Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Wie Immobilien die Freiheit einschränken

Es gibt in Gmund am Tegernsee eine ganz entzückende Jugendstilvilla, gelb, mit Türmchen, Fachwerk und Seeblick. Ich möchte den Besitzer dieser Villa dringenst ersuchen, meinen hier folgenden Beitrag zu lesen, in dem er erfahren wird, dass er wie ich ein Idiot ist, an dergleichen Objekte sein Herz zu hängen, und wie er es klüger als ich machen kann: So er sich einen feinen Finanzplan mit modernen Anlageprodukten erstellen lässt, bin ich in weiterer Verblendung auch gern bereit, ihm die sein Leben vergällende Villa eingedenk der Nachteile für ein paar tausend Euro abzukaufen. Und wie alle Vermögensberater habe ich natürlich absolut überhaupt gar keine Hintergedanken, wenn ich das in einer Zeitung erkläre.

Eigener Herd ist Goldes wert.
Trad. Lüge

Früher war das alles noch ganz anders: Man konnte ohnehin kaum wegziehen, Berufschancen suchte man sich in der Heimatstadt, Mobilität galt als nicht erstrebenswert, in fremde Städte ging man nur, wenn man sich nach einer ungewollten Schwangerschaft der Ehe entziehen wollte oder sonst was ausgefressen hatte, und wer etwas gelten wollte, brauchte ein Haus. Je mehr Fenster zur Strasse, desto besser. Sozialprestige war ganz einfach zu bestimmen: Nach Fenstern im richtigen Viertel. 33 Fenster über drei Stockwerke und ein ausgebauter Speicher, und man konnte sich die besten Partien raussuchen. So war das vor 100 Jahren. Heute dagegen erzählen einem Finanzberater in Beiträgen auch in diesem Blatt, man solle sich erst gar nicht auf echte Immobilien oder gar Kredite einlassen: “Das hat seinen Preis, doch der Lohn ist Freiheit, und Unabhängigkeit ist mit Geld gar nicht zu bezahlen!” Statt dessen wird etwa zu offenen Inmobilienfonds und Aktien geraten, das ist das neue Glück der Reichen.

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Nun bin ich als schlechterer Sohn eines besseren Hauses (plus Gesindehaus) bekanntlich in Gelddingen vollkommen ahnungslos und habe auch noch kulturgeschichtliche Fächer studiert; wie ich nach anderen Gemäuern auch noch zu einer Wohnung am Tegernsee kam, ist ein Mysterium fast wie das Verschwinden der Madoff-Milliarden, und schaue ich mich bei meinen Anlagen also um, was sehe ich? Immobilien, silberne Teekannen, Kunst, Möbel. Da lacht natürlich jeder moderne Mensch, denn meine Anlagestrategie ist ziemlich exakt die von meinem Ururururgrossvater Anno 1846. Moderne Menschen leben dagegen in München, mieten eine schicke Wohnung und tun ihr Geld in clevere, hochmoderne Anlagen. Wie Aktien. Oder offene Immobilienfonds. Sogenannte “offene” Immobilienfonds. Manche waren während der Finanzkrise abgesperrt und dicht, sprich, man konnte an sein Geld noch schlechter ran, als durch den Verkauf einer Immobilie, aber hey! Betrachten wir einfach den Tag so eines klugen Mieters mit schneidigen Geldanlagen im Gegenwert meiner Wohnung und  vergleichen wir ihn mit einem vorsintflutlichen Idioten vom Tegernsee – also am besten mit mir.

Es ist Sonntag. Aus dem Radio in München dudelt ein Privatsender, und unser freier und unabhängiger Mieter denkt sich, dass es doch sicher schön wäre, heute zum Baden an den See zu fahren. Nachdem der Stau hinter Holzkirchen 7 Kilometer weniger Blechlawine als der Stau vor Starnberg hat, beschliesst er, mit seiner Partnerin an den Tegernsee zu fahren. Sie schwingen sich also in seinen schnellen Z4, und keine halbe Stunde später erblicken sie schon das Stauende, während sich der Anfang gerade über die Landstrasse an den Tegernsee vorgekämpft hat. Immerhin, es sind frei gewählte und unabhängige 45 Kilometer in 2,5 Stunden, man könnte die paar Stunden Freizeit auch woanders stehen. Das ist ein Schnitt von etwas weniger als 20 Kilometer in der Stunde. Der Idiot, der sich eine Wohnung am Tegernsee gekauft hat, schafft das nur, wenn er vom obigen Frühstückstisch den Berg zum See hinuntereilt, und auch nur auf 400 Meter. Weiter geht es nicht, dann ist er ausser Atem und am Strand, während der Z4 mit lautem Röhren mittlerweile durch den Stau auf der Autobahn gepflügt ist und nun den Folgestau auf der Bundesstrasse ziert. Das Verdeck ist offen, im iPod läuft Musik aus den vorletzten Castingshow. Es wird Zeit für ein paar neue Downloads.

