Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Elitenverbrennung in effigie

Natürlich kann man nicht einfach hingehen, und die Eliten einfach so abfackeln - das galt in Ägypten und gilt auch bei uns. Was man aber sehr wohl tun kann ist, einzelne Bilder dieser Schicht stellvertretend für alle gar zu kochen. Genau das habe ich gestern am Gardasee gemacht.

Burn Baby burn
Ash

Man sagt, es sei der schönste Ort der Welt. Das stimmt nicht immer, ich war dort auch schon im Winter, bei Nebel, Regen und Hagel, und an einem besonders tristen Tag sogar im deutschgrauen Schneegestöber. Fairerweise jedoch muss man zugeben: An vielen Tagen ist es dort wirklich so schön, dass es nicht leicht fällt, sich einen schöneren Ort vorzustellen. Wie die Berge im Hintergrund in feinen Schattierungen zur Ebene hin auslaufen. Wie das Wasser funkelt. Und die Luft, die an manchen Tag so blau ist,wie sie das nur in Italien sein kann, und so rein und klar, wie sie es nur noch in den Bergen ist. Und dann geht hier die Sonne unter und

Bild zu: Elitenverbrennung in effigie

Man darf sich natürlich keine Illusionen machen: Die Schönheit des Ortes ist allgemein bekannt, die Grundstücke hier sind schon ein paar Jahrhunderte weg, und ich habe keinen Grund, mich zu beklagen, denn mein eigenes Haus verkaufe ich auch nicht. Glückliche Bestlagenbesitzer tendieren dazu, auch stets solche zu bleiben, und das hier ist nun mal die Bestlage. Allerdings kann man das hier mieten, je nach Geldbeutel durchaus in so üppigen Parzellen, dass sich auch englische Prinzen wohlig ihren Ehekrächen hingeben können. Winston Churchill schwang hier den Pinsel; wenn man bedenkt, dass zu dieser Zeit Adenauer zwei Seen weiter nur Bocciakugeln schwang, ahnt man, dass dieser Ort nicht nur schön ist, sondern – ohne einer Adenauerstiftung zum Opfer zu fallen – auch Kultur hat.

Gestern war ich an dieser Stelle, und ich hatte viel Zeit. Zeit, um auf der Mauer zu sitzen, und Zeit, mir Gedanken zu machen. In letzter Zeit gab es einige seriöse wissenschaftliche Anfragen, ob ich nicht mal etwas für einen Sammelband… oder auf ein Podium in einem Ort namens Husum (kennt das wer?)… oder für ein Interview… Man kennt das, die Moderatoren setzen die Brille zurecht, beugen sich nach vorne, sehen einen durchdringend an, was bei meiner Fettleibigkeit nach 7 Wochen Pastamast gar nicht so leicht ist, und fragen. Mein lieber Don – ich darf Sie doch Don nennen – was ist das eigentlich, Elite? Und mir fällt dann immer nichts ein. Woher soll ich das wissen? Ich weiss nur, was oft nicht Elite ist: Leute, die woanders wohnen. Elite dagegen sollte hier unten – nanu?

Bild zu: Elitenverbrennung in effigie

Da unten ist niemand. Da unten sind zwar über 100 Sonnenstühle, damit die Elite sich von einem erheblich teureren Platz als meinem, oben auf der Mauer, sich dieses Schauspiel ansehen kann. Aber da ist wirklich niemand. Von meinem Platz aus überblicke ich die ganze Bucht: Kein Mensch. Nichts. Unten ist niemand, ich bin hier oben allein. Der Sonnenuntergang bleibt mir vorbehalten, weil die anderen, die an der ganz kleinen Spitze der Reichsten unter 6 Milliarden Menschen stehen, die 100, die hier gerne willkommen wären, nicht da sind. Der Himmel brennt von Rosa ins Goldene durch, das Blau stahlt Azurblasen in den Himmel, es ist nicht zu heiß und nicht zu kalt, nur das Licht der Sonne flammt auf der Haut, ein angenehmes Rösten auf kleiner Flamme, auf dem besten Platz im ganzen Sonnentopf – aber ich könnte jeden anderen auch haben.

