Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Keine Angst vor alten Weinen

Mit dem Alter werden sie vielleicht nicht besser, aber sicher interessanter: Hinter bröckelnden Etiketten und Korken können sich schöne Überraschungen verbergen.

Nach den Kakerlaken im Brot und dem Ärger mit der Familie würde man in Bayern sagen: Schwoammasowe – Schwemmen wir es hinunter! Das sollte man mit dem edlen Tropfen, den Wein- und Gastblogger Christoph Raffelt nun den Stützen der Gesellschaft einschenkt, natürlich nicht machen. Ganz langsam geniessen, bitte.

Der Wein ist das Gefäß der verherrlichten, transzendierten, sublimierten Zeit. Was vom Zeitpunkt der Abfüllung, der den Jahrgang bezeichnet, bis zum verschwenderischen Moment des Entkorkens mit jener Flüssigkeit geschieht, ist eine ständige Assimilierung, Alchemie und Verwandlung.
Michel Ofrey, Theorie des Sauternes

Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich das Glück, dass mich ein Freund dazu eingeladen hat, in einer kleinen Runde einige gereifte Weine zu trinken. Für jemanden, der bewusst und gerne Wein trinkt, ist das immer eine besondere Gelegenheit, sich mal wieder darüber klar zu werden, wie viel mehr Wein sein kann als ein einfaches Konsumprodukt. Komplexität, Tiefe, Geschichte und Kultur schlummert in solchen Flaschen und es kann ein außerordentliches Erlebnis sein – vorausgesetzt, man hat Lust, sich darauf einzulassen.

Auch wenn ich mich seit nun zwei Jahrzehnten mit Wein beschäftige – ich stutze kurz, aber ja, es sind schon zwei Dekaden – würde ich mich nicht für einen Weinsnob halten. Zwar hat sich die Anzahl jener Weine, die ich für außergewöhnlich halte, deutlich erhöht, doch probiere ich das meiste davon in Verkostungssituationen die meist ausgesprochen unromantisch sind. Das, was ich zu Hause trinke, bleibt dagegen in einem preislich deutlich begrenzten Bereich. In den ersten zehn Jahren habe ich mir eine klare Preisobergrenze – damals 15 DM – gesetzt, die ich auch nur zwei Mal gebrochen habe. Damals hatte ich die Chance, ziemlich günstig an eine Sechserkiste guten Priorat-Weins zu kommen. Mitte der Neunziger war der Wein aus diesem alten, wiedererweckten und zu Ruhm gekommenen spanischen Weinbaugebiet noch selten zu bekommen und immer teuer. Also habe ich für meine Verhältnisse damals tief in die Tasche gegriffen – der Preis lag bei knapp 30 DM – und habe mir die Weine dann in den Keller gelegt. Einige Jahre später wurde die erste Flasche geöffnet und aus der Öffnung drang ein scharfer und zugleich muffiger Geruch. Trinkbar war weder die erste noch die zweite noch jede weitere Flasche. Eigentlich altern die relativ alkoholischen Weine aus dieser heißen Gegend ganz gut und ich bin überzeugt, dass es nicht das Alter war, das den Wein vernichtet hat sondern irgendein Weinfehler. Die zweite Inkonsequenz hieß Penfolds BIN 389. Diese australische Marke kam Anfang der Neunziger gerade erst auf den deutschen Markt, und unterhalb des weltberühmten Flagschiffes namens »Grange« gehört der BIN 389 mit zu den besten Abfüllungen dieser großen Kellerei. Heute kostet so ein Wein ca. 35 Euro pro Flasche, damals waren es 22 DM. Es dürfte ca. vier Jahre her sein, dass ich die letzte der drei erworbenen Flaschen getrunken habe – mit viel Genuss.

