Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Artigkeiten und Unartigkeiten im Städel

Es gibt Wochenenden, da hat man den Eindruck, man kommt zu nichts. Lauter Verpflichtungen, hier einen Tee und dort ein Konzertbesuch, zwischendrin der artige Anruf bei Tante Elfriede, und einen Brief sollte man auch wieder schreiben. Eine stets gute Entschuldigung - "Liebe Adelgunde, schon zu lang blabla doch leider blabla Verpflichtungen mit Tonien blabla" - sind die Sonderausstellungen der üblichen Museen, die man natürlich auch erst an den letzten Tagen besucht. Zu allen anderen Verpflichtungen dazu. Damit man beim Tee auch sagen kann: "Also, diese Caravaggioaustellung im Staedel, also ich weiss nicht, das Niveau war da schon sehr gemischt."

Beten wir zu Gott, dass unsere so natürliche Art der Darstellung nicht einfach eine üble Fälschung ist.
Agostino Carracci

Sechs mal, würde ich sagen, sollte man im Jahr in die Oper gehen, dazu ein, zwei mal im Urlaub, auf dass man die feinen Kleider nicht umsonst vom Provinzkaff in andere Metropolen schleppt. Zwölf Konzerte sollte man besuchen, zudem ein gutes Dutzend Matineen, ein halbes Dutzend Schlösser. Parks und Kirchen, wie es sich eben anbietet; keinesfalls gehe man einfach an den Häusern der Gesellschaft Jesu vorbei, die sind immer so ostentativ und prunksüchtig, ein gebautes Theater voll kühner Verachtung der Aufklärung, die diesen Herren des Glaubens letztlich auch nichts gebracht hat – und zwölf mal in ein Museum. Am besten Sonntag.

Bild zu: Artigkeiten und Unartigkeiten im Städel

Sonntag sind dort keine Schulklassen unterwegs, und auch sonst wenige, die dort hinein gezwungen werden – Touristen etwa, die sich vom Baedeker versklaven lassen, Reisegruppen, die sich an einen Terminplan halten müssen, und nicht zuletzt Journalisten, die in aller Regel nur kommen, wenn es ein Buffet oral zu bestaunen und einen Katalog zum Weiterverkauf gibt. Am Sonntag gibt es neben den Bildern auch die aktuellen Trends des Bildungsbürgertums zu betrachten, oft auch dessen Beharrung und seinen unerschütterlichen, an weidende Kühe gemahnenden Zugang zur Kunst.

Da ist zuerst diese unausrottbare Gleichmütigkeit, mit der alles angestarrt wird. Unterschiedslos. Im Städel etwa ist eine Ausstellung zu Caravaggio und seinen niederländichen Nachfolgern. Eine mit einer drallen Frau plakatierte Schau, die ein paar Bilder des Meisters des Chiaroscuro mit ähnlichen, meist moralisch lockeren Sujets holländischer Herkunft in Verbindung bringt. Angefangen bei den qualitativ sehr schwankenden Werken Caravaggios, die man offensichtlich nicht beliebig auf bestem Niveau ausleihen konnte, bis hinab zu den Holländern, die von der Lichtverteilung ihres Vorbilds oft nichts verstanden haben, und anstatt der feinen Psychologie die Möglichkeit entdeckten,  schlüpfrige Themen zu verkaufen – überall verweilen die Betrachter in etwa die gleiche Zeit.

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Mich erinnert das an den Corso in der Münchner Staatsoper, im Piano Nobile über den Treppen, wo man stets gemessen im Kreise flaniert und schaut, was die anderen so tragen, die immer gleich langen, abschätzenden Blicke, gerade so lang, dass man nicht gafft, aber auch nicht so kurz, dass es Verachtung ausdrücken konnte. Freundliches Interesse. Ich bin mir nicht sicher, ob die Übertragung dieser Regelhaftigkeit des Betrachtens nur Ignoranz ist, oder nicht auch anerzogen: Man bringt alles und jedem den gleichen Respekt entgegen.

Ich bin da etwas anders; wenn man Kulturgeschichte studiert, geht man selektiv vor, man geht mitunter achtlos am Vermeer vorbei, wenn man Kalfs Prunkstillleben sehen möchte, und bleibt eine halbe Stunde vor einem einzigen Gemälde. Mir persönlich reichen drei, vier Bilder, auch wenn andere der Ansicht sind, dass sie für den Eintritt alles sehen wollen, den Macke und den niederländischen Altar, die historistischen Verbrechen und den Überschwang des Manierismus. Und dann ermattet niedersinken, während die anderen vorbeigehen. Jedes Bild eine halbe Minute. Man kann die Uhr danach stellen. Aber alle sind sauber bekleidet. Man ist erkennbar unter sich.

