Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Oligarchie macht man nicht

Allein ihre Existenz ist schon eine Herausforderung, bei der einem ordentlichen Westviertelbewohner der Atem stockt: Russen und Chinesen kommen nicht, wie im kalten Krieg befürchtet, in Uniform, sondern als Oligarchen mit Geld und jeder Menge Einfluss. So war das aber nicht gedacht, als wir denen den Kapitalismus bringen wollten.

“Lady, Sie können den Ruf meiner Freundin ebensowenig ruinieren wie die Schweizer Flotte versenken”
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Teil 3 der kleinen Weltbetrachtung, die im wünschenswerten Kerneuropa begann, Amerika einen Besuch abstattete und nun die neuen Mächte China und Russland betrachtet.

Hoch flog die rote Schirmmütze durch die italienische Frühlingsluft. Der Oligarch hatte einen Moment nicht aufgepasst und den Kopf zu sehr gehoben, der Fahrtwind lupfte tückisch, und schon war der Oligarch barhäuptig. Der Oligarch sass in einem kleinen, offenen Sportwagen, und für sein mehr als nur schütteres Haar – der Oligarch war schon etwas älter, und mitoben auch etwas kahl – wäre es nicht gut gewesen, hätte der Wind von dieser Landstrasse unterhalb von Assisi bis nach Rom an ihm gezerrt. Also bremste er. Zu seinem Glück stand justament an diesem Ort eine Reportin, genauer, meine Copilotin. Sie hob die Mütze auf und brachte sie dem Oligarchen, der sich sehr höflich bedankte, und weiter nach Rom raste, sorgenfrei, gut bemützt und die Oligarchin neben sich.

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Bei der Mille Miglia, während der sich dies ereignete, gibt es mannigfaltige und auch sehr faltige Teilnehmer, keiner ist dort arm, aber die russischen Oligarchen fallen besonders auf: Sie haben oft russische Fahnen an den Fahrzeugen, was, nun ja, wie soll ich sagen: Also, ich würde das nicht tun. Aber als russischer Oligarch muss man sich vermutlich wenig Gedanken darüber machen, was andere davon denken. Die Massstäbe und Verhaltenscodices westdeutscher Westviertel reichen auf dem Kontinent zwischen Petersburg und dem chinesischen Meer nicht mal aus, um ein Hotel zu behalten: So geschehen meinen Eltern, die meinten, sich Russland ansehen zu wollen, und sich eines Tages nach einem Spaziergang unvermutet erst im Bus und dann in einem Hotel an der finnischen Grenze wiederfanden, weil so ein Oligarch beschlossen hatte, jetzt, sofort, auf der Stelle das ganze Luxushotel in St. Petersburg für sich und seine – nennen wir es mal Begleiter – in Beschlag zu nehmen.

Das tut man nicht, aber wie man sieht: Es wird getan. Weil sich der Oligarch dergleichen Benehmen nicht nur leistet, sondern auch leisten kann. Mehr noch, im Gegensatz zu den normalen Reichen des Westens basiert dieses Oligarchentum auf einer gewissen, offen zur Schau gestellten Fähigkeit, etwas tun zu können, ohne auf andere Rücksicht nehmen zu müssen: Ein Hotel in Österreich zu kaufen, um es entgegen den gesetzlichen Regelungen de facto zu einer Privatwohnung zu machen. Eine Yacht in Auftrag geben, und dann nicht zahlen und über den Preis feilschen. Verträge nicht einhalten, Projekte platzen lassen, Partner in Joint Ventures ziehen und sie dabei auszunehmen wie eine Weihnachtsgans. Das fängt beim von russischen Investoren verlassenen Gelände des ehemaligen Krankenhauses in Tegernsee an, geht über irrwitzige Prozesse in den Nachfolgestaaten der UdSSR, und erreicht mit enormen Abschreibungen für ausgeweidete Tochterunternehmen das Reich der Mitte. Der Oligarch muss Judikative und Exekutive nicht schmieren, sie gehören schon ihm, solange er mit den Mächtigen gut steht.

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Kurz, der Oligarch ist ein alter Bekannter: Der Neureiche, diesmal aber in Übergross und Übermächtig, und damit auch genau das, was man normalerweise so nicht werden lassen möchte. Im Osten jedoch, bei den möglicherweise aufstrebenden neuen Supermächten nach dem Niedergang der USA, hat man darauf nicht nur verzichtet – man hat auch gar keine Strukturen, die dergleichen wie in Deutschland bewerkstelligen können. Beim Übergang vom Kommunismus zum oligarchischen Kapitalismus hat man sich nicht die ein, zwei Jahrhunderte Zeit gelassen, die man für den Aufbau besserer Kreise braucht. Die aber könnten im Notfall regulierend eingreifen und so einen nassforschen Porscheleaser mit Aufgaben betrauen, an denen er zwangsläufig scheitern und als mittleres Management zugrunde gehen muss. Bei uns muss der Neureiche dankbar sein, wenn er eingeladen wird. In Russland und China ist das Ziel nicht die Akzeptanz, sondern der Durchmarsch an die Spitze, wo die anderen Oligarchen sind.

