Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Der angenehme und unerfüllte Kinderwunsch

An der Äusserung von Kinderwünschen kann bei vielen besseren Töchtern nicht der geringste Zweifel bestehen. Vorbildlich machen sie sich Gedanken, wie denn dereinst mit dem Nachwuchs umzugehen sei, und wie er am besten in das eigene Leben passt. Antworten finden sich jedoch nicht so schnell, und auch die Kinder selber können etwas länger dauern. Oder auch vor lauter Überlgen gar nicht mehr kommen.

Dieser Text ist voller Unterstellungen, unbewiesener Behauptungen und haltloser Spekulationen wie der, dass der Autor hofft, ohne Steinigung davon zu kommen.

Ich kenne zwei Arten von Kinderwünschen. Da sind einerseits jene, die unbedingt alte Kinderbetten aufbauen wollen, die in Speichern neben Modelleisenbahnen und dem kleinen Uhu auf neue Besitzer warten. Es sind die, die sehr harte Kriterien an Partner stellen, denn wenn es der Vater der Kinder sein soll, muss die Ehe auch für immer halten. Es sind die, die der Probleme spotten und die weniger erbaulichen Erfahrungen anderer – ich beispielsweise kann wochenlang selbst erlebte und genossene Horrorgeschichten über das Betragen schlechterer Söhne aus besserem Hause erzählen – geflissentlich ignorieren. Die machen das einfach, die glauben – und wenn ich mir einige Bekannte aus der ehemaligen DDR anschaue, gar nicht ganz zu Unrecht – dass sich alles schon finden wird, wenn die Kinder erst mal da sind. Im Kern ist das die typische Haltung von Frauen der Epoche vor der Pille, wo man sich dem Unvermeidlichen eben stellte.

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Trotzdem würde ein Herr Sarrazin bei der Gesamtschau meiner weiblichen Bekannten aus gut situierten Elternhäusern mit einem gewissen Entsetzen über den Zustand konservativer Kreise vermutlich gleich nochmal ein Buch schreiben: “Apothekerstöchter und Rechtsanwältinnen ziehen den Stöpsel unseres deutschen Genpools”. Und so ganz unrecht hätte er damit nicht, denn tatsächlich ist in meinem Umfeld die Fortpflanzungsrate extrem gering. Und bitte: Das ist katholisches Bayern, dem es an nichts mangelt. Und hier nun  finden sich die schwarzen Schafe, denen ich als Bock anzugehören das Vergnügen, die klipp und klar sagen: Meine Gene gehören mir, ich kann Kinder nicht leiden, Sex bedeutet Vergnügen und Annehmlichkeit und nicht Erhaltung der menschlichen Rasse, denn von denen gibt es sowieso nicht zu wenig. Damit testet man auch gleich in voller Härte jene Grenzen der kleinstädtischen Meinungsfreiheit aus, die manche bei der windelweichen Geldeinfatschelung von Herr Sarrazin verletzt sehen wollen – gern gehört wird dergleichen im Bürgertum nicht.

Die klassische Reaktion nämlich lautet: “Ja was – wo sollen wir denn sonst mit unserem ganzen Vermögen hin – Du willst doch nicht, dass dieser und jener Neffe alles erben?” Und das ist noch die mildeste Variante, denn der Ruf als gewissenloser Lüstling, der entsteht erst hintenrum. Ich bin noch ein Mann, da hat man ein klein wenig Verständnis. Aber bei Frauen macht das keinen wirklich guten Eindruck: Sie sollten keine schwarzen Schafe sein. Denn klein ist die Welt, ein jeder kennt jeden, und generell gilt es als schicklich, wenig Angriffsflächen zu zeigen. Und so höre ich durchaus von Kinderwünschen. Aber sicher! Wenn.

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Wenn einmal der richtige Partner dafür gefunden ist. Das ist gar nicht so leicht, denn wie es systemkonform nun mal üblich ist, und wie Tanten sicher auch nickend zustimmen, geht nicht irgendwer. Gutes Elternhaus, gute Manieren, gute Ausbildung, guter Beruf, durchsetzungsfähig nach Draussen und liebevoll nach Innen, treu, beständig, zuverlässig, klassische gute Tugenden, und nach Möglichkeit dennoch kein Spiesser und Langweiler, sondern charmant, geistreich und witzig. Kurz, ein Typ Mann, der mindestens so reizend wie das Einhorn im Minnesang ist, und in etwa auch so häufig anzutreffen ist. Solange behilft man sich eben mit einer Lösung, die nicht für Kinder, sehr wohl aber für das eigene Dasein taugt. Generell jedoch ist man trotz dieser eher als locker zu bezeichnenden Haltung später für eine echte Ehe und noch später Kinder zu haben. Absolut!

