Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Fussfaule Millionäre oder der Bürgerkrieg, der nicht kommt

Die einen auf der Linken wollen die bösen Millionäre schröpfen, die anderen fragen sich in der FAZ, warum es eigentlich noch keinen Bürgerkrieg der Leistungsträger gegen den Staat gibt, der ihnen so viel nimmt. Beiden gemein ist, dass sie nicht am Tegernsee wohnen, sonst wüssten sie es besser. Obwohl wir hier zwar alle der Überzeugung sind, dass die "uns ois nemma", gibt es wirklich andere Probleme, die wichtiger sind. Einerseits, weil die grössten Millionärshalunken aus dem nächsten Millionärsdorf kommen, andererseits, weil man doch eher träge und gut eingerichtet ist. Und weder so reich, wie das die Linke glaubt, noch so geschröpft, wie man das gerne auf der Terrasse mit See- und Bergblick behauptet.

Und er fuhr ruhig fort zu beweisen, dass man zuerst 50 und 100 der grössten Millionäre verhaften und dem Volk erklären müsse, dass wir alle Kapitalisten als Räuber betrachten.
Lew Dawidowitsch Bronstein genannt Trotzki (mehr TrotFAZkismus hier!), Über Lenin

Ganz erstaunlich, was man mit diesem emotional aufgeladenen Nichtwort “Millionär” alles ausdrücken kann. Bordellwirte geben sich damit als “reich” aus. Hässlichgeistige Zeitungen verwenden es verbittert als Sammelbegriff für Ultrareiche mit Kaufhauseigentum. Man bezieht es auf Spekulantinnen im Autozulieferbereich, für die es auf eine Million nicht ankommt. Die Linke möchte den Millionären mit hohen Steuern an den Geldbeutel. Und sie kommt damit an, weil – wer mag schon Millionäre?

Ich persönlich kann mich eines ablehnenden Reflexes auch nicht erwehren. In meinem Leben taucht die Eigenbeschreibung erst lange nach jenen auf, die sie auf sich beziehen könnten. Die ersten, die sich mir gegenüber als Millionäre bezeichneten, waren Internetgründer und, sekundär, ihre journalistischen (was immer Sie denken, es kann nicht so grob sein wie das, was hier stehen sollte). Geschmacklos, geschichtslos, Millionär, weil sie sonst nichts haben, sind oder können. Es würde mich nicht überraschen, wenn der gemeinsame Erweckungsmoment der Internetgründer zu Schulzeiten der Vertrieb von sinnlosen Versicherungen an Omas aus der Nachbarschaft wäre, um sich einen Golf GTI oder einen Urlaub auf einem Erlebnisschiff zu finanzieren. Kennt man einen, kennt man alle, früher waren sie oft in München, heute sind sie fast ausschliesslich in Berlin und jammern vor Gericht, weil sie von den Käufern ihrer windigen Klitschen noch ein paar Millionen extra wollen – vielleicht, weil die Anlagestrategie für die erste Tranche in Zeiten der Kreditkrise doch nicht so gut war. Gäbe es die Linke nicht, man müsste sie für diese Leute…

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Oh, da gehen sie schon mit mir durch, die reichenfeindlichen Gäule. Angesichts der Vermögensverhältnisse meines Umfelds ist das wirklich nicht klug, denn natürlich würden staatlich Eingriffe a la mode Gysi ins Millionenvermögen auch für mich nicht ohne Folgen bleiben. Eine Bekannte etwa muss bald ihren Maserati entsorgen, und ich fände es gar nicht gut, wenn sie in Zukunft mit einem Golf an den Tegernsee käme. Nun stand in der Zeitung, zu der dieses Blog gehört, jüngst ein Beitrag des Fernsehmoderators und Philosophen Peter Sloterdijk, der sich wunderte, warum dieses Umfeld angesichts der steuergetriebenen Umverteilung von Reich zu Arm nicht einen “antifiskalischen Bürgerkrieg” vom Zaune bricht. Wieder streift mein Blick über den Tegernsee, und ich überlege, wie der Sloterdijk’sche Bürgerkrieg hier ausbricht, hier, wo die revolutionäre Garde für den Klassenkampf von oben lebt: Frau Schickedanz, Herr Beisheim, Herr Schalck-Golodkowski, ein paar Fussballer des FC Bayern München und Frau Hohlmeier, Herr Burda und ein paar Wittelsbacher, angetan mit Kalschnikows, lassen sich also von ihren Chauffeuren nach Berlin bringen, wo sie Strassenbarrikaden…. und sobald die nette Frau S. und ihre Freundinnen übers Hannerl ausgeratscht haben, kommen sie auch noch nach, mit Torte vom Wagner anstelle einer Feldküche, das wird ein lustiger Bürgerkrieg. Noch etwas Tee in der Gefechtspause in der Schlacht um Marzahn?

