Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Das Knallbunt des Geldes

Früher verewigte sich man mit möglichst imposanten Bauten im Stadtbild, während die Stadteliten versuchten, dieser Verschwendung mit Verordnungen und Steuern entgegen zu treten. Heute baut man dezent hinter Hecken und streicht das Haus im immer gleichen Weiss. Kehrt man jedoch zurück in die Altstadt, und erwirbt man dort ein Haus, gelten plötzlich wieder die alten Regeln des papageienbunten Auffallens.

Wea zu vui Göid hod, und is dumm, kaaft a oids Haus, und bauds dann um.
(Bayerisches Sprichwort)

Die Gerüste stören sie. Sie stehen unten und schauen hinauf, wo Gestänge und Bretter Schatten werfen, und nicht wirklich erkennen lassen, wie die Farben einst auf dem ganzen Haus wirken werden. Immerhin sind sie jetzt schon so weit, dass sie sich über die Farben Gedanken machen können. Es ging, wie eigentlich immer in alten Häusern, nur wenig nach Plan. Alte Häuser haben Jahrhunderte Zeit, Marotten zu entwickeln und Überraschungen zu bereiten, und all das tritt versammelt zu Tage, wenn jemand so ein Haus kauft und den Beschluss fasst, es mit allen Möglichkeiten der Steuerbegünstigung für Denkmäler zu sanieren. Für Spitzenverdiener ist das besser als eine Stiftung in Liechtenstein, wenn alles nach Plan geht. Aber so ein Unterfangen ist wie Krieg: Alle Pläne sind nach dem ersten Hammereinsatz hinfällig. Wenn man die Farben aussucht, tut man das zumeist im Zustand der Ausblutung und Erleichterung, und nicht, wie zu Beginn erhofft, im Siegesrausch. Man kann gegen ein Haus nicht gewinnen.

Bild zu: Das Knallbunt des Geldes

In diesem Fall hat es ein lockeres Jahr länger als geplant gedauert. Das ist gar noch nichts, könnte man die Besitzer trösten, in der Hauptstrasse hat ein Notar den Zeitplan mit seinem Altstadthaus um drei Jahre überschritten; mit allen unerwarteten Kosten und Problemen wurde aus dem Steuersparmodell ein mörderischer Gegner, der dem Notar alles abverlangte. Diese alten Häuser sehen so nett aus, mit ihren schnuckeligen Fassaden, den Sprossenfenstern und den alten Holztreppen. Man kann mit ihnen leben, wenn man in ihnen aufgewachsen ist, und ihre Marotten resigniert hin nimmt. Für den kleinen Provinzmillionär, der von all dem keine Ahnung hat, wird das Leben nie mehr langweilig sein, wie bei anderen hochriskanten Anlagen auch. Und wenn das Haus fertig ist, stellt sich heraus, dass das eingemauerte Fallrohr von 1890 durchgerostet ist und

Das sagt man nicht. Und was sagt der Herr Nachbar, fragt man mich, der ich mich dazu geselle. Der Herr Nachbar ist etwas neidisch, weil sich bei ihm nie die Frage stellte, wie das Haus anzustreichen ist: Weiss mit gelben Zierelementen, das sind die Farben der Kirche und der Gesellschaft Jesu, die einst das Haus errichtete. Es stimmt, aber es ist auch etwas fad; hier jedoch hat man einige alte Fassungen gefunden, die alle für bestimmte Epochen richtig sind, und man kann sich frei entscheiden: Das Moogrün des Biedermeier mit roten Fenstern? Das Rosa und Lichtgrau des späten Rokoko? Rosa und Grau gibt es schon recht oft in der Altstadt, aber das Moosgrün ist noch selten. Vor allem, gebe ich zu bedenken, man tendiert immer dazu, es erst mal dezent zu probieren. Und dann ärgert man sich Jahrzehnte über die fade Farbe. Wenn, dann gleich richtig. So wie sie es früher auch gemacht haben, wenn sie es sich leisten konnten. Die dafür nötigen Pigmente waren damals sehr viel kostbarer, als in unserer Zeit, da der grösste Posten die Arbeit der Handwerker ist. Also liess man es richtig krachen.

