Stützen der Gesellschaft

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Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Die Freude im Westviertel über den Niedergang von Escada

Wenn man den Untergang von Escada verstehen will, muss man verstehen, warum Escada heute einen gewissen Hautgout hat. Ausgerchnet bei jenen, die die Marke gross und bedeutend gemacnt haben: Vermögende Frauen in besseren Lagen westdeutscher Dörfer und Kleinstädte in der Provinz. Kleinstädte wie jene, aus der ich stamme. Ich kann mich noch sehr gut an die Zeit erinnern, als Escada und MCM auf dem Gipfel des Geschmacks verortet wurden. Man darf darüber heute nicht mehr reden. Es ist peinlich. Es ist verboten, und vermutlich werde ich jetzt im Konzertverein geschnitten.

c&a-look mit vuitton handbag is halt suspicious. oder andersrum wieso sollt ich in escada und gucci rumrennen und dann bei ner handtasche ne fälschung kaufen.
Nutzerin “Ritchbeast 1”, Kommentar bei forum. gofeminin.de

Kurz gesagt: Escada hat ein Geschäft in Rottach-Egern und am Rande der Pleite.

Oder, um es zu erklären: Heute ist ein eher schwieriger Tag für all diejenigen, die glaubten, sie könnten mit ihren Luxus kaufenden Frauen nicht nur Geld verlieren, sondern auch Geld gewinnen. Als der Münchner Modekonzern Escada 1986 an die Börse ging, konnte man noch hoffen, über einen Teil der Firma auch an der Verschwendung anderer Leute zu profitieren – wer heute noch Aktien bestzt, hätte das Geld besser seiner Frau zur Verwaltung gegeben. Die für uns, die wir nicht betroffen sind, äusserst langweiligen Details des Untergangs dieses Modehauses findet man beispielsweise hier, oder auch ergänzend hier zu den typischen Goldkettchen. Soviel dann auch zum Thema “Luxus geht immer”.

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Weitaus spannender ist die Frage, warum Escada nicht gerettet wird. Und warum man der Firma, im Gegensatz zu Märklin oder Rosenthal, allgemein keine Träne nachweint, die nicht durch finanzielle Verluste bedingt wäre. Warum niemand den Eindruck hat, hier ginge ein Kulturgut zugrunde, eine bedeutende Geschichte käme an ihr Ende, eine Saga von Aufstieg und Fall von titanenhaftem Ausmass werde in Schulden und Teilhaberstreit unwürdig beendet. Märklin ist ein Traum der Söhne. Rosenthal ist ein Tantentraum. Escada ist ein Trauma für Tanten und Söhne.

Denn Escada war nicht nur gross und reich, sondern auch sehr München und 80er. Zusammen mit dem schon früher spektakulär gescheiterten Konzern MCM konnte man in den 80ern als Kunde dieser Marken wenig falsch machen. Rückblickend sind MCM-Taschen und pinkschwarze Escada-Kleider mit monströsen Schulterpolstern und kurzen Ärmeln extremst peinlich, aber damals setzte München die Trends. Auch wenn sie teilweise, sagen wir mal, adaptiert waren. Anleihen bei Chanel,  Hermés, Louis Vuitton und Chloé waren aber in den bayerischen Vorstädten gar nicht mal so ungern gesehen. Im Gegenteil. Das war richtig schick. Natürlich auch immer etwas zu viel, zu dick, am Rand des Ordinären, aber es waren die 80er Jahre. Und in dieser Zeit expandierten Escada und MCM weltweit. Es war nicht nur mehr die Grossbauernfrau in Pfaffenhofen, es war auch die Ölfirmenchefsekretärin in Texas und die Ministergattin in Südkorea.

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Und auch in unserer kleinen, dummen Stadt, im Westviertel – ich mache mir gerade keine Freunde – trug man das. Doch. Ich kenne Leute, die das wollten, brauchten und bekamen. MCM und Escada. Nicht jeder Konflikt um die Anschaffung war leicht, aber gewonnen wurde er meistens. Bessere Töchter hatten solche Taschen in der Schule dabei. Bessere Brüder wurden damit zum Gespött der Schule. Der dicke, mit Goldkette umzogene Escadaknopf musste im Theaterabo vorgezeigt werden, wollte man dazu gehören. “Wir fahren nach München zu Escada”, hörte man ab und an vor den Wochenenden. Es gab eine Epoche, da war Escada – etwas anderes, als es heute ist. Heute möchte hier niemand mehr daran erinnert werden.