Spass beiseite – bei allem Ärger über den Staat, Millionäre like us verhalten sich anders: Ich habe eine ziemlich hart arbeitende Bekannte. Letzthin traf ich sie, es war Samstag, sie war krank und hatte keine Stimme, und trotzdem war sie in der Arbeit. Vor drei Jahren hat sie von ihrer Grossmutter etwas geerbt; ein vermietetes Haus in guter Lage, ein paar Tafelpapiere, mit denen peinlicherweise von ihrem Grossvater längst verjährte Steuern optimiert wurden. Man kennt das, das ist die Schweizer Familiendepotkrankheit. Dazu Schatzbriefe, Bargeld, und als sie die Steuern abgeführt hatte, war sie 32 Jahre alt und das, was das M-Wort in Bezug auf Vermögen umschreibt. Bei uns nennt man diese Personen eher eine “gute Partie” oder “gut eingesäumt”, aber das allein wäre jetzt noch nichts, weswegen man eine eheliche Verbindung ins Auge fassen sollte. Meine hart arbeitende Bekannte ist eher durchschnittlich für das Viertel, in dem man wohnt.

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Und sie arbeitet natürlich. Weil das, was sie besitzt, kaum reicht. Weil eine Million, oder auch zwei Millionen, eben nicht mehr das sind, was einst den Begriff des Millionärs prägte. Qua Definition gehört man zu den Dollarmillionären, wenn man jenseits des selbst genutzten Wohneigentums Besitz in Höhe von vergleichsweise geringen 700.000 Euro hat. Angeblich soll es davon in Deutschland nur 826.000 (oder 1% der Bevölkerung) geben, aber das kann nicht sein, da kenne ich schon fast mehr. Sollten es wirklich so wenige sein, kann man den Bürgerkrieg eh vergessen, da hilft auch kein Studium Trotzkis gesammelter Werke. Wie auch immer: Es ist alles andere als “viel Geld”. Nur die wenigsten werden mit Goldstücken Schusser spielen, wie das noch bei meinem Urgrossvater praktiziert wurde.

Gehen wir mal von 2 Millionen Euro aus, also das, was der normale Angehörige dieser Gruppe so besitzt. Gehen wir von 6% Verzinsung aus, die man mit einer guten Immobilie oder einer halbwegs sicheren Anlage ohne dauernden Stress erzielen kann. 3% gehen für die Inflation, Rücklagen, Reparaturen und Absicherung drauf, 1% für den Staat, bleiben grob 2%. Das sind 40.000 Euro pro Jahr. Nicht unbedingt das, was nach Reichtum aussieht. Genug für 7 Jahre eisernes Sparen, wenn man zwei Kinder hat und denen für das Studium in München zwei kleine Wohnungen kaufen möchte. Nicht genug für ein teures Automobil, nicht genug für ein Haus am Tegernsee, nicht mal genug für eine Zweitwohnung auf Sylt und schon gar nicht genug, wenn die Weltwirtschaftskrise einen Teil des Portfolios auslöscht. GM- und HRE-Aktionäre können ein Lied davon singen, im Chor mit Gewerbeimmobilieninvestoren und Filmfondszeichnern. Einmal dem Exminister geglaubt, der für einen Vertriebler etwas als Rentenergänzung anpreist, und schwups, kann man ein paar Jahresrenditen wieder einzahlen, um die Verluste der todsicheren Berlinimmobilie auszugleichen. Low-Tier-Millionäre heissen diese Leute in der Fachsprache der Vermögensverwalter, das M-Proletariat, die Erbsenzähler, die Knicker. Das sind die meisten, auf die das M-Wort zutrifft. Diejenigen, die ihren im Urlaub nach einem Mietferrari maulenden Töchtern mitgeben, sie sollten ja nicht glauben, man sei reich, oder auf bayerisch, man hätte einen “Gejdscheissa”.

