Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Flucht an das Ende des Regenbogens

Grosse Krisen hat das Bürgertum schon oft durchgestanden, gerade in Deutschland. Kriege und Pleiten, Diktaturen und moralischer Bankrott. Wenigstens war die letzte grosse Krise über 60 Jshre her, und so trifft die aktuelle Krise ein dicke und runde Elite unvorbereitet und in grösster Scheinsicherheit. Es wird schon irgendwie enden, das ist sicher, aber man darf gespannt sein, wie sich das Leben und die bürgerliche Moral verändern wird.

Karl Freiherr Menu von Minotuli hatte bereits viel von der Unreinlichkeit der savoyischen Gasthöfe gehört; allein was er dort sah, übertraf noch seine Erwartungen.
Dr. A. Dreyer, Alpenreisen und Bergbesteigungen im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts

Meiner staatsbürgerlichen Mitbestimmungsrechte durch Teilnahme an der Wahl vorerst wieder entkleidet – es war sehr leer und der Aufpasser im gestreiften Hemd eines bekannten Herstellers fragte sich wohl, ob er nicht besser im Strandcafe oder auf dem Tennisplatz sein sollte – ging ich hinunter zum See. Irgendwo dort hinten wohnen mitunter sowohl Otto Beisheim als auch Madelaine Schickedanz, Herr Metro/Kaufhof und Frau Arcandor/Karstadt. Kleine Geschäfte unter Nachbarn. Manchmal beginne ich mich hier zu fragen, ob die Welt wirklich umfangreicher als die Region zwischen Bad Wiessee und St. Quirin ist. Wenn es so wäre, könnte man damit leben. Allein, so ist es nicht.

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Manchmal frage ich mich auch, ob der Boom des Tegernsees und vergleichbarer Orte, die steigenden Immobilienpreise und die Namen der Bewohner, die ihr Geld in eher gegenteiligen Regionen verdienen, nicht auch einer Krise der Eliten geschuldet ist. Erstaunlicherweise ist man in der Lage, noch Geld mit der sich verändernden Welt zu verdienen. Man baut Einkaufszentren auf der grünen Wiese, man handelt mit Plattenbauten im Osten und besitzt Rohstofffonds.  Selbst in der aktuellen Krise geht es zwar vielen erheblich schlechter, aber nicht schlecht – man fährt eben den Mercedes ein Jahr länger auf und plant noch etwas an der neuen Dekoration, bevor man den Auftrag an den Inneneinrichter vergibt.

Gleichzeitig aber ist da das Gefühl, die Gegenwart könnte einem entgleiten. Die Erfahrung ist nicht vollkommen neu; sie ist eher typisch für solche Verwerfungen. Jede Krise hat ihre eigenen Auswirkungen auf die Betroffenen, und eigene Lehren, die gezogen und tradiert werden. Der Gründerkrach war der Anlass, es lieber mit Immobilien zu versuchen – die Baurechnung von 1880 haben wir noch. Der erste Weltkrieg war der Abschied vom Nationalismus, die Inflation von 1923 hat die Neigung zu sicheren Werten bestärkt, und meine Haltung zu moderner Wirtschaft ist stark von den Erfahrungen der New Economy geprägt. Man lernt dazu, man hat immer einen Plan B, man minimiert Risiken, man hat stets die Grossmutter im Ohr, angefangen bei der Mehlschwitze bis zur richtigen Wohnlage.

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Was die Krise diesmal so schwierig macht, ist nicht der Untergang grosser Marken und Namen, es sind nicht die Kurse oder die Deflation – es ist das Gefühl, dass man diesmal in einem System gefangen ist, das nicht mehr direkt oder indirekt kontrollierbar ist. Dass die Nationalökonomie am Ende ist, dass insolvente Hausbesitzer in den USA zu Bankenverstaatlichungen in England führen, dass der Aufschwung in den USA die deutsche Exportwirtschaft nur rettet, wenn die Chinesen genug Geld für Obamas Schulden verleihen. Frühere Krisen waren rational erklärbar, sie hatten eine innere Logik und einen äusseren Rahmen, von dem man sich meist – Elite ist dafür prädestiniert – abzusetzen in der Lage war. Selbst die alles miteinbeziehenden Jahrhundertkatastrophen der Weltkriege waren erklärbar und in ihren Auswirkungen so, dass man am Ende wusste, warum man vor einer Hausruine stand oder dem Gut in Ostpreussen hinterher trauerte. Diesmal versteht kaum jemand so richtig, was eigentlich diese Derivate da bewirken, die Landesbanken gehortet haben.