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Eigentlich wäre es auch Zeit, an den See zu kommen. Am Nordende gibt es ein paar entzückende kleine Buchten, auf denen man tagsüber schön zwischen dem Halbschatten der Bäume und der Sonne des Panoramablicks über den See wandern kann. In der Regel hat man niemanden neben sich, wenn das Handtuch nur flächig genug ist. Die Aussicht ist phantastisch, die Ruhe traumhaft. Der Bewohner des Sees hat zwar keinen teuren Z4 als Saisonfahrzeug, sondern nur eine verbeulte Barchetta aus Familienbesitz, die gerade in Reparatur ist, aber unerfreulicherweise ist er trotzdem schneller und ergattert eine Bucht, bevor die Münchner kommen. Die gehen dann, wenn sie endlich da sind, eben ins kostenpflichtige Strandbad 100 Meter weiter, wo sie wenigstens auf ihresgleichen treffen und den Seglern des Yachtclubs zuschauen können. Das ist fast so gut wie selbst eine Yacht haben, und vielleicht, nächstes Jahr von der Rendite… wenn es doch wieder Ausschüttungen geben sollte…

Davon kann der Idiot in seiner Bucht nur träumen, denn natürlich wirft so eine Wohnung nichts ab, sie kostet nur, wenn man mal von der Wertsteigerung der Seeimmobilien absieht. Aber nachdem, wie die Italiener sagen, die Mutter der Idioten immer schwanger ist, gab es während der Finanzkrise nicht nur Immobilienfonds, die sich wegen Geldabflüssen verrammeln mussten – viele dieser Idioten investierten in die Scheinsicherheit echter Immobilien in guter Lage. Und trugen damit  – die dümmsten Bauern haben immer die grössten Kartoffeln – dazu bei, dass zwar so ziemlich alle tollen Anlagen einbrachen, aber die Immobilienpreise am Tegernsee anzogen. Glücklicherweise, für unseren Weisen aus München, kann der Verfluchte des Sees sich davon aber auch nichts kaufen. Er hat eben nur eine Wohnung, deren Sklave er ist. Er muss hier bleiben und sich beim lokalen Konditor mit einem Stück Kuchen begnügen, das er vor irgendwelchen spiessigen Bergen isst.

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Während der Mieter mit seinen Investments gar nicht hierher müsste. Er könnte auch an den Gardasee. Nach Verona. Nach Lugano. Oder über den Malojapass an den Comer See. Die Welt steht ihm offen, solange es nicht gerade ein Wochenende ist, denn da bleibt bei den Benzinpreisen nur der nahe Aufenthalt an den bayerischen Seen. Für einen Tag. Für eine Nacht ist dann schon wieder sehr teuer, Halsabschneider leben an den Seen und wollen 100 oder mehr Euro für ein Doppelzimmer, wenn eines frei ist, da fährt man lieber heim, wenn die anderen auch heimfahren. Ist ja nicht weit. In Kilometern. 45 Kilometer Freiheit und Unabhängigkeit. Oder auch 55 Kilometer, je nachdem, wo man in den Stau am See einsteigt. Der Stau durch Bad Wiessee auf der Westseite ist etwas länger, aber auch landschaftlich reizvoller, nur an der Kreuzung von Gmund – wo sich der Idiot vor einer Stunde die Torte geholt hat – ist es nicht ganz so schön.

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Zweieinhalb Stunden später – diese elenden Holländer, was müssen die eigentlich alle am Wochenende fahren – ist man als gerissener Investor wieder in München. War doch super, diese Unabhängigkeit. Mit Benzin, Strandbad, Essen, dem Schampus und dem Strafzettel kostete das alles kaum mehr als 100 Euro. Kann man sich locker, lok-ker leisten. Nicht mal die neue, sportive Alutrinkflasche hat man gebraucht, blieb alles in der Carrybag, die man mit dem Abo für diese tolle Investmentzeitschrift bekam, wo alle so schneidig aussehen und tolle Finanzpläne total kostenlos abdrucken. Jetzt noch eine Stunde Sport mit der Wii, dann auf das Sofa und die Überweisungen fertig machen. Oder auch nicht, am Dienstag wird die Miete abgebucht. So ein Mist aber auch, eigentlich wäre ja ein neues I*easofa fällig, das alte sieht ja noch älter aus, als die Barockstühle von so einem Idioten am See. Aber der ist dafür auch nicht so frei und unabhängig, jederzeit umzuziehen und das Sofa auf den Müll zu werfen, neue Challenges wahrzunehmen, Vorteile zu nutzen und überhaupt, der arme Schlucker:

Hat auch keine Konsole für den Sport. Keine Ausschüttung, mit der er sich dieses Must Have und den 1,7-Meter-Flachbildschirm kaufen könnte, der alles so plastisch darstellt. Der musste, als man bei Aying beinahe dem Benz draufgebrannt wäre, auf seinen Berg. Was anderes gibt es da nicht, keine Lichter der grossen Stadt, keine Clubs, keine Isarwege, wo man mit tausend anderen Joggern unterwegs ist, nein: Der muss allein und als letzter auf den Berg, wo er im letzten Licht der Sonne ganz einsam ist. Und unfrei. Und abhängig.

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Mit einem offenen Immobilienfonds und Aktien wäre ihm das alles erspart geblieben. Aber der glaubt ja auch seinem Ururururgrossvater Anno 1846 mehr, als all den tollen und kostenlosen Ratschlägen, die echte Finanzprofis aus reiner Menschenfreundlichkeit in etablierten Zeitungen veröffentlichen. Wieso dieser Idiot aber demnächst trotzdem über den Malojapass in das Tessin und über Bergamo nach Verona fahren wird, als wäre er kein unfreier und abhängiger Idiot – nun, unseren intelligenten Investor ficht das nicht an, er liest sicher nicht 9000 Zeichen darüber, wie klug er ist. Er weiss es ohnehin. Steht alles im Finanzplan seines Wealth Advisors äh Advisor’s.

Schon im Executive Sunmary.