Was man offensichtlich gar nicht mehr trägt, sind Kinder. Vielleicht, weil man sie gnädigerweise nebenan im Liebighaus abgeben kann, wo sie selbst Kunst machen dürfen, vielleicht, weil es heute schwierig als zu meiner Jugendzeit ist, sie für einen Museumsbesuch zu begeistern. Bei uns war das anders; es gab kein Museum, in das unserer Eltern uns nicht geschleppt hätten, und wir benahmen uns dort natürlich auch. Wir gaben niemanden einen Anlass, die Augen zu verdrehen – heute ist da niemand, der einem dazu Anlass geben könnte.

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Früher war das übrigens in Bayern anders. Da war der Zutritt zu den staatlichen Museen am Sonntag kostenlos, entsprechend, sagen wir mal, gemischt war das Publikum. Obwohl es nicht immer angenehm war – ich wohnte in München neben den Pinakotheken und ging jeden Sonntag hinüber, für jeweils ein einziges Bild pro Besuch, und es gibt dort genug Räume, die auch am Sonntag allenfalls achtlos durcheilt werden – obwohl es also ziemlich laut und voll zuging, fand ich das gut. Gerade für ärmere Familien (Man lese es!) war es einfach, so ohne Obolus ins Museum zu kommen. Und besser scheint es mir, man lässt sie hinein, und sie kaufen ihren Kindern dann noch ein Buch, als dass man sie draussen hält. 10 Euro kostet der Eintritt in das Staedel. Diejenigen meiner Bekannten, die de facto auf Hartz IV Niveau leben, aber zu stolz sind, die Hilfe des Staates anzunehmen, könnten sich das nicht leisten.

Früher konnte man die Hoffnung haben, jenseits des Vermögens könnte Kunst beim einen oder anderen etwas bewirken, den Wunsch nach Bildung oder einen Drang nachzulesen, was die Kunst einem sagen will. Heute, fürchte ich, ist nur noch der Dreck der Glotze scheinbar umsonst, den wir alle durch den Konsum und die Werbung bezahlen. Gesponsort sind die Boulevardblätter der Verblödung, aber auch, wenn natürlich die Museen staatlich stark gefördert werden: Es sind wieder Treffpunkte derer, die es sich leisten können. Ein Stück Umverteilung mit einer Hürde, Kleingeld für die einen, eine Woche gesünderes Frühstück für die anderen. Alles zusammen kostet ein Museumsbesuch für Ärmere so viel, wie sie für ein Videospiel ausgeben, mit dem sie ihre Kindern ein paar Wochen ruhig stellen können. Vielleicht ist das ein ziemlich hoher Preis dafür, dass nur die südkoreanische Touristin ein etwas schräges T-Shirt trägt, und man ansonsten unter sich bleibt. Als wäre man wieder im 18. Jahrhundert angekommen, als es Kunst nur für die Reichen und Mächtigen gab. Und natürlich jene, die sich der Kirche unterwarfen – dort gab es auch Kunst zum Nulltarif für Indoktrination.

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Museumsbesuche sind für unsereins eine angenehme Routine, sie sind natürlicher Teil des Lebens, eine gern genutzte Alternative bei schlechtem Wetter und natürlich auch ein Freiraum vor den Zumutungen der Moderne, der Massenkultur und – sehen Sie, ich war gestern in Frankfurt mit der S-Bahn unterwegs. Alle Sitze waren dreckig, alle Fenster zerkratzt, und noch während man ausstieg, drängten auch schon die ersten in den Zug, egal wie wenig förderlich das für alle sein mag. Das alles gibt es im Museum nicht, man hält sich die Türen auf und wechselt Höflichkeiten, man kann sich bedenkenlos niederlassen, um Bilder zu studieren, alles ist ordentlich, und kein Elend schreit einen an. Ich gehe wirklich gern in Museen, und kaufe dort auch Bücher, soviel ich eben schleppen kann. Es ist eine idealisierte Welt für meine Klasse.

Aber gerade deshalb keine ideale Welt. Eine Oase in der Wüste des Unbehagens. Die Oase ist schön. Die Frage ist nur: Wie entgeht man der Wüste.