Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Der globalisierungsfeindliche Lodenmantel

Vom Bierdimpfljanker zum getragenen Ausweis des richtigen Bewusstseins: Der Lodenstoff entwickelt sich zum idealen Bedeutungsträger antiglobalisisierter Tendenzen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung von Umwelt, Luxus, Klasse und dezenter Diskriminierung der Anderen.

Mit dem Alter steigt man nicht im Werte.
Frank Wedekind

Also, das ist so: Ich stehe am Nordufer des Tegernsees. Es ist kalt. Vom Sturm gepeitschte Wolken verhüllen hin und wieder die Berge. Ich trage rahmengenähte Wildlederschuhe aus Mantua, eine braune Cordsamthose, ein überraschend in die Szenerie passendes, weissblaues two-ply-Hemd, einen Seidenschal aus Bellagio am Comer See, eine Yachtmaster und ein braunkariertes Kaschmirsakko mit Jägerschnitt und Rottacher Hundedeckenmuster. Wenn ich ein Jäger wäre, und wenn ich eine Flinte dabei hätte, und wenn ich 10 Jahre jünger wäre, würde ich mich jetzt umdrehen und meine Kamera über den Haufen schiessen, denn ausserdem trage ich noch etwas, das ich vor 10 Jahren nie erwartet hätte, und was ich – also, ich mein, ich erzähle ja öffentlich viel von mir, ich bin da nicht so, aber vor 10 Jahren hätte ich es für absolut undenkbar gehalten, dass ich einmal eine Lodenmantel von Baur und einen passenden Hut von Zapf tragen würde. Und das auch noch öffentlich zugebe. Mit Photo! Da wäre eine Ladung Schrot vor 10 Jahren das nächste gewesen, das sich die Linse nach dem Bild eingefangen hätte.

Bild zu: Der globalisierungsfeindliche Lodenmantel

Historisch betrachtet ist es so, dass es in besseren Kreisen die Entwicklung vom Loden weg führt: Gemeinhin war Loden der zottelige, wenig behandelte Stoff der einfachen Bevölkerung zumeist ländlicher Herkunft. Robust, nicht verfeinert, alltäglich, normal, und somit eigentlich genau das, was das aufstrebende Bürgertum, das dem Adel und seiner Herrschaft entronnen war, ablegen wollte. Wer in die Stadt zog und dort im 19. Jahrhundert zu Geld kam, änderte auch die Kleidung. Das letzte, mündlich überlieferte Landkleidungsstück meiner Familie in der Stadt ist der grosse Hut eines Bäckereibetreibers, der sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen schlechten Ruf unter den Bauern machte, weil er nach jedem Geschäftsabschluss über Getreide auch noch schamlos diesen seinen Hut hingehalten hat: Den sollten ihm die Bauern auch noch voll machen. So kommt man zu Geld, und die nächste Generation ist auf den Lichtbildern dann schon mit Zylinder zu sehen. Man war Stadtbewohner. Das sollte jeder sehen. Die Bauern trugen weiter Loden und brauchten noch einige Generationen, bis sie zur Jeans und Baseballkappe umstiegen.

Also, nicht dass es jetzt so ausschaut, als hätte ich Vorurteile gegenüber Unterprivilegierten, das habe ich natürlich nicht, es gibt nur Leute, die aus meinem Privilegienraster fallen. Man muss sich nicht mehr in zotteligen Mänteln durch das Leben schleppen, und wenn ältere Männer und Frauen das doch taten, dass war es eben so etwas wie Kostümierung oder Heimatverbundenheit. Und dann waren da auch noch die Vorfahren, die aus der Stadt wieder auf das Land gingen, um dort Viecher zu erschiessen, Alkohol zu trinken und Geweihe in den Hausgang zu hängen. Die trugen auch Loden. Ich jedoch bin Vegetarier, trinke Tee und bevorzuge Gemälde. Nichts, was für Loden tauglich wäre. Da war ich mir sicher.

Bild zu: Der globalisierungsfeindliche Lodenmantel

Bis ich eines Tages auf einem Antikmarkt an einem Stand vorbei kam, an dem eine sehr schöne, alte Ledertasche angeboten wurde. Die käme, so der Verkäufer, vom Grossvater seiner Frau, der gerade verstorben wäre, und nun müsse er den Gelände-Benz, die Schusswaffen und all das andere lästige Jägerzeug loswerden, so auch dieses Ansitzcape hier, das er ihm noch zu Weihnachten geschenkt habe, und das nie getragen wurde, weil der Tod nun den Menschen vor dem Hasen besuchte. Das ist kein Ansitzcape, erklärte ich als Jägerenkel, das ist eine Kotzen, ein Wanderumhang, der so weit ist, damit man darunter Rucksack und Gewehr tragen könnte. Beim Schiessen ist die Kotzen dagegen im Weg, und der Rückstoss würde sie nur beschädigen. Das merkt man, wenn man sie trägt, sagte ich, und zeigte es.

