Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Das Aussterben der Pelzträger durch bürgerliche Vorurteile

Beileibe nicht jede Verlockung der Moderne ist schlecht für die bessere Gesellschaft. Manches moderne Vorurteil, manche neue Einschätzung der Welt bringt diese Kreise auch voran, verhilft ihnen zu einem besseren Ansehen oder wenigstens, wie im Fall der nicht mehr getragegen Pelze, zu weniger Begegnungen mit Spraydosen. Und wie in diesen Kreisen üblich, wird der Sinneswandel auch gleich benutzt, um sich wieder abzugrenzen gegen jene, die es anders sehen: Es trifft ja nur Russen, Neureiche und Frau Schaeffler.

Sie sagten: Du kannst gehen, aber Deine Kopfhaut bleibt hier.
Die Ärzte, Kopfhaut

Offenlegung: Es kann gar nicht so kalt sein, dass ich Pelzträgerinnen nicht nach Hause laufen lassen würde. Nicht mal ein Taxi würde ich sie anrufen lassen. Angeblich wärmt Pelz ja so gut – man wird sehen.

Aktuelle Modenschauen und deren Designer geben sich gerade alle Mühe, den Konsumentinnen das Tragen von Pelz wieder nahe zu bringen, Ein paar Winter hindurch immer das gleiche Spiel: Pelz sei Ausdruck der Unabhängigkeit, die Frau zeige damit, dass sie sich nicht von kleinen, grauem Ökos unterkriegen lasse, auch andere Tiere müssen leiden, man dürfte dann auch kein Fleisch mehr essen, keinen Speck für alte Tanten aus Sterzing holen – der Sturmlauf der Reaktion gegen die Mauern der öffentlichen Meinung wird vorgetragen von Stilexperten, gekauften Journalisten und Trägerinnen, die dank klimatisierter Räume und Autos dergleichen nie bräuchten. Es wird appelliert an die liebsten Verhaltensweisen der Luxusweibchen, den kindischen Trotzkopf und die Freiheit, die sich mit einem Pelz ausdrücken liesse – und es hilft trotzdem nichts. Kaum eine Äusserlichkeit zeigt die Veränderung der deutschen, besseren Kreise so deutlich auf, wie die Ablehnung von Pelz.

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Denn Pelz ist alt. Und zwar auf eine unangenehme Weise alt. Nicht alt wie Familienschmuck, Gutshöfe, Patina, oder noch nicht mal Falten, sondern so alt wie dritte Zähne, Hautstraffung und Fettabsaugen. Die gesellschaftlich erlebbare Realität des Pelzes hat in Deutschland nichts mit den Laufstegen zu tun, sondern mit Alter, Zerfall und dem Umstand, es nötig zu haben, den aus der Form geratenen Körper mit Fellen zuzudecken. Dieses empfundene Elend rührt aus auch den Zeiten her, da man in besseren Kreisen die Schränke der Grossmütter ausräumen half, und die Inhalte – der gute Persianer, der hat damals 3000 Mark gekostet, den darf man nicht wegwerfen – in die eigenen Schränke in den Keller steckte, wo sie Modergeruch annahmen und neben alten Skianzügen schäbig aussahen. Man wirft es nicht weg. Aber man trägt es auch nicht mehr. Man schämt sich ein wenig, wenn man das findet.

Es mögen natürlich nur Vorurteile sein, und Vorurteile sind gefährlich. Pelz hat eine Tradition seit der Steinzeit, und war als Kleidung ab dem 19. Jahrhundert auch ein Zeichen des bürgerlichen Aufstiegs – und der damals wütenden kleinen Eiszeit, die heute, dank Klimawandel, gründlich beendet wurde. Es ist keine dreissig Jahre her, da Rieger Pelze noch Fernsehwerbung bezahlen konnte. Pelz galt den Vorurteilen der besseren Kreise zufolge als getragener Nachweis von Luxus, Reichtum, und Geschmack. Heute denkt man, mit neuen und besseren Vorurteilen versehen: Alt, geschmacklos, neureich, oder gar aus den Nachfolgestaaten der UdSSR. Folglich verschwindet der Pelz, wenn er denn jenseits dieser bestimmten Altersgrenze doch getragen wird, nach innen – aussen bleibt nur ein kleiner Rest in Modefarben wie lila – nun ja, also eben, lila, was soll man da noch sagen, lila eben – stehen, und das auch nur vorne. Von hinten könnte sich ja jemand mit der Spraydose nähern.