Denn Escada steht für eine ganz bestimmte Mode und eine ganz bestimmte Trägerin, die man, wäre man böse, vielleicht mit “zu viel Geld und zu wenig Geschmack” umschreiben würde, selbst wenn man vor 25 Jahren selbst Ecsada trug. Oder auch: “Zu reich für kik, aber zu arm für die Prada”. Nun ist diese Marke alles andere als billig, und die Zeiten der grossen Goldknöpfe mit umlaufenden Goldketten sind auch vorbei. Aber während man Gucci die meisten Verirrungen nachsah und MCM zurecht pleite ging, blieben sich Escada und ein bestimmtes Klientel treu. Und alterten zusammen. Eine Kombination, die man einfach erkennt, und die, um es vorsichtig zu sagen, nicht mehr überall als stilbildend erachtet wird. Und die sich ganz vorzüglich zum internen Klassenkampf eignete. Es ist ja nicht so, dass ich mich noch extra um Vorurteile bemühen würde, ich weiss auch nicht, woher ich das habe, aber mir fallen dazu auch Worte wie Botox, neureich und hochgeheiratet ein. Und, noch schlimmer: Passende Beispiele. In Rottach-Egern. Wo all das Wellness-Feng-Shui auch nichts mehr an den Tatsachen des Alters ändert.

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Und obwohl dieses Jahrzehnt von MCM und Escada vor dem Mauerfall die letzte grosse Blüte des guten, alten Westdeutschlands darstellt, als jene Marken das Ökogefiesel der 70er und die “Boutiquenmode” wegfegten, und die hohe Rente noch sicher schien; obwohl man die Marken vielleicht als Ausdruck einer Klasse sehen kann, der es einfach viel zu gut ging, und die sich den Prunk hedonistisch leistete, sind die Symbole dieser Zeit abgelöst worden von den üblichen Luxusmarken, die nicht mehr altern, sondern schon immer da sind. Firmen, die eine Tradition haben, die sicher genauso schäbig gelogen ist wie vieles, was man in den letzten Monaten zur Beruhigung von Escada-Aktionären sagte. Aber es sind Lügen, die man gern hört. Die Steuerhinterziehung des Herrn Cromer von MCM und seine Flucht in die Schweiz sind legendär, aber peinlich – der Umstand, dass noch Tage nach dem Absaufen der Titanic Koffer von Louis Vuitton auf dem Ozean trieben, ist eine Legende, aber genau die Art, die man hören möchte.

Vielleicht hätte man es genauso darwinistisch gesehen, wären all diese Marken 30, 40 Jahre nach ihrem Aufstieg zusammen mit ihren Kunden alt geworden und weggestorben. Die einen überleben, weil sie sich neu erfinden, die anderen schaffen es nicht, das Alte auch den Jungen als begehrenswert erscheinen zu lassen. Zu schnelles Wachstum tut nicht gut, wenn das Produkt plötzlich überall und von jedem verwendet wird; dann nämlich ist es demokratisch wie Toilettenpapier und erst untragbar für alle, die sich abgrenzen wollen. Danach wird es schnell zum Mittel der Diskriminierung. Und bald ist es nicht mehr tragbar für jene, die nicht ausgegrenzt werden möchten. So gesehen hat Escada durch die Expansion auf die amerikanischen und asiatischen Märkte ohnehin reichlich lang gelebt. Amerikaner können so was natürlich tragen.

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Fair? Was ist schon fair. Als unfair würden die ehemaligen Kundinnen im Westviertel allenfalls meine Gemeinheit betrachten, erinnerte ich sie an ihre Vorlieben in den 80er Jahren. Das habe man damals geschenkt bekommen, würde man hören, das habe man beruflich gebraucht, das sei reduziert gewesen, das habe die Verkäuferin damals aufgeschwatzt… und so stirbt Escada. Weil man daran nicht erinnert werden möchte; die Aktionäre nicht an ihre Fehler und ihre Frauen nicht an die 80er Jahre. Heute, 25 Jahr später, haben sie bei dem Wort einen Geschmack im Mund, als hätte man an einem Bleisarg geleckt; sie verziehen kurz das Gesicht, und dann fällt ihnen ein, dass man dabei all die Falten sieht – also denken sie lieber an Louis Vuitton und Chanel, an das Echte, die Originale, das Prestige der Jahrhunderte alten Firmengeschichte und lächeln.

Vielleicht fahren sie am Wochenende auch nach München. Zu Hermés. Es wird Herbst, und sie brauchen ein Tuch, wenn es kälter wird.