Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Die Psychoökonomie der Heiratspathologie

Wie jedes Übel kommt auch die Ökonomisierung der Liebe auf leichten Schuhen, in diesem Fall von Miu Miu und mit einem malvenfarbenen Abendkleid mit sehr feinem Rückenausschnitt. Hübsch, aber nichts für mich, denn die Berechnungen gehen in ganz andere Richtungen, die nachzuvollziehen mir leider nicht gegeben ist.

Ich kratz ihm erst die Augen aus, und dann lass ich mich scheiden.
Rosalinde in der Fledermaus von Johann Strauss

Was, fragt sie in der Pause vorsichtig, denn die Frage ist nicht ganz ohne Delicatesse, hältst Du eigentlich vom M.?

Nun, antworte ich vordergründig verlegen und hintenrum mit tiefer Befriedigung, denn ich schätze den M. nicht besonders, nun, ich bin da vielleicht nicht der Richtige, ich bin etwas voreingenommen, die alten Geschichten, seitdem habe ich nichts mehr mit ihm zu tun, und das ist jetzt auch schon… das war vor Berlin und der New Economy… 13 Jahre her.

Erzähl doch mal.

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Da gibt es nicht viel zu erzählen. Die Ehe sind sie unüberlegt angegangen, formal sah es gut aus, sie passten auf dem Papier gut zusammen, aber emotional muss es schwierig und letztlich ernüchternd gewesen sein. Ich denke, sie sind dann nur noch zusammen gewesen, weil die Trennung mehr Probleme verursacht hätte, als das Zusammenbleiben, Irgendwann haben sie doch den Stecker gezogen. Was sagt er denn?

Er stellt das alles ganz anders dar, erzählt sie. Der ganze Vorgang war, bis auf die Exzesse zum Schluss, als es um Geld und Immobilien ging, schon recht nüchtern und gefühllos, von der Kälte einer sternklaren Januarnacht in den Bergen, die Abwesenheit jeder Wärme, als würde sich das Weltall bis auf den Erdboden reichen. Aber heute klingt es nach ihrer Erzählung mehr wie die Abwicklung einer Firma denn einer Beziehung. Vertragskündigung, Liquidation, Einigung über die Kosten und Abschreibungen, so eine Art Griechenland auf persönlicher Ebene, aber sehr professionell. M. weiss vermutlich aus nunmehr 13-jähriger Erfahrung in einem nie vergessenden Umfeld, dass er eine rationale Erklärung für die alte Geschichte bringen muss, um heute diesen Makel bei weiteren, ernsthaften Annäherungen unbedeutend erscheinen zu lassen. Da wird es dann ökonomisch und rational. Es ist so von Gewinnen und Verlusten und nachfolgender Business Intelligence geprägt, dass die Adressatinnen anfangen, andernorts zusätzliche Informationen einzuholen, weil das nicht alles gewesen sein kann. Wobei es wenig zu sagen gibt: Echte Emotionen gab es nur, als ihre Eltern ihm seinen Anteil an der  Wohnung ausbezahlten, und nicht bereit waren, für die Wertsteigerung im vollen Umfang aufzukommen. Er war schon immer jemand, der gut mit Zahlen umgehen konnte. Wenn die Familie die kleinste ökonomische Einheit ist, dann ist die Scheidung in etwa die kleinste Bankrotterklärung. Wohl dem, der gekonnt abwickelt, seine Ansprüche umsetzt und einen Schuldigen hat.

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Wir setzen uns wieder. Ich schaue sie von der Seite an und hänge nicht eben freundlichen Gedanken nach, als die Gespräche ersterben und die Vorführung wieder ihren Lauf nimmt. Hat er sich also ihr genähert. Hat sie es verstanden, haben sie dann zuerst innegehalten, Informationen ausgetauscht und begonnen, eine – könnte man sagen – externe Due Diligence anzufordern, unter Hinblick auf Altlasten und Risiken. Und ich frage mich, wo eigentlich das leichtfertige Geschöpf geblieben sein mag, das damals lang ausgestreckt einen Sommer auf dem Surfbrett lag, sie vorne, ich hinten, als man über unerfüllbare Liebe sprach, und nicht über Risikoanalysen.