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Und bekäme vielleicht sogar Applaus. Gerade auf dem Wochenmarkt, wo man sein Verantwortungsgefühl für die Schöpfung mit Trüffelpecorino und Fleisch aus regionaler Herkunft vor sich herträgt. Was früher als Ökospinnerei verschrien war, ist längst allgemein akzeptierter Standard geworden. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der heute die früher absonderlichen Theorien seltsamer 68er zum guten Ton gehören, wurden die Pelze aussortiert und geächtet. Die Ächtung durch arme Schlucker konnte man als Zeichen des Neides interpretieren. Heute ist die Ächtung oben in der Gesellschaft angekommen. Die Bilder der Robbenschlächter und der Nerze, denen in Farmen bei lebendigem Leib die Haut abgezogen wird, haben gewirkt. Nachhaltig. Und wenn es schon die Kinder davor ekelte, werden sie später genug dem sozialen Status angemessene Alternativen finden. Kaschmir ist auch warm, nur kann man darunter schlecht das Fett verstecken. Aber wer ist schon fett. Pelzträgerinnen. Eben. Die besten Vorurteile sind die, die sich gegenseitig stützen.

Es bleiben dem Pelz nicht viele Refugien; und das wiederum sind Orte, an denen ausgehaltene Mittsechzigerinnen und dazugehörige Männer im roten Aalledersakko den Ton angeben: Sylt, Rottach-Egern, die Kö und der Kudamm, ein paar retardierte Taunuskäffer, Davos, St. Anton und Kitzbühel. Und auch hier wird es eng; man denke etwa an Frau Schaeffler, die sich dort während der Krise ihrer Firma im Pelzmantel ablichten liess.  Und danach, angesichts des Aufschreis, eine Vorliebe für rote Schals und Kullertränen entwickelte.

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In diesen abgelegenen Gegenden jedoch kritisiert der bessere Nachwuchs auch den Beigeschmack der Pelze: Der Anschein der Ehefrauen, denen dergleichen zu Weihnachten geschenkt wurde. Eine Trophäe für die Trophäenfrau, eine Verpackung für die Begleiterin, wenn man sie anderweitig vorzeigte. Bei einem Pelz fragt sich niemand: Wie hat sie sich das leisten können. Die Frage lautet: Wer hat ihr das gekauft. Das war vor dreissig Jahren noch eine gute Frage, denn sie beschäftigte sich mit dem Vermögen des Ernährers. Heute ist es die Frage nach dem Ausgehaltenwerden, der Unselbstständigkeit, der Abhängigkeit in einer Vorstadtvilla ohne Beruf und nicht mehr Spass im Leben als “Shoppen” und vielleicht noch dem Fitness-Studio. Niemand denkt bei einem Pelz an Begriffe wie “erfolgreich, unabhängig, emanzipiert”.

Nun sind Vorurteile sicher nicht der edelste Anlass zum Umdenken, aber im Gegensatz zur Erkenntnis sind sie in besseren Kreisen nachweislich hochgradig effektiv und dauerhaft. Gerade weil Pelz für eine gewisse Lebenseinstellung steht, ist er vorzüglich geeignet, sich von dieser veralteten und nicht mehr opportunen Einstellung zu trennen und abzugrenzen. Der Umstand, dass Pelz bei den Russen beliebt ist, schliesst die nicht unbedingt logische, sehr wohl aber tierfreundliche Argumentationskette. Die besten Stücke der Grossmutter wären meist das letzte, was man tragen würde, nur noch überboten vielleicht von Opas Parteiabzeichen und Ritterkreuz.

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Pelz also sei wieder im kommen, schreit es aus Modezeitschriften. Mitunter kauft sich wirklich jemand einen gebrauchten Pelz, muss den Umstand des Erwerbs dann aber dauernd betonen, weil die öffentliche Meinung doch nicht so gut ist, und hängt ihn irgendwann, ermüdet von den Angriffen und Anfeindungen, in den Schrank weg. Kinder weigern sich, mit ihren Müttern auszugehen, wenn sie Pelz tragen. Pelzgeschäfte entwickeln sich zu Ledergeschäften. Und die Robbe hat ihre Ruhe vor Typen, die, wären sie Deutsche, vermutlich die Bildzeitung lesen würden.

Es wärmt in meinen Kreisen eben nichts besser als gut gepflegte Vorurteile.