Bild zu: Keine Angst vor alten Weinen

Die Entscheidung, mir für die ersten Jahre eine Grenze zu setzen, war, im Nachhinein betrachtet, eine ausgezeichnete. Die Leidenschaft für Wein verführt sehr schnell und ich bin mir sicher, ich hätte mir ziemlich früh Flaschen gekauft, die nicht nur nicht in mein Budget gepasst hätten sondern die ich mir letztlich gekauft hätte, um mich vor mir selber wichtiger zu machen. Beurteilen können hätte ich sie nicht, denn das muss gelernt werden und dabei hilft ausschließlich Erfahrung. Einmal, ziemlich zu Anfang, hat mir jemand eine Flasche Léoville Las Cases geschenkt. Die Weine dieses Châteaus gehören mit zum Besten, was man im Bordeaux erwerben kann. Ich hatte die Flasche liegend ins Regal gelegt, irgendwann hervor geholt und geöffnet. Dass sich bei solchen Weinen, die häufig ungefiltert abgefüllt werden, ein Depot von Trubstoffen am Boden bildet, das aufgewirbelt wird, wenn man die Flasche schwenkt, war mir damals noch nicht bekannt. Also habe ich entsprechend nicht darauf geachtet und wahrscheinlich etwas überheblich einen trüben, ja trübsinnigen und enttäuschenden Tropfen ausgeschenkt und war zunächst einmal der Meinung, der Wein wäre hinüber gewesen.

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Mittlerweile weiß ich es besser und kann mit solchen Flaschen umgehen, aber das hat gedauert. Irgendwann habe ich dann auch die Preisgrenze aufgehoben – je tiefer ich mich in das Thema vertieft habe, desto notwendiger wurde irgendwann die Beschäftigung mit Gewächsen, deren Qualität über das normale Maß hinausgeht oder hinausgehen sollte.

Angenähert habe ich mich an solche Weine allerdings nicht über den Kauf, sondern über Proben, die verschiedene Weingeschäfte in meiner Umgebung teils mehrfach im Jahr angeboten haben. Es war notwendig, eine gewisse Scheu zu überwinden, um mich dort durch die verschiedenen Weine zu probieren, von einem Tisch zum nächsten – mich zu trauen, das ein oder andere Wort mit dem ein oder anderen anwesenden Winzer zu wechseln, denn das kann durchaus erhellend sein. Neben der deutlichen Erweiterung des Horizontes hatten diese Besuche allerdings einen besonderen, vorher gar nicht bedachten Nebeneffekt. Ich lernte Menschen kennen, die genauso besessen sind wie ich selbst, die sich stundenlang damit beschäftigen können, den Riechkolben ins Glas zu halten, Weine tropfenweise über die Zunge rinnen zu lassen und auch noch darüber zu reden. Solche Menschen zu finden, ist im Alltag nicht so einfach und entsprechend war meine Leidenschaft lange Zeit eine einsame. Nach einiger Zeit jedoch hat sich aus den regelmäßigen Besuchen und der Begegnung mit anderen Gästen eine kleine Gruppe gefunden, die sich nun regelmäßig trifft, um Flaschen zu öffnen und gemeinsam zu probieren. So ernsthaft wir bei der Sache sind, so viel Distanz haben wir dabei zu uns selbst. Denn ein solcher Abend, bei dem es natürlich nicht ausschließlich um Wein geht aber doch zum überwiegenden Teil, wäre ohne eine ironische Selbstbetrachtung kaum zu rechtfertigen. Wie unangenehm fehlende Distanz zum Thema sein kann, wird schnell klar, wenn man in die Kommentarspalten verschiedener Weinblogs oder -foren schaut. Die Anzahl an Cholerikern und komplett spaßfreien Kommentatoren ist dort mindestens so hoch wie in den Foren von High-End-Boxen und -Plattenspielern, also sehr hoch, und die Anzahl beleidigender oder beleidigter Kommentare ist erschreckend. Auch wenn es sicher genügend Fragwürdiges und Diskussionswürdiges in der Weinbranche gibt, wundere ich mich immer wieder, wie verbissen dort gekämpft wird als befände man sich im Stellungskrieg. Ich selber habe es mittlerweile fast vollständig aufgegeben, mir all das anzutun und verlagere mich zunehmend auf das Lesen englischsprachiger Weinblogs, die mir offener und respektvoller erscheinen, auch wenn dort genau so ernsthaft diskutiert wird.

