Stützen der Gesellschaft

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Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Weinkellerromantik

Was nicht verboten ist, ist erlaubt: Im Wein liegt heute oft weniger die Wahrheit, als vielmehr das gewitzte Aufhübschen für den Weltmarkt.

Und wer könnte das besser beschreiben als der Weinexperte Christoph Raffelt, der auch hinter die Kulissen der Weinproduktion schaut?

Wir stellen fest, dass der beste Wein jener ist, der ohne Zugabe von Konservierungsstoffen altert. Nichts wird hineingegeben, was den natürlichen Geschmack trüben könnte. Der exzellente Wein verschafft pure Freude durch seine eigenen, von Natur aus gegebenen Qualitäten.
Collumella, de re rustica, Buch 12

Im Gegensatz zu Bier, Whisky oder Gin geht kaum ein Verbraucher davon aus, dass Wein einer Manufaktur oder einem industriellen Produktionsprozess entstammen könnte. Beim Wein zählen viel stärker Begriffe wie Jahrgang, Rebsorte oder Anbaugebiet. Auch der im letzten Artikel mehrfach genutzte Begriff Terroir taucht bei der Bestimmung, was einen Wein denn ausmacht, bisweilen auf. Um es jedoch deutlich zu sagen: Das meiste davon ist romantischer Unsinn, und die Begriffe spielen nur noch bei einem Bruchteil der weltweit produzierten Weine eine ernstzunehmende Rolle. Man kann dem Marketing Respekt dafür zollen, dass es den Mythos des Natürlichen im Wein bis heute so einsetzt, dass dieses Getränk selbst in seiner simpelsten Form als weit natürlicher angesehen wird als jedes andere – Mineralwasser und Bier mit deutschem Reinheitsgebot vielleicht einmal ausgenommen. Kaum jemand würde auf die Idee kommen, dass eine Flasche Wein aus dem Supermarktregal im Zweifel einen deutlich aufwändigeren Produktionsprozess durchlaufen hat als beispielsweise Cola. Jedoch ist es deutlich aufwändiger, Wein so stabil und qualitativ gleichmäßig zu produzieren wie Limonade. Denn es gibt einen Rest, der im Wein vorhanden ist, der im Zweifelsfall massiv stört: Es ist die Natur. Sie stört dabei nicht nur die, die im Jahr mehrere hundert Millionen Flaschen billigen Konsumweins produzieren sondern im Zweifel auch jene, die keine Kosten und Mühen scheuen, um ihre hochprämierten Bordeaux-Crus zu bestmöglichen Preisen an den Kunden zu bringen. Auch wenn Weinindustrie und Bordeaux-Château, was den Preis angeht, kaum weiter voneinander entfernt sein könnten, so sind sie sich doch, was den Einsatz modernster Kellertechnik angeht, nicht unähnlich. Was wiederum kaum verwundert, denn hier wie dort ist so viel Geld vorhanden, wie sonst in der gesamten Weinbranche nicht. Was hier an legalen Mitteln zur Weinmanipulation zur Verfügung steht ist so reichhaltig, das man die illegalen kaum braucht.

Bild zu: Weinkellerromantik

Die Behauptung, dass guter Wein im Weinberg entsteht und nicht im Keller, mag zwar in gewissem Maße richtig sein, und ist für Puristen, zu denen ich mich selber auch gerne zähle, die Grundlage ihrer Weinliebhaberei, doch würde ich einen guten Bordeaux, wenn er mir denn geschenkt würde, nicht ausschlagen. Und natürlich wird auch dort sehr viel Zeit und Geld im Weinberg investiert und entsprechend gearbeitet. Nach der Ernte kommt jede Traube auf den Selektionstisch und wird begutachtet, bevor sie für Wert befunden wird, zum späteren Cru verarbeitet zu werden. Allerdings werden diese Weine mittlerweile vor allem im Keller für den relevanten Absatzmarkt so richtig fit gemacht. Doch auch wenn hier eigentlich nichts mehr dem Zufall überlassen wird, kann es doch sein, dass das Wetter der High-Tech-Produktion ein Schnippchen schlägt, wie beispielsweise 2011 im Bordeaux.

