Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Der exklusivste Ort der Welt

Klassengrenzen kann man mit verschiedenen Mitteln ausdrücken, aber was wäre besser geeignet, was wäre definitiver als ein fast unpassierbarer Abgrund mit Gletschereis und Geröll, ein paar Kilometern Abstand und luftige Höhe? So ein hermetisch von normalen Sterblichen abgeschotteter Olymp für Reiche sollte tatsächlich vor einiger Zeit in der Schweiz gebaut werden, und es ist nicht uninteressant, sich des Projektes zu erinnern.

Die Felsen leben. Sie sprechen: Wir sind Organe der Gottheit Erde – aber ihr Würmer- ja- ihr seid es auch.
Bruno Taut, Alpine Architektur

Also, ich verlasse Davos mit seinen Wohnwürfeln und abwesenden Bessergestellten, und biege links ab, hinauf zum Flüelapass. Ich trage eine cremeweisse Baumwollhose, einen cremeweissen Sportfahrerpullover im Stil der 60er Jahre mit der dunkelbrauner Aufschrift “Monza”, darunter ein weisses Hemd von Féraud, dunkelbraune Wildlederhandschuhe mit cremeweisser Häkeloberfläche von Giovanni Cavalieri in Parma, eine alte Admiral von Longines, und dunkelbraune Norweger französischer Art von Sutor Mantelassi über englischen Socken, ebenfalls dunkelbraun mit cremeweissem Muster. Hinter den Sitzen liegt eine passende Glencheckjacke von Carlo Barbera. Ich bin unterwegs zum exklusivsten Ort der Welt.

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Nun mag mancher vielleicht denken, dass ich nur einen der vielen Alpenpässe fahre, die in ein eisiges Nichts führen, umrahmt von Bergen, die komische Namen haben und von Menschen bestiegen werden, die Funktionsjacken mit Logos und unförmige Hosen tragen, und Müsliriegel für Essen halten. Der Flüelapass liegt auch nicht in einem Land mit automobiler Zivilisation, sondern nur in der zutiefst autohassenden und unsportliche Strafzettel ausstellenden Schweiz, die anspruchsvollste Strasse der Europas ist drei Pässe weiter am Stilfser Joch in Italien, und um die schönste aller Strecken am Jaufenpass zu erreichen, müsste ich erst nach Meran. Jeder Opel kann sich am Füelapass von der ramponierten Südrampe die Federung ruinieren lassen. Es ist nur einer von vielen grandiosen Alpenpässen mit unfassbarem Licht, wenn das Wetter gut ist, und elend trüber Suppe, wenn die Photographen der Fremdenverkehrbüros nicht kommen.

Kein Grund also, warum ich mir meine Mantelassis im Altschnee und auf spitzen Steinen in 2383 Meter Höhe ruinieren sollte. Und trotzdem, in dieser lawinenbedrohten Einöde zwischen zwei Bergketten, wo sich Ende Mai der Schnee am Strassenrand bis über zwei Meter hoch auftürmt, ist die allerbeste Lage. Besser, viel besser noch als Davos, besser als Aspen, besser als alles, was man kennt, der Ort, gegen den der Rest der Welt abfällt, und sie teilt in diejenigen, die hier sind, und alle anderen, die keinen Zutritt haben. Hier oben im eisigen Nichts am Pass soll er beginnen und sich bis zum nächsten 3000er Gipfel ziehen, der nicht weit entfernt liegt. Der Gipfel heisst Schwarzhorn. Und die Firma, die ihn zur Weltsensation macht, ist die Hotel Schwarzhorn AG. Gewesen.

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Dieser mächtige, dunkle Felsstock ist das Schwarzhorn, und ganz oben, auf dem Gipfel, sollte das höchstgelegene Luxushotel Europas entstehen. Wobei “Hotel” eine nicht ganz passende Umschreibung ist; geplant war nicht weniger als eine abgeschottete Welt der Reichen. Jeder kann nach Davos fahren und sich über die minderwertige Architektur lustig machen, auch höchste Preise retten den Millionär nicht vor den billigen Plastikkameras durchgeschleuster Chinesen, und manche billigeren Hotels bringen ein Publikum herein, an das sich offensichtlich im Ort die Plastiktaschenhersteller und Taschenmesserhändler wenden. Man kann Orte nur so weit verteuern, dass unerwünschte Subjekte mit weniger als 100.000 Jahreseinkommen gerade noch die Wahl haben, sich aufgrund des Rufes des Ortes als nützliche Idioten ausnehmen zu lassen, oder nur kurz zu bleiben und höhnisch zu lachen. Das Hotel auf dem Schwarzhorn dagegen verfolgte eine andere Idee: Hier hat nur derjenige Zutritt, der den Ansprüchen vollumfänglich genügt, sei es nun als Mieter oder Besitzer eines Appartments.

