Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

10.000 Euro teure Lehren aus 2009

Wenn es einem im Gegensatz zu vielen anderen nach der Krise nicht schlechter geht als vor der Krise, dann gehört man zu denen, dies man vielleicht als Gewinner bezeichnen könnte. Weil jemand die richtigen Stützen der Gesellschaft begünstigt hat, weil die Belastungen verteilt werden, weil der Teufel immer auf den gössten Haufen - nun, die Frage ist nur: Warum fühlt es sich mit ein wenig Nachdenken so an, als hätte man auch verloren?

I said “pretend you’ve got no money”
but she just laughed and said “oh you’re so funny”
Pulp, Common People

Wenn man mir 10.000 Euro nimmt, muss ich keine Silberschale, keine Kanne, keinen einzigen Silberlöffel verkaufen.

Wenn man einer Berliner Freundin, alleinerziehend mit einem Kind, Vater besitzlos, 10.000 Euro an Leistungen nimmt, wird sie mangels anderer Alternativen in letzter Konsequenz gezwungen sein, auf den Strich zu gehen, oder das Kind wegzugeben. Ich jedoch käme erst gar nicht zum Grübeln, ob ich, um ihr zu helfen, nicht doch ein paar Kilo Silber verkaufen sollte, oder einfacher etwas sparsamer leben, denn sie würde es sich nicht anmerken lassen. Sie würde sich nicht wehren. Sie würde versuchen, zu überleben.

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Diese 10.000 Euro, von denen ich hier spreche, sind das, was man vermutlich als das staatlich garantierte Spielgeld der Banken in den westlichen Industrienationen ansehen darf. Diese 10.000 Euro können Knall auf Fall abgerufen und ohne Gegenleistung werden, sie werden von der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt, ohne dass man die Einzelpersonen fragen würde. In den USA wird gerade ein Gesetzespaket durch die Parlamente gebracht, das genau diese 10.000 Euro in einem hinteren Teil zum Thema hat: 4 Billionen, 4.000 Milliarden Dollar kann die amerikanische Notenbank beim nächsten Wall Street Crash in die Banken pumpen. Zusätzlich garantiert der Staat für die Schuldverschreibungen der Banken. Da sind, auf den einzelnen umgerechnet, 10.000 Euro eher die Unterkante, ein Anfang vielleicht von dem, was der Staat den Banken gibt. Und natürlich wird sich der Staat das wieder irgendwo holen muss, von seinen Bürgern: Sozialleistungen, Bildung, eher unwahrscheinlich dagegen Reichensteuern und Finanzmarktsteuern, sicher nicht: Keine militärischen Abenteuer mehr.

Ich denke, es ist ziemlich irrelevant, ob man so etwas in einem dicken Paket für amerikanische Politiker versteckt, wo es allenfalls von Bloomberg gefunden und auf diesem kleinen FAZ-Projekt für Wenige diskutiert wird, oder ob Banken einfach damit rechnen können, dass es so kommt. Das Paket ist ein klares Versprechen, und wer bei der Globalisierung mithalten will, wird es den Amerikanern gleich tun müssen. 10.000 Euro pro Bürger, egal ob reich oder obdachlos, egal ob mit dem Vermögen in der Schweiz oder einer Karte, die nichts mehr ausspuckt: 10.000 Euro sind sicher.

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Wer wie ich aus den Westvierteln der Republik kommt, ahnt natürlich, wie das endet. Es gibt immer ein paar zu reiche und schlecht zu ertragende Eltern, die dem Sohn nach dem Autounfall im Suff nicht nur den Rechtsanwalt spendieren, sondern auch noch das neuere, bessere, schnellere Auto. Und mit schöner Regelmässigkeit bringen sie dann nicht nur sich selbst, sondern auch andere damit um. Genau das gibt man den Banken: Die Garantie, dass sie nach dem nächsten Crash immer noch doppelt so viel Hilfen bekommen, wie sie diesmal bekamen. Dein GTI ist Schrott? Hier, nimm den Porsche. Und wenn der hin ist, gibt es einen Ferrari. Das ist die eine Lehre aus 2009.