Was aber passiert eigentlich in einem modernen Weinkeller, in dem Geld kaum eine Rolle spielt weil mit dem fertigen Produkt einfach noch mehr Geld verdient wird? Wenn ich das der Reihe nach aufzähle, muss ich zunächst Worte verlieren über die Zugabe von Schwefel, von Hefen, von Zucker, von Weinsäure, von Salzen, von Wasser und von Schönungsmitteln, denn das ist Alltag im Winzerhandwerk. Weiter ginge es dann mit Nährstoffen, Enzymen, Microoxydation, Eichenchips und Kastanienmehl über Ascorbinsäure bis zu den Sorbaten. Neben all diesen möglichen Zugaben gibt es Verfahren wie Kaltmazeration, Extraktion, Umkehrosmose, Gegenstromextraktion, Schleuderkegelkolonnen und flash détente. Wenn man all das direkt hintereinander liest, bleibt von einem möglichen romantischen Bild des Weinmachens kaum etwas übrig.

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Dabei gehört die Zugabe von Schwefeldioxid, auf dem Etikett als Sulfite bezeichnet, zum Standard in der Weinbereitung und auch jene, die ihre Weine so natürlich wie möglich ausbauen möchten, verzichten meist nicht auf zumindest eine ganz geringe Menge. Früher hat man SO2 dazu benutzt, Fässer zu entkeimen und hat dann bemerkt, dass der Wein dieser Fässer stabiler wurde, was kein Wunder ist, denn SO2 wirkt auch im Wein antibakteriell. Dass Schwefel sich positiv auf den Wein auswirkt – vor allem beugt man der Oxydation vor – haben auch schon die Römer bemerkt. Diese fügten ihrem Wein allerdings auch Bleizucker zu, um die pentrante Säure billigen Fusels mit Süße zu überdecken und sich ganz nebenbei damit Unfruchtbarkeit und Gehirndeformationen einzufangen. Die Griechen dagegen nutzen Baumharz als Stabilisator, was sich als Tradition im Retsina, einem mit Baumharz versetzten Weißwein erhalten hat.

Ein Wein ohne Schwefel ist möglich, einer ohne Hefen jedoch nicht, sorgen diese doch für die Umwandlung von Zucker in Alkohol. Bleibt die Frage, welche Hefen man verwendet, denn man kann Weine mit Hilfe der Hefen vergären, die sich im Laufe des Jahres auf den Traubenhäuten abgesetzt haben. Die Puristen schwören drauf denn man könnte sagen, dass diese weinbergseigenen Hefen durchaus dazu beitragen, den Wein noch terroirtypischer zu machen. Man geht heute davon aus das ca. die Hälfte der 800 flüchtigen Geschmackskomponenten, die sich im Wein finden lassen, durch die Hefen hervorgerufen werden. Die wilden Hefen, die spontan den Gärprozess einleiten, beeinflussen entsprechend den Geschmack des Weins. Moderner Weinbau aber wäre ohne den Einsatz von Zuchthefen nicht denkbar, denn die Spontangärung ist deutlich sensibler und schafft mehr Raum für Weinfehler. Der Gärprozess lässt sich also mit Zuchthefen deutlich besser steuern. Leider lässt sich auch der Geschmack massiv manipulieren. So habe ich in letzter Zeit vier Weißweine aus vier völlig unterschiedlichen Rebsorten und Anbaugebieten getrunken, die alle nach einem bestimmten Weintyp schmeckten, nämlich nach neuseeländischem Sauvignon Blanc. Die Weine aber waren ein Grüner Veltliner aus  Österreich, ein Chenin Blanc aus Südafrika, ein Grillo aus Sizilien und ein Pinot Grigio aus dem Veneto. Die beiden letzteren stammten aus ökologischem Anbau. Anbau wohlgemerkt, denn ausgebaut wurden sie wie die anderen mit einer Spezialhefe, die entwickelt wurde, um typische Aromen von Grapefruit, Johannisbeere und frischem geschnittenem Gras im Sauvignon Blanc zu fördern. Mann kann sie jedoch ebenso verwenden, um die mäßige Qualität eines Weines zu verdecken oder einem bestimmten Hype zu folgen.