Wenn es in die Karriere passt. In die Karriere passt so etwas wie ein Kind genauso gut wie ein Laternenpfahl in die Kühlerhaube, die Frage ist nur, wann der Schaden am geringsten ist. In Zeiten der Globalisierung keine einfache Sache, schliesslich drohen immer Entlassungen und Rationalisierungen, ein neues Modell kommt auf den Markt, oder der Chef stellt ein neues Projekt in Aussicht. Kinder? Sofort! Wenn es nur nicht gleich ist. Und so einfach das Kind bei den Schwiegereltern abladen will man auch nicht. Auch eine Wurfprämie á la Sarrazin würde daran nichts ändern.

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Wenn man ausserdem einen sicheren Hafen gefunden hat. Denn die eigene Wohnung ist nicht gross genug, da fehlt ein Kinderzimmer und ein getrenntes Schlafzimmer, und man kann nicht einfach umziehen: Diese Region hat 13% Mietsteigerung letztes Jahr erlebt, Wohnungen sind rar, das hier ist nicht Berlin Mitte, wo laufend Mittvierziger kapieren, dass sie doch etwas zu alt sind und zurück nach Stuttgart gehen. Da muss eine richtige Lösung her, eine sichere, zuverlässige Lösung, dann kann man sofort ans Zeugen gehen. Und zwar gleich zwei Kinder, denn eines allein wird nur so ein asoziales Einzelkind. Also: Zwei Kinderzimmer. Und mindestens 500 Quadratmeter Garten. Aber nicht die alte Bruchbude von Tante Viola.

Denn wenn, dann muss es auch sicher sein, dass das Kind optimal aufwächst: Richtiges Viertel, richtige Schule, richtiger Kindergarten. Bloss keine schlechten Einflüsse von aussen, gleich das richtige Umfeld. So tönt es mich allerorten an, lauter Supermütter in spe, die nur das Beste wollen. Natürlich tickt die biologische Uhr, natürlich wollen sie Erfüllung, gleich hinter der nächsten Kurve im Leben, darauf spekulieren die dummen Tanten und der vermutlich erheblich genbedingt klügere Herr Sarrazin in Berlin: Man muss das nur fördern, ein kleiner Schritt noch und dann neun Monate, und alles ist gut. Denn die Frauen wollen ja, wie sie selbst erklären. Unbedingt. Dann ist auch Schluss mit der Geldverschwenung für Beautyurlaube und dem Typen, den man immer irgendwie befremdlich fand, und der statt ein paar Wochen nun schon Jahre an ihrer Seite ist, dann kommt Ruhe in das Leben, und wenn die nicht mehr ganz junge Dame dann zum Schluss kommt, dass es jetzt doch nicht mehr geht – dann glauben sie auch noch morgen an die Umfragen, nach denen Akademikerinnen unbedingt Kinder haben wollen würden, wenn sie nur bessere Möglichkeiten und staatliche Unterstützung bekommen.

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Mir dagegen erscheint das, ich bitte um Verzeihung, alles ein wenig vorgeschoben, oder wenigstens leicht märchenhaft, und irgendwo wird Eselsköpfen von falscher Liebe gesungen. Ich würde nicht behaupten, dass dieser Mainstream existiert, um einer repressiven Umwelt die verlangten Lippenbekenntnisse zu liefern, ich glaube auch nicht an Legionen von Teufelsweibern unter der Verkleidung reprodiuzierbereiter Anwältinnen und Ärztinnen, aber die Diskrepanz zwischen dem, was behauptet wird, und dem, was getan wird, ist offensichtlich. Es gibt ganz hervorragende Gründe für dieses gleichzeitig kinderliebe und kinderverhindernde Verhalten, alles logisch, in sich stimmig und 100% tantenkompatibel – aber genau hier setzen meine Zweifel an, denn vorgebracht werden diese Thesen eben nicht von Tanten, sondern von vergleichsweise liberal aufgewachsenen und selbstständigen Frauen. Das wirklich Erstaunliche an dieser Haltung ist der Hintergrund der Umverteilung in diesem Land: Die fragliche Gruppe und ihr familiäres Umfeld haben eigentlich keine materiellen Gründe, auf Kinder zu verzichten, wenn es nicht gerade vier Kinder sein sollen, die alle mit 3 Jahren englisch und mit 4 chinesisch lernen, mit 6 ihr eigenes Pferd bekommen und nach dem Abitur private Elitehochschulen besuchen müssen. Geld ist in diesen Kreisen das kleinste aller Probleme. Mir deucht, da kommen einfach die modernen und mitunter reichlich irrwitzigen Anspruchshaltungen an die Kinderaufzucht jenen entgegen, die sich auf all die Hürden und Probleme berufen, bis sie dann endlich 45 und die Tanten unter der Erde sind. Gesellschaftlich akzeptierte Supermütter wären sie ja trotzdem geworden, wenn es nur gegangen wäre, sagen sie mit einem gewissen Seufzen.

Aber sechs Wochen auf die Seychellen ist auch nicht schlecht.