Das steht ihnen aber gut, sagte die türkische Nachbarstandbetreiberin und nötigte mich vor einen Spiegel. Und so kam das dann. Sehr schnell und unerwartet. So schnell, dass ich nicht mal überlegt hatte, ob das „Gut stehen” nicht auch eine Umschreibung für „verhüllt die lange, aber nicht schlanke Stelle zwischen den klassisch kurzen Beinen und Hälsen des handelsüblichen Edelbajuwaren” hätte sein können. Aber für solche Überlegungen hat man ja Familie. Und für die Beruhigung dann wieder Gäste. Die, selbst wenn sie aus dem Hohen Norden kommen, Loden oft gar nicht so hinterwäldlerisch finden, wie man das hier so macht, weil die Nähe zu gross und die Erinnerung zu frisch ist. Die schätzen das. Und als ich dann letztes Jahr ein sehr schönes Mädchen nach Meran brachte, wo sie sich einen Lodenmantel mit stilistischen Anklängen beim 18. Jahrhundert kaufte, da. Also. Wie soll ich sagen. Auf den Inhalt kommt es an. Und auf das Ensemble. Es war Meran. Da wird man milde. Und weil sie wie alle Frauen zehn mal fragte, ob er wirklich passe und gut aussehe, sagte ich natürlich Dinge, die ich mein Lebtag in Bayern gar nie nicht gesagt hätte über diesen Loden, weil ich ja Stodera bin, eigentlich.

Bild zu: Der globalisierungsfeindliche Lodenmantel

Und wie es nun mal so ist in meinem Kreisen: Für Ausrutscher braucht man eine Entschuldigung. Für Paradigmenwechsel dagegen eine schlüssig klingende Erklärung mit moralhaltigen Argumenten. Nach dem vierten Lodenmantel und dem Umstand, dass sie mich beim Hutmacher Schütz inzwischen kennen, kann ich nicht mehr sagen, dass der Loden hier im Wald lauert und mich anspringt. Ich habe mich dazu auf dem Kinderspielplatz in Gmund bei unseren Turbomüttern, beim Lederhosenknirps, der seiner Oma ein Trachtenbild von sich schenkt, und am Achensee etwas umgehört, und folgende Begründung hat mir am Besten gefallen: Tatsächlich wird viel Loden noch hier und von Tieren aus der Bergregion hergestellt. Und es ist auch nicht schwer, sich Dinge hier schneidern zu lassen. Sicher, früher neigte man dazu, sich von Produzenten in Bauernhäusern abzusetzen, aber heute beklagen wir das internationale Finanzkapital, Ausbeuter in China, Hedge Fonds mit Grundbesitz in Afrika und Marktmechanismen, die unser Leben mehr als Geschmack und Stil bestimmen. Unsere Feindbilder haben sich geändert. Mag unseren Vorfahren der Landbewohner fern gewesen sein, so ist er heute willkommen und nah, wenn wir an Massenprodukte aus Vietnam denken, bei denen das Label entscheidet, welchen Preis etwas hat. Der Stoff der Berge schützt nicht nur vor dem harten Klima, sondern auch vor dem scharfen Wind der Weltmarktzwänge. Bekannte fragen mich inzwischen auch, wo ich denn die Gweih von meinem Grossvater hingetan habe, sie hätten da eine Idee… so schaut’s aus an den Gestaden des Tegernsees.

Sicher, es schaut ein wenig rustikal aus. Aber die Hirschhornknöpfe kann man austauschen, und die Form dahingehend umdeuten, dass sie das Ergebnis der Erfahrung vieler Dekaden und Generationen ist. Dann klingt das gleich viel besser. Das Ursprüngliche hat in meinen Kreisen beim Essen brutal und nachhaltig das Fast Food und die Genmanipulation ausgerottet, im Tal und auf dem Wochenmarkt schlachtet es gerade alles nieder, was nicht aus echter Heumilch ist – das Ursprüngliche wird auch im nächsten Schritt mit der Invasion der Funktionsoberbekleidung aus China fertig. Nur die neuen Autos aus Carbon, die kauft man noch, wegen Sicherheit, Umwelt, Gewicht und 0,2 Sekunden weniger auf Tempo 200. Und zum Herabblicken und weiteren wohligen Gruseln über die nicht so guten Kreise hat uns der Herrgott die Polyesterdirndl für die Armen und Neureichenlodenlabels geschenkt, die in Düsseldorf und anderen Slumregionen Showrooms unterhalten. Alles so wie immer. Nur jetzt auch warm genug für einen sakrisch kalten Bergwinter.

Bild zu: Der globalisierungsfeindliche Lodenmantel

Do feid si nix, wie man in Bayern so schön sagt. Die Geschichte ist rund und anständig, sie führt das alte Schauspiel von Abgrenzung und Selbstvergewisserung auf einem neuen Schauplatz auf, und die Adressen, auf die es wirklich ankommt, werden einem auch hier nur zugeraunt. Wer noch g’schamig ist, kann sich ja auch leicht überzeugen lassen; zuerst mal eine feste Hose für das Rodeln, ein Blick auf die halbfertigen Modelle, das ist aber fesch, der Rest ergibt sich dann ganz von alleine, und dann geht es damit an die Geniesserfront an den See. Und wenn man damals in Bellagio gleich ein paar Schals mehr gekauft hätte, könnte man sich sogar vielleicht dazu durchringen, einmal auf die Reise über die Alpen zu verzichten, wobei, andererseits, die verbündeten Globalisierungsfeinde der Schweizer Uhrenindustrie und der Stoffwirker in Biella wollen auch leben, und in Tulfes gibt es einen tollen Dorfladen, unter anderem.