Wo wohl die anderen sein mögen? Verwalten sie gerade ein Atomkraftwerk oder darüber lieb schreibende Journalisten? Schicken sie einen Staatssekretär in Pension, der einem Freund nicht gefällt? Haben sie einen Termin beim Scheidungsanwalt oder ihren Steueroptimierern? Gründen sie eine neue Firma, testen sie einen neuen Viertwagen? Vetreten sie auf einem Podium eine wichtige Meinung, sagt man zu Ihnen “mein lieber”, geht man nachher vielleicht nich an die Hotebar, auch wenn man den Professor zunehmend für einen aufgeblasenen Trottel hält und lieber irgendwo anders wäre? Irgendetwas so Banales wird es wohl sein; die Sensation jedoch ist der Umstand, dass sie diese Banalitäten dem hier vorziehen. Selbst, wenn sie jetzt im Haupthaus sein sollten und die Kochkünste loben: Unter mir wächst ein Feigenbaum die Mauer hoch. Nichts kann so delikat riechen wie die süsse Schwere reifender Feigen in diesem Licht. Warum liegen sie nicht drunter? Man könnte doch ein Tellerchen Vorspeisen mitnehmen und sie hier zu sich nehmen.

Bild zu: Elitenverbrennung in effigie

Auf der Insel Capri gibt es einen ähnlich berühmt schönen Ort, die Villa Jovis, die sich Kaiser Tiberius im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung erbauen liess. 10 Jahre lang führte er von dort aus das römische Reich, es rankten sich unschöne Legenden weniger gut verdienender Historiker um sein Treiben, aber Tiberius war dort offensichtlich sehr zufrieden. Gute Luft, gute Aussicht, eine schöne Landschaft und ein bestechender Sonnenaufgang hinter dem italienischen Festland, eine Anlage, die es an nichts fehlen liess, ausser an gedungenen Mördern natürlich. Vor allem: Fern von Rom und all den Kriechern, Hofschranzen und auf die Pensionierung wartenden Pfründenverwaltern. Ich denke, Tiberius wird da oben manchmal schallend gelacht haben bei der Vorstellung, ihnen entgangen zu sein, und weil sich das bis Rom herumgesprochen hat, kamen die bösen Gerüchte auf. Wie kann er es nur wagen – da würde man ihm in Rom so schöne, von ihm gar nicht gewollte Gottkaiserstatuen hinstellen, für den ein oder anderen netten Posten, und dann verschwindet der einfach, füttert Katzen und liegt in der Sonne, lässt sich nicht einfach so wie Cäsar erstechen – man kann es bei Tiberius nicht genau sagen, er ist eine rätselhafte Figur und wollte es vielleicht auch sein.

Aber er war dort und empfand es als angenehmes Dasein. Er hat sich nicht zum Sklaven irgendwelcher Verpflichtungen machen lassen, er wusste, was ihm gut getan hat. Wäre Tiberius heute ein Vorstandvorsitzender, ein Bankdirektor, ein Nutzniesser seiner materiellen Güter, dann würde er wohl dort unten liegen. Einer muss es machen, man kann die Sonne an so einem Tag doch nicht alleine zur Ruhe gehen lassen.Tiberius aber ist tot, ich bin da, ein Faulenzer auf der Mauer, der nicht weiter als bis zur nächsten Kurve denkt, die genau hier hinter mir entlang läuft. Ich koche im Feigendunst als Sinnbild für die Elite, die es jederzeit auch tun könnte. Und es nicht macht. Ewig fern sind diese Orte.

Bild zu: Elitenverbrennung in effigie

Was also ist Elite? Angesichts der heutigen Realität würde ich, von der Sonne medium gebräunt und im Kopf von Fahrtwind und Feigen angenehm geistig betrunken, vor mich hinlallen: Elite, das sind nicht mehr Leute, die können, sondern Leute, die wegen der Typen in all diesen Roms unserer Tage damit zufrieden sind, dass sie ja jederzeit sofort könnten, wie auch jeder bessere Heroinabhängige sagt, dass er zumindest mit dem Haschisch sofort aufhören kann. Und weil sie es glauben, weil sie sich so sicher sind, verzichten sie darauf, es zu tun. Und so vergeben sie das alles. Und ich, ich opfere mich für sie. Sitze hier, werde kein Vorstandschef und keiner, vor dem alle auf die Knie gehen und erst tuscheln, wenn er draussen ist, ich bin ein schlechterer Sohn auf besserem Hause und verbrenne für sie am schönsten Ort der Welt. Einer muss es tun. Ich trage Wildlederbrogues von Fusodoro, ein Polohemd einer Marke, die man gegenüber der Villa d’Este in Cernobbio bei einem Herrenausstatter genauso kaufen kann, wie auf dem Wochenmarkt in Mantua, alle drei Rolex habe ich daheim in Deutschland vergessen, alles ist warm, satt und golden. Ich verbrenne. Ich bringe mich auf diesem gemauerten Altar an diesem mystischen Ort dar, damit die anderen einer Powerpoint, einem Karriereziel oder einem Videomädchen mit Filmkamera ins Netz folgen, oder was immer sonst diese meine Leute so tun.

Oh, bitte, keine Ursache. Gern geschehen. Denn es steht ja schon in der Bibel, dass der eine des anderen Freude trage. Oder so.