nur die wenigsten werden sich einen Aufspritzer am Tegernsee leisten können. Das ganze System wird sich weiterdrehen und noch bessere Sensationen hervorbringen, vielleicht wandert der Begriff des “Promi” gar zu “Prolli” weiter. Die individuellen Vertreter des Systems werden früher oder später an Stränden angespült, die ganz sicher nicht zu all jenen oberbayerischen Seen gehören, deren Anrainer keine Schmierfinken und Krakeeler brauchen, um ihren Platz in der Gesellschaft zu kennen. So ist das nun mal. Wirklich schön, am See.