Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Oligarchie für alle Demokraten

Es geht doch nichts über gute, demokrartische Traditionen. Da hat Europa Gutes und weniger Gutes zu bieten; die Wahlsiege von Jörg Haider in Kärnten und Berlusconi in Italien gelten eher als etwas unfein, die Athener Demokratie dagegen steht als leuchtendes Vorbild in der Geschichte da. Ausser zu jenen eher unbekannten Zeiten, da sie gewisse Probleme hatten, die heute gar nicht so unvertraut klingen.

Er trat nicht aus freien Stücken vor dem Volk oder sonst vor Gericht auf, sondern blieb der Menge wegen seines Rufes der Gerissenheit unheimlich.
Thukydides über den Politiker und Oligarchen Antiphon von Rhamnus

Bildungsferne Schichten – und unter ihnen besonders jene, die schreiberisch tätig sind – pflegen in der aktuellen Griechenlandkrise gerne darauf zu verweisen, dass Griechenland die Mutter der Demokratie ist – und man das Land deshalb, gewissermassen als Symbol unseres europäischen Staatensystems, retten sollte. Was sie dabei entweder nicht wissen oder unter den Tisch fallen lassen, ist der Umstand, dass eben jene Demokraten mitunter auch die Erfinder der Knabenliebe – heute würde man sagen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger – sind. Oder der Hopliten, jener gut gepanzerten, reichen Bürger, die bei militärischen Auseinandersetzungen, Sozialrevolten oder zahlungsunwilligen Abhängigen ihren Gegnern im Verbund schwere Lanzen durch den Körper stiessen. Und letztlich gibt es in der griechischen Staatenlehre und in der antiken Herrschaftspraxis neben der Demokratie auch noch die Oligarchie. Aber wo immer man hinschaut, niemand mag darüber schreiben, dass man die Erfinder der klassischen Knabenliebe, des Hoplitenspeeres oder der Oligarchie retten soll.

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Vermutlich, weil Bildung nicht bei allen ist, oder dieses andere Griechenland nicht so schön in die gute, alte Vorstellung der Antike passt, die stets durch die Bilder von Akropolis. Pallas Athene und der weisen Eule auf dem griechischen Euro wabert. Man könnte jetzt noch ein paar Schattenseiten der klassischen Antike Griechenlands aufzeigen – Frauenrechte ähnlich denen der Taliban, Klassendünkel wie bei neureichen Swingerclubbesitzern, Wirtschaftskriege wie der Kampf ums Öl, Seeräuberei wie vor Somalia – und dann übereinkommen, dass man sie retten sollte oder auch nicht, aber es vielleicht nicht über die Geschichtsillusionen der 3. Klasse Grundschule und Gustav Schwabs Sagen des klassischen Altertums propagieren soll.

Zumal die Griechen auch nicht faul sind, ihre eigene Geschichte oder was sie dafür halten nach vorne zu bringen. “This is Sparta” liest man auf Protestplakaten, ein Spruch, den man Hollywood verdankt und in dessen Gefolge Perser in einen gerade praktisch herumliegenden Brunnen geworfen werden. Was dem Serben sein Amselfeld, sind dem Griechen seine Perserkriege, und so neigt man dazu, in den Deutschen, den Banken und den Finanzinstitutionen den neuen Dareios zu sehen, der sich anschickt, die Griechen erneut zu unterjochen. Überhaupt, der Griechen jüngere und ältere Geschichte ist voll von Aufständen gegen Besatzungen und militärischer Selbstbehauptung, und auch Vergleiche mit dem 3. Reich und den Türken, die man auch wieder abschüttelte, sind nur begrenzt das, was man sonst Geschäftspartnern im Bereich der Staatsfinanzierung angedeihen lässt.

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Kurz, es sei den Griechen angeraten, sich nach anderen Teilen ihrer Geschichte zu orientieren – und dazu wäre es fein, sich über die Oligarchie zu unterhalten, deren Freuden darzustellen stets die feinste Aufgabe dieses Blogs war. Denn Griechenland, da muss man nicht gross drum rum reden, ist keine Demokratie mehr, die Bürger können nur noch die Politiker wählen, die sich dann von ihren europäischen Freunden und Organisationen das sagen lassen, was im Interesse der Gemeinschaftswährung, der Banken, der Wirtschaft etc. ist. Es geht also zu wie immer, nur noch etwas immriger, weniger verdeckt, und keine PR ist in der Lage, die Gegensätze zwischen Bürgerwünschen und Systemforderungen zu überdecken. In der klassischen griechischen Staatstheorie ist die Oligarchie die Herrschaft der Wenigen, und inhaltlich die negative Entartung der Adelsherrschaft – heute gibt es keinen Adel mehr, da ist Oligarchie eine splitterfasernackte Demokratie mit offensichtlichen Sozialproblemen.