Nun haben die Regimes der Volksrepublik China und der UdSSR nicht gerade einen Nährboden für grossbürgerliche Zufriedenheit hinterlassen; beide Länder haben ein sehr hässliches 20. Jahrhundert hinter sich, und man wird dort sicher sagen, dass man zum Aufbau neuer Strukturen Macher und Anpacker braucht, die sich nicht mit dem Gesellschaftsfinger und höchstens ein Stück Zucker im Tee aufhalten. Der Oligarch ist demzufolge ein notwendiges Übel, um die Hinterlassenschaften von Misswirtschaft und Kulturrevolution, von maroden Staatsbetrieben und Schlendrian zu bekämpfen. Alternativlos sei die Ordung, die sich unter ihnen etabliere, immerhin würden sie einen gewissen Wohlstand fördern, und ohne sie wäre alles noch viel schlimmer; gerne macht man auch Geschäfte mit ihnen, mag ihre Investitionen und vertraut auf ihre Möglichkeiten, bei lupenreinen Demokraten und aufgeschlossenen Parteikadern Türen zu öffnen.  Man hat sich damit abgefunden, wie man sich mit Jelzin abgefunden hat, mit der chinesischen Internetzensur, mit den korrupten Strukturen auf dem Balkan. Immerhin haben die Oligarchen ein Interesse an guten Beziehungen zum Westen, kaufen unsere Audis und liefern pünktlich Gas, billige Schuhe und Aluminium, was man von anderen – Nationalisten, Stalinisten oder Schlimmeres – nicht behaupten kann.

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Das mag alles stimmen; vielleicht geht es dort nicht anders, und der Oligarch ist ein unvermeidliches Übel: Gleichzeitig aber ist er ein Hohn westlicher Überzeugungen wie Demokratie, Wettbewerb, Markt und Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Die Theorie besagt, dass Stabilität und Wohlstand am besten erreicht wird, wenn alle frei wählen können, es einen Wettbewerb um die besten Ideen und Produkte gibt, alle im Denken und Handeln frei sind, und der Staat dies alles auch garantiert. Der Oligarch ist, mitsamt seinen Fussballclubs, Fabriken, Yachten und Arbeitern ohne Alternativen der beste Beweis, dass es auch anders geht. Und absolut nicht instabil sein muss: China hatte Bankenkrisen und Spekulationsblasen, Russland einen Währungscrash und ein Dauerproblem auf dem Heimatmarkt – die Oligarchen waren vorher und nachher da, und wenn sie zu viele Schulden hatten, machten die Staaten eben die Geldschleusen auf. Die Rettung des Oligarchen ist im Osten so alternativlos, wie im Westen die Rettung der Banken.

Insofern ist auch die stille Hoffnung, es möge den Oligarchen gerechterweise bei seinen Spekulationen derbröseln, ein wenig kindisch: In Oligarchien ist er der letzte, der betroffen ist. Da muss es schon den ganzen Staat betreffen, da müssen erst alle anderen gelitten haben, damit es die Oligarchen aus dem Sattel wirft. Anzeichen sind natürlich vorhanden, und es gibt keinen Grund, warum Immobilienblasen den Chinesen und Rohstoffblasen den Russen nicht auch weh tun sollten. Aber höchst unwahrscheinlich ist es, dass eine Krise diese Herrschaften hinwegfegt, und daraus dann ein System nach den Idealen des Westviertels entstünde. Der Oligarch überlebt Ungerechtigkeiten, Verteilungskämpfe, Intrigen und Systemwechsel – es steht zu befürchten, dass er auch Krisen besser übersteht, als unser System, und es ihn nicht rührt, was unter ihm geschieht. Er ist nicht eiungebunden in ein Viertel, und wenn die eine Stadt, der eine Staat pleite ist, wird er weiterziehen.

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Mancher ist übrigens auch schon im von mir präferierten Kerneuropa angekommen, sei es, dass er am Tegernsee Villen kauft, sei es, dass er an der Mille Miglia teilnimmt. So gesehen ist der Oligarch eine stete Mahnung und eine Herausforderung – nur der Oligarch, dem bei Assisi die Mütze vom Kopf flog, dieser spezielle Oligarch, der hat, wie ich der Presse gerade entnehmen darf, gerade andere Sorgen, denn offensichtlich hat er den Rückhalt bei den wahrlich mächtigen, lupenreinen Demokraten verloren. Hoffen wir also, dass seinen Platz nicht ein Sohn eines chinesischen Parteifunktionärs einnehmen wird, der Tausende in Südchina für den globalen Markt schufften lässt, sondern

also, wenn ich unbescheiden sein darf, wie wäre es mit einem gewissen schlechteren Sohn aus besserem Hause, wohnhaft am Tegernsee und tätig bei dieser Zeitung? Gestern um Null Uhr endete die Registrierung, und jeder Oligarch weniger ist eine Chance mehr für mich und das westdeutsche Westviertel.