Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Die kleine Schweiz und die kleinen Boni kleinlicher Banker

Eine Volksweisheit sagt, dass dort, wo am lautesten geschrien wird, auch am meisten gelogen wird. Nachdem gerade tout London vom Heulen ob einer Steuer auf Boni erschallt, darf man getrost davon ausgehen, dass es nicht so schlimm ist, und dass im Gegensatz zu den Behauptungen auch niemand von seiner Bank in die Schweiz gerettet wird. Das Problem haben nur ein paar Banker; Banken geht es damit keinesfalls schlecht.

Ihr geratet wohl, wie ihr wollt in das Land Schwyz hinein kommen, jedoch geratet keiner, wie ihr wieder wollt heraus kommen.
Kuony von Stocken

Ach je, die Schweiz. Das kleine Land mit dem grossen, rechtslastigen Problem, noch vor wenigen Tagen die Lachnummer der internationalen Gemeinschaft, steht plötzlich wieder hoch im Kurs. Bei Beschäftigten jener drei Quadratkilometer, die den Londoner Finanzdistrikt bilden. Dort, wird allgemein in der wirtschaftsnahen Presse behauptet, werden nach der Bedrohung durch eine Strafsteuer auf Bankerboni die Koffer gepackt. Die ehemals angesehene, heute jedoch zum Murdoch-Imperium gehörende “Times” etwa schrieb, das sei gut für die Wirtschaft der Schweiz, in Zürich werde man die Fliehenden gerne empfangen, und man brauche Grossbritannien doch die Banker nötiger, als die Banker die Briten. Man sollte kaum glauben, dass es sich dabei um den Rest des ehemals stolzen britischen Empires handelt.

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Man kann das natürlich so und so sehen: Angesichts der 650 Milliarden britischer Peseten, die die Regierung ihrer Majestät zur Stützung ihrer und indirekt anderer Leute Banken aufwendete, sind die zu erwartenden Einnahmen von 550 Millionen Peseten durch die Bonisteuer ein Klacks. Bedenkt man zusätzlich noch, dass es ohne jene Milliarden in Ermangelung von Banken auf der gesamten Insel keinen Banker mehr geben würde, der seinen Boni ausserhalb der Toilettenreinigung oder der Zweitverwendung von Pappbechern bei der Strassenkollekte verdienen könnte, kann man die britische Regierung und ihre Applaudierenden in Berlin und Paris durchaus verstehen, ohne sie deshalb gleich als Populisten zu bezeichnen. Allerdings ist die Schweiz ein wirklich schönes Land, und in St. Moritz etwa kann man sich beim Liftfahren schon mal überlegen, was man mit jenen Millionen macht, die man als Banker hierher mitbringt. Und Leistung müsste trotzdem belohnt werden, und man kann das Kapital nicht aufhalten, und die Elite ist nun mal mobil – all das wird bei diesem Thema in den Medien vorgetragen.

Meines Erachtens vor allem, weil Journalisten nur beim Monopolyspiel, nicht aber bei den Profit Centern des Herrn Murdoch reich werden; realiter verstehen sie, die sich bisweilen schon über einen vollen Tank im Testwagen freuen, nichts von Reichtum und Umverteilung. Deshalb sind manche arm, links, beim Neuen Deutschland und für Strafsteuern, und manch andere arm, rechts, Freunde des Buffetgesprächs und glauben an die dort kolportierte Mär der Schweiz. Für Menschen, die auch nur ansatzweise reich sind, ist die Idee, Banker wegen der Bonisteuern in die Schweiz zu schicken, vollkommen absurd, ja sogar kontraproduktiv. Schweiz kommt gar nicht in Frage, die Realität der Betroffenen ist nicht glänzend wie die Pisten bei St. Moritz, sondern so trist wie ein geschlossenes Hotel auf dem Malojapass vor der Abfahrt in die italienische Krisenzone. Und das aus besten Gründen.

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Dazu muss man das Wesen des Bonus verstehen. Ein Banker erhält einen Bonus, weil er, alles zusammengerechnet, der Bank einen Gewinn über jenes Mass hinaus beschert hat, das als Grundlage seines normalen Einkommens betrachtet wird. An diesem Überschuss wird er als Angestellter beteiligt. Von der Bank, und deren Besitzern, weil er primär deren Vermögen mehrt. Ein Banker ist nicht der Boss, sondern nur ein Angestellter, ein Diener, ein Büttel, ein Handlanger. Und wie in allen anderen Wirtschaftsbereichen ist es seinem Arbeitgeber vollkommen egal, ob der Untergebene nun von anderen geschröpft wird, oder nicht. Deshalb darf er keinesfalls weitere Kosten verursachen.

Nähern wir uns der Bankerflucht in die Schweiz mit einem anderen, ausgedachten Beispiel, das auch ärmere Zeitgenossen verstehen. Stellen wir uns einen kleinen Handwerkerbetrieb in Stuttgart vor, der viele Überstunden macht. Nun führt unser ehrenwerter Finanzminister Schäuble zur Senkung der Lohnnebenkosten eine Steuer auf Überstundenzuschläge ein, sofern sie nicht bei der informellen Überbringung von Briefumschlägen anfallen. Für die Mitarbeiter des Handwerkerbetriebs ist das höchst unerfreulich – und nun stelle man sich vor, sie würden bei den Medien anrufen und sagen, ihr Betrieb solle in die Schweiz wechseln, damit sie diesen Zuschlag auch weiterhin steuerfrei bekommen. Jeder Chef würde diese aufsässige Bande bei den Gedanken an die Kosten solcher Ansprüche eiskalt feuern. Wie zum Teufel kommen Mitarbeiter dazu, aufgrund ihres eigenen kleinen Vorteils, ihrer läppischen Kröten die Übersiedlung einer Firma zu verlangen, wo er doch weniger Lohnnebenkosten zahlen müsste?