Fairerweise muss man allerdings sagen, dass damals für die Schadensregulierung vom Auto im Strassengraben bis zur Abtreibung fast immer die Eltern aufkamen, was die Sorglosigkeit etwas erklären mag. Diese schützenden Hände ziehen sich langsam zurück, dadurch entsteht Eigenverantwortung, und strategisches Denken, auch in Beziehungsdingen. Mit den Jahren kommt auch ein gewisses Misstrauen. Der hat dies und jenes und wirkt ganz apart – wieso ist der noch zu haben, da muss doch ein Haken sein. Finanzielle Verpflichtungen aus Altbeziehungen zum Beispiel. So etwas ist klar wertmindernd. Ideal wäre eine unabhängige Ratingagentur, die verbindliche Einschätzungen abgibt – dass für uns alle langfristigen Aussichten negativ sind, wissen wir selbst, denn ab 40 und bei Frauen nach Selbsteinschätzung ab 30 geht es körperlich schnell bergab. Auch das muss man mit einberechnen. Ob jemand 40 oder 45 ist, spielt auf den ersten Blick keine Rolle, aber ich kenne rechnende Damen, die diese 5 Jahre bereits als 50%-Abschreibung auf die Restlaufzeit der knackigen Epoche werten. Und sie haben damit vielleicht noch nicht mal ganz unrecht. Wenn da keine Karriere zum Gegenrechnen ist, sieht es nicht wirklich gut für die Bewertung aus.

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Ich mag Theater nicht besonders, ich bin hier nur, weil ich mitgeschleift wurde, und die moderne Inszenierung lädt ein, sich Gedanken zu machen, leider, denn wenn ich hier von mir ausgehe… das alles mal durchrechne… die Risiken in Betracht ziehe… dann ist es fast nachvollziehbar, dass sie bei mir nach dem M. fragt und nicht beim M. nach mir, der ihr einige wunderhübsche Geschichten aus jenen Tagen erzählen könnte, chacun à son goût. Die Sorte Anekdoten, die gut in ein Buch passen, aber schlecht in eine Berechnung: Glücklich ist, wer da vergisst, was doch nicht zu ändern ist. Leider ist Mathematik unerbittlich, es gibt nicht zwei unterschiedliche und dennoch richtige Lösungen, und am Ende wird alles abgewogen und eingerechnet – wohl dem, der erklären kann, warum sich aus der Vergangenheit die Zukunft nicht ableiten lässt. So er denn will.

Gerecht und ausgeglichen wird das erst, wenn beide Partner sich dieser Bewertungsversuche bedienen. Das hat dann einen etwas feudalen Anschein, denn die modernen Überlegungen gleichen durchaus den Heiratsprojekten des vormodernen Adels. Dort könnte abschrecken, dass diese damals sehr ausgefeilten und auf alle Standesfragen Rücksicht nehmenden Planungen zu Mitgift und Entsprechungen – hat das Paar ähnliche Pockennarben, zum Beispiel – in aller Regel eben nicht zu glücklichen Beziehungen führten. Sondern zu Mätressen, Liebhabern, Verbannungen, Trennungen, die natürlich noch bessere Anekdoten als mein Verhalten vor 13 Jahren liefern. Nur ist es heute nicht mehr selbstverständlich, für die Nebenfrau ein Schlösschen zu bauen und die Hauptfrau in einen Flügel des Palastes zu stecken. Und wenn es so kommt, fliesst auch das in weitere Bewertungen mit ein, für beide Seiten. Zwei gescheiterte Ehen? Unvermittelbar. Wenn der M. auch sucht und die richtigen Spezialisten fragt, die erklären können, was es mit der Einsamkeit der Dame neben mir auf sich hat… auf der Bühne wird geschrien, und ich sollte vielleicht mal die S. anrufen und ihr sagen, dass sie mal mit dem M. ausgehen soll. Die S. war damals auch auf meinem Geburtstagsfest, und die erzählt sicher, was ich niemals, wirklich niemals erzählen könnte, was damals. Ich denke, das würde die Gleichung um ein paar negative Vorzeichen und schwer zu ziehende Wurzeln anreichern.

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Der professionelle Heiratsschwindler mag weitgehend ausgestorben sein, aber seine kleine Variante, die persönliche Bilanzfälschung ist bei solchen Ansätzen mehr als nur verständlich: Jede Untersuchung ist nur so gut wie ihr verfügbares Datenmaterial. Am Ende stellt sich, wenn beide Seiten gut getrickst haben, heraus, wo sie zusammenpassen möchten, beispielsweise bei der Auffassung von Partnerschaft als Projekt mit Gewinnaussichten. Das gehört heute vermutlich mit dazu, der berufliche Leistungsdruck schwappt hinein ins Privatleben, und wer tagsüber Excel ausfüllt, wird vielleicht zwangsläufig vom Glauben beherrscht, das Leben und die Partnerschaft liesse sich ganz ähnlich einrichten. Es ist auch nicht schlimm, wenn die Richtigen mit der richtigen Einstellung zusammenkommen, und in ihren Kindern eine Art Investmentfonds für die Zukunft sehen. Früher drückte der soziale Druck die Familien zusammen, jetzt ist es eben der Businessplan und der ökonomische Zwang.

Zumindest so lange, bis sich nicht woanders bessere Investitionsgelegenheiten mit höherer Verzinsung und kleineren Risiken finden lassen.