Die andere Lehre ist: Das ist nicht politisch. Die Amerikaner haben sich von Bush und Palin befreit, und besitzen eine demokratische Regierung, die Briten garantieren sozialdemokratisch, wir tun es in Schwarzgelb und die Russen lupenrein demokratisch. Für die Banken. Die den Aktionären gehören, oder Firmen, die auch jemandem gehören, aber wenn man am Ende zur Überzeugung gelangt, dass diese Banken zumeist einer kleinen Schicht gehören, und sicher nicht meiner alleinerziehenden Bekannten in Berlin, die das Risiko dieser Banken 10.000 Euro kosten kann, ist man schon nah dran an der Wahrheit. Man wird denen Besitzern über die Banken das Risiko abnehmen und – ohne das es gesagt wird – an alle weiterreichen. Das ist natürlich nicht die freie Marktwirtschaft; das Kalkül dahinter aber ist: Wenn es mit dieser Sicherheit im Hintergrund gut geht, haben alle etwas davon. Und wenn wir wieder retten müssen, ist es immer noch besser so, als dass in der Folge die ganze Wirtschaft implodiert, und alle noch mehr leiden, als nur mit 10.000 Euro.

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Das ist eine Wette auf die Zukunft mit einem besoffenen Fahranfänger am Steuer eines übermotorisierten Fahrzeugs auf jener öffentlichen Strasse, auf der wir alle unterwegs sind. Zu gerne würde ich dagegen wetten, aber selbst wenn ich gewinnen würde, hätte ich nichts davon – irgend ein Trumm wird mir bei diesem Unfall auch an den Kopf fliegen. Das, was all die elenden Jubelperser der wirtschaftlichen Erholung an den Börsen verlauten lassen, wäre natürlich zu hoffen, wenn es nachhaltig wäre. Aber wenn ich sehe, wie alle Bekannten meiner Eltern gerade Immobilien suchen, und wie entsetzlich teuer in den letzten Monaten Alte Kunst wurde, scheint man in den real bevorzugten Kreisen absolut kein Vertrauen zu haben. Vielleicht, weil bei uns jeder weiss, wie das mit den neuen, schnellen Autos ausgeht.

Oben hat man die Lehren aus 2009 gezogen und dazugelernt. Unten vielleicht auch, aber das bringt denen gar nichts: Wenn der Staat den Banken die 10.000 Euro geben will, hat er auch die Mittel, sich das Geld zu holen. Solange man etwas besitzt, kann man den Besitz evakuieren. Aber ein Drittel der Bevölkerung westlicher Industriestaaten ist praktisch besitzlos, und ein weiteres Drittel hat nicht genug, um solche Vermeidungsstrategien zu fahren. Den einen werden die Leistungen genommen, den anderen der Besitz. Sie werden das alles hinnehmen, sei es, weil es mit Schulden hinausgeschoben oder über Prämien aufgehübscht wird. Eine Alternative gibt es nicht, aber dafür jede menge Angst, dass es noch schlimmer kommen könnte. Und wenn eine Alternative doch gedacht wird, dann kommt sie, wie in Amerika, eben nicht von den Etablierten, sondern vom Rand.

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Und dann ist da noch diese, zugegeben leicht perverse Überlegung: Als die New Economy zusammenbrach, begann in den USA die Immobilienblase mit all den hübschen, heimeligen Häusern, auch als Gegenbewegung zu den virtuellen, letztlich wertlosen Gütern der Zeit davor. Nun, da die heimelige Immobilienblase auch geplatzt ist, bräuchte man eine neue, gegenläufige Blase, auf der man aufbauen, Gewinne machen und expandieren könnte. Vielleicht ist diese Blase schon längst da, und vielleicht sind diese 10.000 Euro, für die ich mit einem Schulterzucken und meine Berliner Freundin mit ihrer Existenz einsteht, auch ein Hinweis darauf, was die neue Blase ist: Die Krise selbst.

Denn auch mit der Krise kann man umverteilen und sich bereichern, Unterschiede zwischen Gewinnern und Verlierern werden deutlicher, man stellt sich der neuen Blase auch nicht in den Weg, sondern macht ihr Versprechungen, man fördert ihre Protagonisten und schafft Gremien, um die Krise fördernd zu begleiten. Wie jede Blase steuert die Krise Kaufentscheidungen und Konzentrationsprozesse, und dass auch Unsicherheit ein famoses Geschäftsmodell ist, weiss jeder Anbieter von abgeschotteten Siedlungen für meine Klasse.