Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Mitleid an den Goldküsten

In der Schweiz können Kantone und Gemeinden bei den Steuern mit üppigen Spielräumen für die Abgebenzahlern agieren. In die gleiche Richtung geht auch ein aktueller Vorschlag des Bundesfinanzministers, was den schon existierenden Goldküsten des Landes durchaus gefallen könnte. Auch wenn man dort sicher viel Mitleid mit den weniger Glüücklichen hätte.

So, so you think you can tell heaven from hell.
Pink Floyd, Wish you were here

Ach ja, die Armen. Das ist so eine Sache.

Prinzipiell wird man in meinen Kreisen ja so erzogen, dass man Mitleid mit den Armen hat. Früher äusserte sich das in Mildtätigkeiten, aber in Zeiten der Globalisierung geht das fördernde Geld eher in CO2-Ablasshandlungen, die Dritte Welt, zur Exfrau vom Sohn mit Kind in Berlin, oder gleich in irgendwelche nachhaltige Baumfonds, die das Gewissen beruhigen und Rendite bringen. Also steht zumindest im Prospekt. Für die Armen bleibt dagegen schon das Mitleid übrig. Gern gehört wird momentan der Spruch: “Also, eigentlich müssten wir von unserer Position her FDP wählen – aber das kann man doch nicht tun. Nein, wirklich nicht.” Das ist eine treffliche Aussage, distanziert sie einen doch von der Umverteilung und wenig populären Politikern, und überlässt es anderen, sich dafür zu entscheiden, und in der Folge für Umverteilungen zu sorgen, die man nicht ablehnt – weil: Man wurde ja überstimmt. Mitleid kann man immer noch haben.

Bild zu:  Mitleid an den Goldküsten

In gewissen Grenzen. Es gibt aber auch Fälle, in denen das Mitleid blanker Verständnislosigkeit weicht. So geschehen in den letzten Tagen, als die Idee des Bundesfinanzministers publik wurde, den Gemeinden Spielräume bei der Einforderung ihres Anteils an der Einkommenssteuer zu überlassen. Da eröffnete sich für die Gemeinden ein weites Feld, sich zu kleinen Steuerparadiesen in Deutschland zu entwickeln, und für die Gesamtgesellschaft, noch ein wenig ungleicher zu werden. Und da versteht man die Benachteiligten wirklich nicht: Warum solche Pläne der Benachteiligung ohne öffentliche Aufschreie hingenommen werden.

Bei der normalen, bessergestellten Familie wäre das natürlich etwas ganz anderes. Grob geschätzt kann so ein Clan den formalen Standort relativ frei zwischen mindestens drei verschiedenen Städten wählen, denn da sind die eigenen Häuser am Wohnort, die Wohnungen der Kinder in Universitätsstädten, meist noch irgendwas, das bei einer Erbschaft übrig blieb, und nicht zu selten auch noch eine Ferienwohnung. Es wäre absolut kein Problem, sich einen neuen Hauptwohnsitz in der steuerlich günstigsten Region eintragen zu lassen.  Es gäbe einen Wettbewerb um niedrige Steuern für mobile Reiche, und es würden sich nach Schweizer Vorbild schnell Goldküsten bilden, wo ohnehin schon die Reichen sind. Zehn niedrig besteuerte Multimillionäre bringen dem Kämmerer trotz Steueroptimierung immer noch mehr, als tausend hochbesteuerte, in die Schwarzarbeit abgedrängte Habenichtse, und Erstere haben nun mal die Gewohnheit, sich an bestimmten Punkten zusammen zu rotten, oder rottachen, wie das bei uns am Tegernsee heisst. Die Regionen mit den Reichen könnten billig bleiben, die Regionen mit den Armen müssten an der Steuerschraube drehen – im Kern ist der Vorschlag eine Aushebelung der Steuerprogression durch die Hintertür.

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Und es gäbe jede Menge Anlass für neues Mitleid, würden Focus und Bild die Top 100 der steuerlich teuersten und  billigsten Kommunen veröffentlichen, und das auch noch zum Lebensstandard in Bezug setzen: Denn die einen können sich den Umzug leisten, und die anderen hätten keine Alternative. Solche sozialen Wanderungen haben immer auch steigende Immobilienpreise an steuerlich günstigen Orten zur Folge – was den dort lebenden Armen zum Verderben gereicht, kann den Immobilienbesitzern eigentlich nur gefallen. Den Armen bleibt es dann natürlich überlassen, sich zu den anderen Armen in schlechteren Regionen zu gesellen. “Ach Gott, der hat seinen Wohnsitz in Soundso”, könnte man mitleidsvoll sagen, und sich wundern, warum er so viel abgeben muss, obwohl dort nicht jeden Tag der Reinigungsdienst von Ausserhalb den Park oder was sie dafür halten säubert. Schlimm, schlimm, könnte man seufzen, aber da könne man doch nicht wohnen… und sich wieder an den Kachelofen wohlig kuscheln, weil es hier ganz anders ist. Dank Schäuble. Der nicht zu den satten Weicheiern gehört. Dem man die Sachen mit dem Pressesprecher und der Spende eines Waffenlobbyisten und der Bundeswehr im Inneren und was da sonst noch war nicht verübeln kann, wenn er seine Knochen für diese Wohltaten hinhält.

