Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Der Kapitalismus bringt keine Spinatknödel

Auf der Alm gibt es keine Sünde der Finanzmärkte und keine Rendite jenseits der Spinatknödel, womit man zufrieden sein kann. Zufriedener jedenfalls als mit den nun schon über vier Jahren voller Beschwichtigungen, Lügen, Rettungsaktionen und Systemkrisen, die inzwischen auch dem entspanntesten Wohlhabenden an die Nerven gehen.

Möchte doch das ewige Kriegen einmal enden; welche herrliche Welt, wenn die Menschen sich Gutes täten.
Erzherzog Johann von Österreich, 1813

Wer die letzten Tage nicht in den Bergen verbracht hat und dortselbst die Dürreperiode für spätes Besteigungen nutzte, wird vielleicht Erstaunliches erlebt haben: Nach Wochen, da uns Journalisten, Wirtschaftsweise, Chefvolkswirte und andere Propagandisten von Partikularinteressen verkündeten, Sparen, Zurückhaltung, Austerity, Disziplin seien die einzigen Mittel, mit denen man die erbosten, aber angesichts der Schuldenkrise zurecht handelnden Märkte befriedigen könnte, nach all diesem dreisten Forderungen, die darin gipfelten, dass Staaten ihre Souveränität aufgeben sollten, zugunsten der Zahlmeister aus Deutschland, die sich leicht von den Märkten beeinflussen lassen, nach diesen offenen Putschversuchen der Marktextremisten gilt das alles nicht mehr. Die Amerikaner haben sich zum Fest in einen Umsatzrekord gekaufrauscht! Darauf gleich einmal 5% Zuwachs beim DAX! Halleluja! Ja die Märkte ja die Märkte haben immer Recht! Ich persönlich war natürlich auf dem Berg – der rechts unter der Sonne – und nach der Lichtbesoffenheit am Abend entsprechend ernüchtert, das zu sehen.

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Ich bin aus allen hier nur spärlich vorhandenen Wolken gefallen. Denn der Amerikaner als ein solcher steckt immer noch in einer tiefen Krise. Hauspreise, Konjunktur, Arbeitslosigkeit, Einkommensverluste, und besonders der Schuldenstand auf allen Ebenen: Es gibt keinen Grund und kein Vermögen für grosse Prassereien. Wenn in Europa Sparsamkeit verlangt wird, sollte das nach den Erfahrungen mit der Finanzkrise in Amerika nicht minder gelten. Dieser steigende Umsatz wird mit steigenden Schulden finanziert. Jeder der obigen Propagandisten wäre entsetzt, wenn Griechen, Italiener oder Iren jetzt anfangen würden, sich weiter in Richtung Insolvenz zu treiben, statt in Demut Lohnzurückhaltung und sinkende Staatsleistungen zu akzeptieren, um international leistungsfähiger zu werden. Aber in Amerika ist das ein Erfolg. Und bei den Marktteilnehmern auf der Suche nach Gründen für einen Jahresendpreisauftrieb nicht minder.

Die Älteren von uns werden sich da, so sie etwas Zeit zum Nachdenken beim Aufstieg haben, an die tollen Zeiten bis ca. 2007 erinnern, wo schon einmal steigende Schulden durch Konsum als Zeichen für das Funktionieren des amerikanisch geprägten Kapitalismus galten – und keineswegs als das Schneeballsystem, das in den späteren Tagen des Jahres 2007 erst knirschte und dann im Folgejahr zusammenbrach. Nun ist man als ideologiefreier Historiker im Gegensatz zu Ökonomen, Kommunisten und Sektenangehörigen natürlich eher davor gefeit, an so etwas wie „Lernfähigkeit des Menschen” im Allgemeinen und unter der Prämisse der Gier als Daseinszweck im Besonderen zu glauben. Das alles ist nicht weiter überraschend, es belegt nur die Kürze der Hirne im Angesicht schneller Profite; man nimmt heute mit und hat morgen Schäfchen im Trockenen, wenn andere verlieren, und was vor 5 Jahren oder in 5 Jahren ist, spielt keine Rolle. Dafür hat man ja die Historiker. Alle anderen kaufen dann schon längst neue Zertifikate und Aktien. Die Effektivität der Märkte funktioniert am besten mit Vergesslichkeit und ohne Zeitungsarchiv voller Irrtümer goldener Erwartungen, so hübsch wie der Sonnenuntergang über der Zugspitze, nur mit Photoshop und nicht echt.

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So zumindest ist die Hoffnung der Finanzwirtschaft und der angeschlossenen Funkhäuser, für die Nachrichten, Meldungen und Informationen Tagesgeschäft sind. Die kennen es nicht anders.

Und die sogenannten Anleger, hier: Die Kleinanleger – die kennen es auch nicht anders. Seit viereinhalb Jahren, und wie es scheint, wird das auch noch ein, zwei Jahre so bleiben. Für ein Rädchen in der Finanzwirtschaft ist dieser Zeitraum bedeutungslos, es dreht sich, weil es im Sinne des devoten Committments an Firma und Glauben nicht anders kann. Für jene, die ihr Vermögen irgendwo aufbewahren müssen, aber ansonsten so etwas wie ein Leben haben und es auch geniessen wollen, gestalteten sich diese Jahre dagegen stressig, unschön, nervenaufreibend und zunehmend bedrohlich.