Eine der zentralen Bestrebungen der Eliten ist das Gefühl, Kontrolle zu haben. Kontrolle über die eigenen Finanzen, den Besitz, die Kinder, den Ruf und das Ansehen. Kontrolle generiert den inneren und äusseren Zwang der Klasse, Kontrolle ist das Asset, das man den anderen voraus hat. Kontrolle ist ein Grund, warum man nie mieten würde, sie definiert Kleidung, Besuchszeiten und Erziehung. Natürlich nennt man das nicht Kontrolle, man bevorzugt das Wort Sicherheit. Sicherheit bedeutet im Kern, alles unter Kontrolle zu haben und keiner Kontrolle unterworfen zu sein. Das gelang dem Patrizier und dem Privatier, dem Realienbesitzer und dem Unternehmer. Und plötzlich unterliegt alles, vom Geld bishin zur Kontrolle der Lebensumstände, einer Amok laufenden Globalisierung, die sich einen Dreck darum schert, ob man mit dem Staatssekretär Essen war oder die Tochter das neue gschlamperte Verhältnis des Oberbürgermeisters ist.

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Ein ungastlicher Ort ist diese Welt geworden, und alle Sicherungssysteme erweisen sich als angekoppelt an den Gang, oder besser, den möglichen Untergang der Weltwirtschaft. Deutsche Eliten kaufen diesmal Gold, Gold und noch mal Gold, es schlagen die Erinnerungen an die schlechten Zeiten durch, man möchte sich abkoppeln und über das Einzige verfügen, was in einer drohenden, dann leider gelebten Dystopie noch Kontrolle erlaubt: Physisch, glänzend, und global begehrenswert. Vor allem: Scheinbar sicher vor Inflation, von der man ja auch nicht weiss, ob sie einem über die Amerikaner und Briten aufgezwungen wird. Überall Drohung, überall Unsicherheit, also hört man beiläufig auf dem Weg zum Konditor, dass die Unze sicher auch noch 2000 Dollar… sollte sich doch alles zum Guten wenden, werden sich Zehntausende von Erben dereinst über das sinnlose Metall im Depot ärgern.

Es ist schwer vorherzusagen, welche Lektion man diesmal gelernt haben wird. Man kann sich privat zurückziehen an den Tegernsee, wo Eier aus Käfighaltung und anderen Regionen aus den Supermärkten verbannt sind, man kann zwischen Leeberg und Konditorei so tun, als lebte man in einem abgeschlossenen Wirtschaftssystem, das zum Heil nur Strom aus AKWs bei den Niederbayern und Autos aus Maranello, München und Ingolstadt benötigt. Es ist leider kein Geschäftsmodell für die Zukunft und die globale Wirtschaft, nicht mehr als eine Realitätsflucht an das Ende des Regenbogens, während draussen von anderen in anderen Ländern Entscheidungen getroffen werden, die einen selbst nicht mehr berücksichtigen, sehr wohl aber betreffen.

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Die Verträge von Versailles 1919/20 griffen ähnlich brutal in das Leben der Menschen ein, wie auch der Wiener Kongress 1815. 1920 entstand daraus die Ordnungszelle Bayern mit übelsten Folgen, 1815 der Obrigkeitsstaat a la Metternich, aber wenigstens auch mit aufgeklärtem Bürgertum. Vielleicht wird diesmal die Familie als perfekte Kontrollinstanz wieder modern, vielleicht entdeckt man für und gegen Frauen die Schönheiten des Herdes wieder, vielleicht sogar findet man sich damit ab, dass die Regeln nun andere machen, denen ein Haus am Tegernsee nichts bedeutet, und hofft, dass sie einen in Ruhe lassen. Es bleibt allein die Angst, dass man schon lange auf dünnem Eise dahinglitt, und nun in der Mitte fern der Ufer steht, während alles knirscht und knackst. Ich höre seit einiger Zeit oft von Alpträumen.

Es wird vermutlich nicht ohne Folgen bleiben.