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Banken sind da nicht anders. Im Gegensatz zum weit verbreiteten Glauben kann man Bankgeschäfte nicht einfach so nach Belieben von London nach Genf verschieben. London wurde wegen massiver Deregulierungen als Bankenstandort gross, wegen der Verfügbarkeit einer Vielzahl von notwendigen Institutionen, Beratung, Bewertung, Anwaltskanzleien und Steuerberatern. Die Vorstellung, eine Firma könnte aus so einem spezialisierten und verwobenen System einfach mal ein paar Abteilungen und abziehen, und dadurch unter hohen Kosten grosse Strukturen aufbrechen, nur um ein paar Managern einmalig ein paar Euro zu retten – die kann vermutlich nur einem Journalisten einfallen. Derartige Änderungen wären schon in der Planung aufgrund der Unterschiede in den Rechtssystemen der Länder kostspielige ABM-Massnahmen  für Grosskanzleien. Abgesehen von diesen paar Unannehmlichkeiten für mittleres Management ist London immer noch der freundliche Bankenplatz, der gute Geschäfte auf internationaler Ebene verspricht.

Machiavellistisch gedacht ist für die Besitzer von Banken ohnehin positiv, wenn an einigen wenigen Bankern jene Strafen vollzogen werden, die das Volk fordert. Es sind, wie gesagt, nur Mitarbeiter, deren Gewinnbeteiligung im Fokus der Aufmerksamkeit steht. Ganz im Gegensatz zu den tatsächlich mit den Staatshilfen wieder erwirtschafteten Gewinnen. Die Politik sucht sich die Opfer in der zweiten Reihe ausgerechnet bei jenen Angestellten, die sehr teuer sind, und nun als Sündenböcke dazu betragen, dass sich die Stimmung für die in der Kritik stehenden Banken bessert. In dem Moment, da Banken diese Mitarbeiter in die Schweiz retten würden, würden sie sich selbst dem massiven Druck der Öffentlichkeit aussetzen. Und, seien wir jenseits aller praktischen Erwägungen auch emotional ehrlich, altes Geld hat noch nie geweint, wenn Neureiche bluten mussten.

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Was vom Umzugsgerede bleibt, sind die in diesem Sektor üblichen Drohszenarien. Betrachtet man den Komplex nicht von der subalternen Journalistenhaltung, sondern von oben, spricht allein schon aus Kostengründen wirklich alles gegen einen Umzug wegen der – relativ gesehen – läppischen Bonieinbussen einiger Mitarbeiter: Mietverträge für Bürogebäude sind nicht nur langfristig abgeschlossen, die Besitzer finanzieren diese Gebäude in der Regel auch über Kredite bei den Mietern, und es ist gerade absolut nicht die richtige Zeit, mit einer Kündigung von Flächen in der eigenen Gewerbeimmobilienabteilung für noch mehr Abschreibungsbedarf zu sorgen. Um den Wert von gewinnträchtigen Abteilungen zu behalten, müsste man sie möglichst komplett als Struktur verpflanzen, und damit allen teuer eingekauften und ausgebildeten Mitarbeitern den Umzug bezahlen, wenn die überhaupt bereit sind, London zugunsten eines zurückgebliebenen Berglandes mit seltsamen Sprachen der Eingeborenen zu verlassen. Man würde vielleicht den Chef so einer Abteilung bevorzugen, die Abteilung selbst aber zerstören. Der in dieser Debatte so oft als steuerparadiesisches Ziel genannte Kanton Zug hat rund 100.000 Einwohner und absolut keine Kapazitäten, solche Strukturen in grösserer Zahl zu beherbergen. Und wo nimmt man in Andermatt mal eben einen Spezialisten für bolivianisches Gesellschaftsrecht her, wenn man gerade einen braucht und die Zeit drängt?

Obendrein wäre noch zu berücksichtigen, dass Boni und Gehälter, in minderwertigen amerikanischen oder britischen Peseten ausbezahlt, in der Schweiz dank des stabilen Franken fast so attraktiv wie nigerianische Naira sind. Dazu kommt die in der Schweiz stärker werdende Opposition gegen die steuerliche Bevorzugung von Fremden und Steuerflüchtlingen, die dort zur sozialen Ungleichheit beitragen. Ein paar Flugzeugladungen indezenter City Boys, die in der Schweiz nur ihren eigenen Steuervorteil sehen, helfen eher den Bestrebungen, solchen Leuten die Privilegien zu nehmen. Vielleicht bliebe dann noch der Umzug innerhalb der Schweiz in nettere Kantone, zu anderen Schweizern mit noch unverständlicheren Dialekten. Und das alles wegen einer Steuer, die man im nächsten Jahr nicht mehr zahlen wird, weil man Boni intern so regelt, dass sie den Gesetzen entgehen. Daran arbeitet sicher schon die nebenan residierende Kanzlei.

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Oder man übernimmt einfach das System von Goldman Sachs, das sie blitzschnell aus der Tasche zogen, und gibt ein Buffet aus, damit es in der armen rechten Presse als die beste aller möglichen Welten präsentiert wird. Die arme linke Presse versteht das alles ohnehin nicht.