Und auch das ist für Griechen nichts Neues, wenn sie von ihrer Geschichte mehr als Sandalenfilme kennen. 411 vor Christus war das klassische, pseudodemokratische Sklaven- und Kolonialreich, das wir heute als athenische Demokratie kennen, in einer ähnlich fatalen Lage wie Greichenland heute: Ein sinnloser und vor allem sich finanziell nicht lohnender Krieg auf Sizilien hatte die Staatskasse gelehrt, die Verbündeten zahlten Abgaben ähnlich fleissig und gerne wie die modernen Griechen ihre Steuer, man führte verlustreich Krieg gegen Sparta, und irgendwer musste das alles bezahlen, sollte Athen nicht pleite gehen. Folglich war die Unzufriedenheit daheim sehr gross, die Regierung war äusserst schwach, die Bevölkerung entbehrte der üblichen Zuwendungen, und die Reichsten, die Landbesitzer, die Handelshäuser, die Schiffsbauer und andere Profiteure, die ans den alten, reichen Eliten hervorgegangen waren, beschlossen, dass sie ungern für die Folgen aufkommen wollten.

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Also putschten sie sich an die Macht. Sie hatten eine Abmachung mit den Persern, die sie grosszügig finanzieren würden, so sie die Demokratie abschafften, sie hatten die Waffen und ausserdem geschickte Propagandisten, die in dieser Lage Reformen für alternativlos – so würde man es heute sagen – erklärten. In der allgemeinen Unzufriedenheit gelang es ihnen, einen Rat der 30 durchzusetzen, die eine neue Verfassung erarbeiten sollten. Dazu wurden Regeln der demokratischen Verfassung aufgehoben, und die 30 kamen zur wenig überraschenden Entschliessung, in Zukunft einen Rat der 400 herrschen zu lassen. Der Rat der 400 begann sogleich mit der Abschaffung von sozialem Leistungen und Unterstützungen, sägte alte Beamte ab und ersetzte sie durch neue Parteigänger, überliess anderen grosszügig die Finanzierung der Probleme und versuchte, durch einen Frieden mit Sparta die Interessen der Mehrheit zugunsten der eigenen Vorteile zu verkaufen. Sehr schnell hatte sich die Demokratie in ein despotisches Regime verwandelt

Allerdings blieb dieser Putsch nur eine kurze Episode: Die 400 waren extrem unpopulär, es regte sich Widerstand, und innerhalb der Oligarchen kam es zu erbitterten Auseinandersetzungen um den richtigen Kurs: Die einen wollten ihre Macht absolutistisch durchsetzen, die anderen suchten eine grössere Basis in der Bevölkerung durch Einbeziehung weiterer Kreise, um ihr Überleben in turbulenten Zeiten zu sichern. Eine besondere Rolle spielte dabei ein gewisser Theramenes, der zwar einer der führenden Putschisten war, dann aber, als er mit seinen Vorstellungen innerhalb der 400 zu unterliegen drohte, zu den Demokraten überlief, sich an ihre Spitze stellte und dafür sorgte, dass seine ehemaligen Kollegen nach einem Schauprozess hingerichtet wurden. Begleitet wurden die populärjuristischen Festspiele von der Wiedereinführung der Alimentierung breiter Gesellschaftsschichten, was die Geschichtsforschung dann folglich wieder als “Demokratie” bezeichnet. Theramenes selbst versuchte es im Jahre 404 dann nochmal mit einem Rat der 30 und einer Oligarchie, auch genannt die 30 Tyrannen. Die waren aber klüger, hatten aus der Geschichte gelernt und richteten ihrerseits den wieder zu den Demokraten überlaufenden Theramenes hin, obendrein 1500 andere missliebige Figuren, bevor sie selbst wieder bald gestürzt, vertrieben und hingerichtet wurden. Athen ging in der Zwischenzeit durch Krieg und Insolvenz auch mal zugrunde, gilt aber, wie man sieht, immer noch als Vorbild der Demokratie, und wird später vielleicht in einem Atemzug mit der Bundesrepublik genannt werden.

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Zweierlei kann man daraus lernen: Krisen sind gute Zeiten, um Oligarchien einzurichten. Und sie sind schlechte Zeiten für Oligarchien, wenn sie gestürzt werden. Es findet sich dan immer einer, der wieder die Seiten wechselt und an der Spitze des Volkes die Köpfe seiner Kollegen fordert, auf dass ihm der seine nicht abgehackt wird. Oligarchen kennen keine Solidarität, wenn es um das Überleben geht. Die anderen machen es ja genauso.

Und genauso wird uns die Griechenlandkrise ein wenig begleiten. Früher konnten die Oligarchen, wenn es schief ging, schnell in der Nacht fliehen. Versuchen Sie das heute mal, wenn Ihre Milliarden am Fusse der Aktopolis verbuddelt sind, und darüber die Athener Demokratie mit Brandsätzen wartet. Wie gesagt: Krisen sind nicht zwingend gute Zeiten für Oligarchen wie wir, wenn wir erst mal in Athen festsitzen.