Natürlich, könnten jetzt manche einwerfen, die das Grundgesetz gelesen haben, gibt es darin so eine Aufforderung an den Bund zur “Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet” im Artikel 72, früher gar “Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse”, aus der heraus sein Recht erwächst, Bundesländern etwas vorzuschreiben. Aber andere können darauf verweisen, dass es der Bund ja selbst ist, der das vorschlägt, und der wird schon wissen, was er tut. Und das hat bisher auch nicht die Vermögenderen dieses Landes davon abgehalten, die Mehrheit des Vermögens dieses Landes zu besitzen. Die Goldküsten gibt es schon. Die Frage ist nur, ob man sie auch in Sachen Steuern so privilegieren soll, wie sie schon bei Tempo-30-Zonen, Parks, sauberen Strassen und niedriger Kriminalität privilegiert sind.

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Und bei allem Mitleid für jene, die nicht einfach umziehen können, sind die Neigungen der Behörden, den Menschen alles – aber wirklich alles zu nehmen, wie man in Rottach sagt – sind diese Neigungen also natürlich auch durch den Bedarf definiert. Nicht fehlen wird es deshalb an Einwürfen, dass so eine flexible Steuer natürlich auch ein Zeichen der Effektivität einer Kommune sei, wie gut und günstig sie ihre Arbeiten verrichten liesse, und es geht rein rechnerisch auf: Wenn in so einem Ort nur noch Reiche wohnen, die ihren Kulturbedarf in der nächsten Grossstadt decken und alle, die der Gemeinde zur Last fallen könnten, sich das Leben dort nicht mehr leisten können, kann man die Steuern vielleicht noch ein wenig senken, und immer noch gut damit leben. Konsequent zu Ende gedacht wäre die beste Lösung, die Reichen kauften sich einfach eine Kommune mit minimaler Verwaltung und niedrigen Steuern, und beschäftigten einen Bürgermeister, der das als Beitrag zur Steuerehrlichkeit preist – dann müsse nämlich keiner mehr in die Schweiz zu den dortigen Goldküsten. Schliesslich stehe man in einem globalen Wettbewerb. Mitleid könne man sich da nun mal nicht leisten, und der Rest könnte doch froh sein, dass das Geld hier und nicht in Zürich ausgegeben wird.

Dass Schäuble mit seinem Vorschlag wenig Erfolg vergönnt war, ist dagegen der Mehrheit der Kommunen zuzuschreiben, die bei dieser Veränderung vermutlich die Verlierer wären – aber nicht den Armen, denen es reichlich egal zu sein scheint, ob andere solidarisch sein müssen, oder dem Zwang entfliehen können. Vielleicht, könnte man sich an der Goldküste überlegen, sind sie ja auch ganz froh, wenn die Reichen verschwinden, in der Fabriksiedlung, im sozialen Wohnungsbau haben sie nichts von der Existenz eines Westviertels, vielleicht ist es ihnen egal, oder es interessiert sie nicht. Vielleicht hassen sie die Vorstellung, Reiche halten zu müssen, die ihnen die Ungleichheit jeden Tag vor Augen führen, vielleicht sehen sie neue Chancen, wenn die Elite geht, niedrigere Mieten vielleicht oder mehr billige Geschäfte – man weiss es nicht. Man kennt die ja nicht. Die wohnen ja schon woanders.

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Wenn die Putzfrau kommt, die man fragen könnte, ist man ohnehin beim Einkaufen. Ausserdem wollte man ja noch wissen, was mit der Frau vom G. jetzt ist und ob es stimmt, was man da gehört hat, und ausserdem sollte man Arme ohnehin nie merken lassen, dass sie arm sind. Man kann wirklich schlecht fragen. Ausserdem kommt es ohnehin nicht, denn die FDP würde lieber die Gewerbesteuer abschaffen, und den Schäuble, hört man allenthalben, vielleicht gleich mit, wenn sich die Gelegenheit den böte, das in Westviertelmanier halbwegs dezent zu tun. Dann aber auch gern mit einer gehörigen Portion Mitleid, die nirgends grösser als an den Goldküsten sein wird, die ihn für seinen Plan noch lange, mindestens bis zur Schweizer Grenze oder gar bis zur ersten UBS-Filiale, in ehrendem Andenken halten werden.