Denn so einfach kann man dort nicht hinaufgehen. 800 Höhenmeter geht es über Geröll, Steinbrocken und kleine Gletscherreste, und in den 80er Jahre glaubte man auch noch, man könnte hier ganzjährig Ski fahren. Der Zugang zum Hotel wäre nur über eine Standseilbahn möglich gewesen. Wer unten nicht vorgelassen wurde, wäre nie auch nur in die Nähe der Reichen gekommen. 800 Höhenmeter und vier Kilometer Luftlinie, näher wäre kein Unbefugter je den dort oben Lebenden und Entrückten gekommen, ihrem Gipfelhotel und ihren Vergnügungsorten auf dem Radontgletscher, der selbst wiederum durch eine kaum passierbare Schlucht von der Strasse der Sterblichen getrennt ist. Dort drüben aber hätte man Steinböcke schiessen können, wenn es einem langweilig geworden wäre.

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Die Erhöhung des Menschen durch seine Umsiedlung auf hohe Gipfel ist nicht wirklich eine neue Idee; ihr huldigten die Zikkurate der Zweistromlandes genauso wie der Olymp der Götter oder der biblische Bericht vom Berg Sinai. Entrückung, Überlegenheit, Weltenferne, das ist nicht nur das Selbstbild eitler Feuilletonisten, wenn sie, in ihren Büros eingesperrt, Bloggern mit ein paar zusammengestöpselten Halbbildungsbrocken aufgrund deren Hinwendung zum “minderwertigen” Internet mangelnde Qualität bescheinigen; das spielte auch beim Architekten Bruno Taut eine wichtige Rolle, der aus einer ganz anderen Lage, der des verlorenen ersten Weltkrieges, und aus dem folgenden Elend heraus, das dem fettfaulen Journalismus noch bevor steht, das Ideal einer “Alpinen Architektur” entwarf. Taut zeichnete Kristallkomplexe auf hohen Gipfeln und Eismeeren, die Berge in künstliche, bessere Welten verwandelten und den Menschen durch die Erhabenheit zu einem besseren Wesen machten. Allerdings dachte Taut dabei nicht nur an die Reichen, sondern an alle Menschen, er wollte ganze Städte in den Bergen und nicht nur die eine Siedlung, die antrat, alles andere in den Schatten der Inferiorität zu stellen, Unerwünschten den Zugang in kafkaesker Manier zu verneinen, und eine Welt der Wohlhabenden zu schaffen, in denen jeder nicht Wohlhabende lediglich dienende Zwecke besitzt.

Es wäre das Überdavos geworden, gekommen, um das bisherige Davos und seine durch die demokratischen Strukturen des Landes unvermeidlichen Nachteile zu beerben. Es war eine in sich logische Weiterentwicklung geworden und der neue Stupor Mundi, ein neues Castel del Monte und eine Absage an eine zu bürgerliche Welt, die jedem ein gewisses Mass an Zutritt erlaubt. Man gründete also eine AG und stellte auf dem Flüelapass Tafeln auf, die Durchreisende zur Beteiligung animieren sollte, man versprach eine einzigartige Gelegenheit, bis sich zeigte, dass es vielleicht doch nicht so einfach ist. Der Elan der 80er Jahre verschwand, und 1994 ging die AG in Liquidation. Es gibt kein Hotel und keinen Staat der Reichen auf dem Schwarzhorn, unerreichbar für normale Menschen, es gibt nur den Berg, das Licht und die Erkenntnis, dass der Berg früher oder später jedes menschliche Bemühen zertrümmert, abschüttelt, unter Schneemassen begräbt und zu kleinen Steinen zermalmt, denn vor dem ewigen Berg ist alles sterblich und nichts von Dauer.

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Und deshalb ist das Schwarzhorn wirklich der exklusivste Ort der Welt geblieben, noch exklusiver als das geplante Reichenkristall an seiner Spitze, einsam, gigantisch, ein kraftvoller Titan, nicht einmal die Reichsten der Reichen dürfen im Gegensatz zur Planung dort oben wohnen, sie werden ausgeschlossen und müssen weiter demütig wartend in Davos bleiben. Man kann ihn besteigen, aber wenn man nicht aufpasst, bringt er einen ohne Gnade um. Die Davoser überlegen jetzt, ob sie hier oben nicht vielleicht einen Windpark hinstellen, denn zu irgend was muss man den Ort ja verwerten und entweihen können, zumindest so lange, bis der Berg zurückschlägt und dem Wurm seine Bedeutungslosigkeit zeigt. Würde er mich mit einer Mur in den Abgrund schieben, meine Mantelassis würden genauso schnell vergehen wie Lobbs oder Deichmänner, meine Longines würde zertrümmert werden wie eine Breguet oder eine Swatch, dem Felsenbrocken wäre es egal, ob er nun einen Roadster zerquetscht, einen Aston oder einen Astra, und niemand würde je wissen, was da unter dunkelbraunem Geröll und cremeweissen Schneeresten verfault, und irgendwann hinuntergespült wird, sei es nun auf der einen Seite des Passes in den Inn und die Donau bis ins schwarze Meer, an dessen Gestaden sich die Ballermänner besaufen, oder auf der anderen Seite in das Rheintal Richtung Bodensee, wo jene Furchtsamen ihr Geld über die Grenze bringen, denen der Platz auf dem Schwarzhorn und der Traum eines Reichenstaates für immer verwehrt sein wird.

Ich aber lebe, und fahre weiter zum Ofenpass und ins Val Müstair.