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Den früheren Hausbesitzern der Altstadt wäre es widersinnig erschienen, das zu tun, was ihre Nachfahren in den Vierteln vor der Stadt in diesem und im letzten Jahrhundert trieben: Siedlungen von uniform weiss gestrichenen Häusern zu errichten. Es muss etwas mit der veränderten Haltung des Bürgertums im 20. Jahrhundert zu Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit zu tun haben, mit dem Versuch, nur ja nicht aufzufallen oder anzuecken, sich zu exponieren und auf sich hinzuweisen,. Angesichts sonstiger architektonischer Missgriffe und Auffälligkeiten mag das ein schales Lippenbekenntnis sein – aber tatsächlich kenne ich in unserem Westviertel keinen Turmanbau, der nicht weiss wie alle anderen Häuser wäre. Egal ob Glasbausteinverbrechen der 60er Jahre, Butzenscheibenimitate der 70er oder Doppeltüreingänge in Vollholzfälschung der 80er,  alles wird in Weiss umrahmt. Weiss, rein, kalt und einheitlich, ist das Merkmal dieser Epoche. Es ist die Farbe der ordentlichen Hausfrau und des geordneten Lebens, es ist der nach aussen gekehrte Beweis der Sauberkeit, angepasst und nichtssagend, diskret und dezent.

Und auf Dauer auch die Farbe, die am schnellsten verschmutzt. Weiss sieht bei der kleinsten Verwaschung schlampig aus, und nachdem irgendein Haus gerade immer frisch gestrichen wird, wirken daneben alle anderen grau, schmutzig, leicht heruntergekommen. Echte Farben bekommen Patina und Leben, wenn sie altern, altes Weiss dagegen nimmt die Farbe von Dreck an, das typische Beige und Hellbraun ostdeutscher Tristesse. An ein paar unrestaurierten Häusern in der Altstadt erkennt man noch, wie das nach ein paar Jahrzehnten aussieht.

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Aber das sind wiederum genau jene Häuser, auf die schon begierige Blicke geworfen werden. Hier ist etwas zu tun und Geld zu investieren, das der Staat steuermindernd anrechnet, und weil so viel anderes schon durchsaniert ist, ist die Altstadt heute schöner, als sie seit Menschengedenken gewesen ist. Man hat wieder Immobilien in dieser Lage, es ist dank des Reichtums der Stadt eine Spitzenlage, und die Quadratmeterpreise erreichen Münchner Niveau. Das ist nicht mehr das eigene Privathaus in einem abgeschiedenen Viertel mit Anliegerstrassen, das sind Trophäen, Statussymbole, in denen andere wohnen, und da macht es nichts aus, wenn es nach all den Arbeiten und Niederlagen gleich richtig bunt wird. Man muss sich anstrengen, hier noch aufzufallen, denn fast alles ist bunt. Weiss sind eigentlich nur noch manche Studentenwohnheime und die letzten Ecken der Stadt mit weniger begüterten Mietern. Es ist wieder wie früher: Weiss ist die Farbe einer nicht gehobenen Wohnlage. Oft städtischer Besitz. Na ja. Dann doch das kräftige Moosgrün.

Manches Beispiel mag schon jenseits dessen erscheinen, was man für schicklich halten würde. Manche Besitzer, darunter auch welche, die andere erst auf die Idee bringen und an ihren Vorhaben beteiligen, lassen aus Werbegründen etwas zu tief in die Farbtöpfe greifen, das Grün wird zu intensiv und das Violett zu indezent. Den Schlangen der Mietsuchenden davor tut das keinen Abbruch, aber da schlägt es fast schon um, von der Lust an der Farbigkeit hin zum Wunsch, die anderen zu überflügeln und unscheinbar zu machen. Es ist letztlich wieder wie früher. Aber wenn es wirklich zu bunt wird, wartet man eben 20 Jahre, bis das Wetter und die Abgase ihr zerstörerisches Werk getan und die Fassade patiniert haben.

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Vielleicht möchte man zu jenem Zeitpunkt auch eine andre Farbe haben, und so rücken die Maler erneut an, bepinseln eine Ecke, man beredet es mit dem Denkmalschutz und rechnet durch, wie es sich steuerlich bewährt, es kommen neue Gerüste und vielleicht wieder eine böse Überraschung, ein Riss in der Fassade oder morsche Balken in den Böden, und das Farbenspiel beginnt von Neuem. Touristen werden kommen und sich fragen, wem das wohl gehören mag, und wie viel Liebe in den Fassaden steckt, und wie viel Geld. Nicht wenig. Aber es rechnet sich. Es ist wie eine grosse Modelleisenbahn. Ein Spielzeug für Männer, die für viele andere Spiele zu alt sind, aber nicht zu alt, um nicht noch einmal der Welt, der klitzekleinen Welt ihrer kleinen, dummen Stadt einen bunten Stempel aufzudrücken, bevor sie wieder in die weissen Villen des Westviertels fahren, und sich über Golfkatalogen und Überweisungsträger für die Söhne in fernen Städten langweilen.