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Eher kommt man von Federn auf Stroh, so die allgemeine Ermahnung an all jene, die zumindest nicht Versicherungen an Omas verkaufen müssen. Ein wenig Sicherheit ist das Vermögen, etwas Rückhalt und vielleicht auch Zufriedenheit. Aber kein Anlass, nicht mehr zu arbeiten und nach Sri Lanka an den Strand zu ziehen, mit dem unsäglichen Benehmen von Spesenrittern, Porscheleihkäufern und Medienprominenz aufzuwarten, oder für schlecht gelaunte Fernsehmoderator eine Barrikade östlich von Berlin-Mitte zu bauen. Man kann das kleinbürgerlich finden, dieses Verheimlichen und Verschweigen, diese stille Freude an der Hoffnung, dass materiell wenig passieren kann, die Gewissheit, dass auch im Pflegefall noch etwas übrig bleiben würde. Millionäre? Das sind die anderen. Das sind jene, die sich nach vorne drängeln und Verschwendung inszenieren, die mehr ausgeben, als sie verdienen, und denen man selbstredend die Linke an den Hals wünscht.

Wir, mein Umfeld, wir wären so etwas wie die Fusstruppen des antifiskalischen Bürgerkrieges. Die armen Schweine, die am meisten zu verlieren haben, die ein paar Zehntausend in die Schweiz tun und Immobilien alle zehn Jahre überschreiben lassen, die Steuernachzahlungen wirklich fühlen und nicht einfach die S-Klasse mit allen Extras bestellen, sondern die Roadster der kleinen Schwester auffahren. Wir haben einen anderen Bürgerkrieg zu führen. So wie die Tegernseer Kleinmillionäre, die Herrn Beisheim ob seiner Tätigkeit im Dritten Reich den Wunsch verweigerten, das Gymnasium zu sponsorn. So wie die Gmundner Kleinmillionäre, die den Umbau von Kaltenbrunn durch den Multimillionär Schörghuber vor dem Verfassungsgericht verhindert haben. So, wie momentan Millionär auf Millionär eindrischt, weil man in Tegernsee einen Uferweg bauen will. So wie ich mich ärgere, wenn russische Millionäre meine Punschtorte wegkaufen. So, wie man die Augen verdreht ob der mittelöstlichen Krankenhaus- und Aufspritztouristen am Malerwinkel.

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Danke für den Hinweis auf den Bürgerkrieg, Herr Sloterdijk, aber den haben wir schon, es gibt genug Millionärsfressfeinde, gegen den man sich bis aufs Messer verteidigen muss. Angst, wirklich Angst hat man nicht vor der Steuer, sondern allein vor der Hyperinflation. Erst eine Hyperinflation würde alle zusammenschweissen , den Immobilienspekulanten, den Startupgründer, den Apothekerssohn und den Mittelständler – aber auch erst nach Verbringung des Vermögens in die Schweiz. Ansonsten weiss hier jeder, der ein wenig altes Geld aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gerettet hat: Krieg ist nie rentabel. Arme Bevölkerungsschichten, die von der Hand in den Mund leben, die angeblichen Begünstigten der staatlichen Umverteilung – die halten die Wirtschaft weiter in Schwung, wenn der Schatz des Tegernsees längst inflationssicher in Schweizer Goldvreneli unter Graubündner Bergen bleischwer von Schäfchen aus Platin träumt. Von hier aus bin ich in 25 Minuten an der Grenze zu Österreich. Die in Marzahn können nicht weg. Im Süden daher nichts Neues.

Begleitmusik: Überhaupt, man stelle sich nicht so an, ein jeder ist doch nur auf der Suche nach seinem kleinen Glück. Überall die gleichen kleinen Tragödien und Freuden, die gleichen Scherze und das gleiche Leid. Im Spanien des 18. Jahrhunderts gab es die Tonadillas, kleinste Opern für den einfachen Geschmack, für alle Klassen, mal melancholisch und mal systemkritisch, lebendige Musik jenseits von Schranken und Bildung. Bei Glossa ist jüngst nun eine CD mit dem Namen “La Tirana contra Mambrú” erschienen, die auf’s Schönste diese alte Gattung mitsamt Kastagnetten wieder zu Gehör bringt.