Und es ist, gemessen am Irdendasein, eine sehr lange Zeit. Wer 2007 mit dem wohligen Gefühl eines sicheren Lebensspätnachmittags in Rente ging, ist seitdem dabei, sich nicht durchwegs erfolgreich den Verlusten entgegen zu stemmen. Das ist das blanke Gegenteil dessen, was all die feinen Berater der Banken in den Jahren davor versprochen haben, in Prospekten mit Bildern zufriedener Herrschaften auf Seeterrassen mit Blick in die Berge. Irgendwo, so die Theorie, werkle das Geld schon vor sich hin, in einem Zertifikat, einem offenen Immobilienfonds oder in einer Staatsanleihe. Die Rente sollte auch die lästigen Finanzdinge umschliessen. Die Bank kümmert sich schon darum. Das war die Propaganda. In der Realität hat sich die Krise durch alle Anlageformen bis zu den letzten Bastionen gefressen. Jetzt steht sie direkt vor der Währung, in der alles abgerechnet wird. Egal ob nun auf Befehl der Märkte Geld gedruckt oder ein sogenanntes Rettungspaket wie ein Hedge Fonds gehebelt wird: Man schaut in einen Abgrund, so wie oben auf dem Kratzer. Gleich dem Weg auf den Hirschberg wurde auch die Krise immer steiler.

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Runter kommt man immer, und wie schlimm es wirklich aussieht, kann man auch aus der verbliebenen Propaganda der Märkte erfahren, die in etwa so argumentiert: Der Euro habe den Deutschen viele wirtschaftliche Vorteile für den Export gebracht, jetzt müssten die Deutschen eben auch mal etwas dafür tun. Natürlich sind „die Deutschen” im ersten Teil des Satzes nicht deckungsgleich mit „den Deutschen” im zweiten Teil. Erstere sind diejenigen, die wirklich profitiert haben und in Zeiten der Reallohnverluste trotzdem reicher wurden, Zweitere sind alle. Das Versprechen geht weg von der Umverteilung hin zu einer Verallgemeinerung der Verluste, mehr ist nicht mehr zu holen mit dieser Währung. Was bleibt, ist die vage Hoffnung, dass mit den Härten in Zukunft Sicherheit für den verbleibenden Rest des Vermögens erkauft wird. Hoffnung, aber keine Sicherheit. Selbstverständlich ist das keine akzeptable Rendite und auch nichts, was man als Geldgeber der Märkte von ihnen als Dank nach über vier Jahren der Dauerkrise und Ängste erwartet. Der Kapitalismus der Finanzwirtschaft ist gerade, salopp gesagt, so glaubwürdig wie Guttenberg und wünschenswert wie ein plötzlicher Schneesturm, in dem man vielleicht, eventuell, mit etwas Glück doch nicht zugrunde geht.

Ausserdem ist Glück nach gängiger Vorstellung in diesen Kreisen etwas anderes als ein Zufall, der einen vielleicht rettet. Sorglosigkeit ist ein integraler Bestandteil dieses Glücks, das Gefühl, den Wirtschaftsteil einer Zeitung als belanglos abtun zu können und sich angenehmeren Teilen zu widmen, weil einen das alles gar nichts angeht. Es klingt paradox, aber das Schöne am Reichtum ist eigentlich, dass man sich um Reichtum nicht weiter kümmern muss, weil er einfach da ist. Das ist es, was man sich zu erkaufen gedenkt, wenn das Vermögen einem Verwalter bei Bank und Börse überlassen wird; und das ist es auch, was die Preise für Immobilien und Gold antreibt: Der Wunsch, sich den über vier Jahren anhaltenden Bedrängnissen zu entziehen. Man möchte endlich seine Ruhe haben. Man möchte nichts mehr hören von Chancen, die Risiken sind, und von Bereicherungen, die sich langfristig als Enteignung herausstellen. Man will so vom Berg herunterkommen, wie man hinaufgegangen ist, zusammen mit ein paar schönen Erinnerungen. Das ist alles.

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Am Hirschberg gibt es übrigens einen Sommerweg und einen Winterweg. Der Sommerweg heisst so, weil er nur im Sommer begangen werden kann; im Winter ist er wegen Lawinengefahr gesperrt. Dort finden sich folgerichtig auch die meisten Kreuze der hier zu Tode Gekommenen. Zum stillen Gedenken. Zur Erinnerung daran, dass nicht jeder Weg immer gleich gut sein muss. Dass eine Bergtour nicht mit dem Gipfel endet und nicht der Weg das Ziel ist, sondern das gesunde Ankommen. Das allein würde eigentlich den meisten schon reichen, wenn man schon vier Jahre auf unsicheren Pfaden wandelt, alle Stahlseile trügerisch sind, und noch jede Serpentine den Blick auf neue, unerwartete, triste und graue Geröllfelder des Kapitalismus freigegeben hat. Es gibt danach immer Berge, da sagt man sich: Einmal reicht, nie wieder.

Das Glück danach sind übrigens die Spinatknödel mit Butter und Parmesan im Kurhotel, und nicht der Streckverband und die Schnabeltasse mit magerer Brühe im Krankensaal, die gerade uns allen auf dem Speiseplan der Finanzmärkte ausgewiesen werden.