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Als ich das erste Mal einen Wein getrunken habe, der fast doppelt so alt war wie ich, war ich durchaus ergriffen. Es war ein Rivesaltes, ein südfranzösischer Wein, dessen Gärung ähnlich dem Port per Alkoholzufuhr gestoppt wird. Diese Weine werden teils Jahrzehnte lang in Fässern oder Glasballons gelagert, um dann irgendwann auf die Flasche gezogen zu werden. Der Wein war also frisch verkorkt und hatte ein blütenweißes Etikett – im Gegensatz zum 1934er Léoville-Barton, den wir als Höhepunkt des eingangs erwähnten Abends probiert haben. An diesem Abend wurden sämtliche Weine blind verkostet, wir wussten also zunächst nicht, was wir im Glas hatten. Ich habe den Wein damals auf Mitte der 70er Jahre geschätzt, und ihm eine gewisse Müdigkeit attestiert. Ich fand den Wein gut, aber nicht herausragend. Als dann klar wurde, was wir ihm Glas hatten, war ich beeindruckt und ich habe den Wein ganz anders wahrgenommen. Ich mag es sehr, Weine zu probieren, ohne irgendein Wissen und Voreingenommenheit mitschwingen zu lassen, doch solchen Weinen wird man damit im Zweifel nicht wirklich gerecht.

Selbst wenn sie ihre beste Zeit möglicherweise hinter sich haben – wohlgemerkt, es ging nicht darum, Essig zu trinken und ihn schön zu reden, nur weil er alt war, vielmehr war der Wein noch erstaunlich gut -, beschwören sie doch ein Geschichte herauf. Es gibt kaum Genussmittel, die sich so lange weiterentwickeln, höchstens Honig, wenn er dunkel und kühl gelagert wird. Dieser Wein hat also den Krieg überdauert, ist nicht von deutschen Soldaten beschlagnahmt und zum Obersalzberg transportiert worden, wie so viel andere Bordeaux-Gewächse, er hat den eisernen Vorhang und die Neuordnung Europas verschlafen, wurde nie neu verkorkt, wie man deutlich sehen kann und irgendwann hat ihn jemand aus den Tiefen eines Kellers hervor geholt und an einen Spezialitätenhändler veräußert, wo ihn der Gastgeber der Runde erworben hat. Solch ein Wein kostet übrigens keine Unmengen. Vielleicht etwa das Doppelte von dem, was ein frischer Jahrgang kostet, jedoch nur ein Bruchteil von den neueren Jahrgängen der obersten Riege der Bordeauxweine.

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Neben den altehrwürdigen Flaschen fanden sich an jenem Abend Weine, die im Alter von zwanzig, dreißig oder mehr Jahren wirkliche Strahlkraft besitzen, wie zum Beispiel die 1976er Beerenauslese aus dem Kanzemer Altenberg, einer Saar-Lage, ausgebaut von van Othegraven, jenem Weingut, dass mittlerweile im Besitz von Günther Jauch ist. Dieser präzise salzig-süße, ungemein frische Wein bildete den Abschluss eines Abends, dessen größte Überraschung für mich ein 1977er Malbec aus Argentinien war. Dass im Bordeaux, an der Saar, im Burgund oder im Piemont Weine gemacht werden, die Jahrzehnte überdauern können, war mir nicht neu. Dass dies jedoch auch schon in Argentinien zu einem Zeitpunkt der Fall war, zu dem hier in Deutschland so gut wie keiner gewusst haben dürfte, dass dort überhaupt ernsthaft Weinbau betrieben wird, hatte ich so noch nicht erfahren.

Natürlich ist es ein großes Privileg, Menschen im Freundeskreis zu haben, die Weinkeller besitzen, in denen sich solche Weine befinden, zumal, wenn man selbst einen solchen Keller aus welchen Gründen auch immer nicht sein Eigen nennt – was bei den meisten der Fall sein dürfte. Trotzdem ist es gar nicht so schwer, an gute, gereifte Weine zu kommen, die häufig nicht teurer sind als jene Jahrgänge, die gerade erst auf den Markt kommen und noch gar nicht trinkbar sind. Um einen besonderen Abend zu gestalten, kann ich es nur empfehlen, sich mal auf einen solchen Wein einzulassen.