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Zwei Komponenten, die immer wieder Probleme im Entstehungsprozess von Wein bereiten sind übrigens Zucker und Säure. Es gibt, gerade in der nördlichen Hemisphäre Sommer, die so kalt bleiben, dass die Anreicherung von Zucker in den Trauben zu niedrig ist, so dass während der Fermentation gewisse Mengen an Zucker hinzugefügt werden dürfen. Selbst im Burgund und im Bordeaux wird die Technik dieser so genannten Chaptalisation angewandt, denn sie hat unter Umständen einen angenehmen Nebeneffekt: Zucker ist ein Geschmacksverstärker, und unterstützt im Fermentationsprozess die Herausbildung von Aromen. Ausserdem kann man natürlich den Alkoholwert anheben. Die Zugabe von Süßmost zum fertig vergorenen Wein gehört ebenfalls zur Trickkiste der Weinindustrie. Das, was in Deutschland als Süßreserve bekannt ist und mit 8 Gramm pro Liter hinzugegeben werden darf um die Süßsäurebalance ein wenig auszugleichen, wird in der neuen Weinwelt vor allem genutzt, um einfache Rotweine süffiger zu machen. Denn eine leichte Süße auch im trockenen Wein fördert den Absatz. In der Champagne wiederum hat die Zugabe von Süße Tradition und noch vor einem Jahrhundert war es üblich, über 100 Gramm Zucker in der Flasche zu haben. Im Laufe der Zeit jedoch wurde die Dosis immer stärker herunter gefahren, Puristen bezeichnen Zucker, die so genannten Dosage dann auch eher geringschätzig als Makeup.

Was in einem Jahr ein zuwenig an Zucker sein kann, kann im nächsten Jahr ein zuviel an Säure sein. Gerade in deutschen Landen hatten im Jahr 2010 sehr viele Winzer mit sehr hohen Säurewerten zu kämpfen. Hier gibt es die Möglichkeit, dem Wein durch Salze einen gewissen Säurewert zu entziehen. Dabei die Balance zu halten, erfordert jedoch sehr viel Erfahrung des Winzers. Auf der anderen Seite des Erdballs wiederum ist es üblich, dem Wein Säure hinzufügen da diese in heißen Gegenden in zu geringem Maße vorhanden ist. In Australien beispielsweise wird den Rotweinen so viel Weinsäure hinzugefügt, dass sie auf einen pH-Wert von 3.6 kommen. Diese Säure kann nicht nur die Harmonie im Wein fördern, da ein zu wenig an Säure Weine schneller breit und marmeladig wirken lässt, sie wirkt ebenfalls antibakteriell. Gerne wird australischen Weißweinen auch ein wenig Zitronensäure untergemischt, um die Weine frischer wirken zu lassen, als sie eigentlich sind.

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Natürlich könne auch Enzyme verwendet werden. Sie zersetzen die Traubenhäute und helfen dabei, Pigmente und Aromen freizusetzen. Desweiteren gibt es Enzyme, die die Viskosität verändern, wiederum andere helfen, wenn es eine Pilz-Infektion im Weinberg gab. Am beliebtesten sind dabei Kombinationsstoffe aus Pektin Esterase, Polygalacturonase, Pektin Lyase, Hermicellulase und Cellulase.

Mit dem technischen Verfahren der Gegenstromextraktion kann man in Lösung befindliche Stoffe voneinander trennen. Konkret wird versucht, aus dem Trester mehr Wein zu extrahieren. Mit Hilfe der Flash Détente wird der Wein für sechs Minuten auf 95 Grad erwärmt um ihn danach in ein Vakuum mit 30mbar zu pumpen. Dabei explodieren die Traubenhäute geradezu und der Wein wird in kürzester Zeit mit den Inhaltsstoffen der Häute angereichert. Bei der Umkehrosmose kann die Konzentration bestimmter Stoffe wie Alkohol oder flüchtige Säure verringert werden, in dem der Wein durch halbdurchlässige Membran gepumpt wird. Schließlich kann man den Wein noch durch eine Rektifikationskolonne mit rotierenden kegelförmigen Einsätzen schicken. In dieser Schleuderkegelkolonne kann man entschwefeln, Aromakonzentrate herstellen oder teilentalkoholisieren. Da während des Produktionsprozesses mitunter das Aroma verloren geht, gibt es in dieser Maschine eine zweite Stufe, in der dies wieder hinzugefügt wird.

Ich selber habe gestern eine frische 2011er Riesling feinherb Spätlese vom Mittelrhein genossen. Sehr leicht geschwefelt, trocken, bekömmlich mit feiner Säure und viel steiniger Würze, handgemacht. Solche Weine gibt es glücklicherweise auch noch.