Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Landpartie mit Manu

und mit Spezialitäten wie Trüffel, Schinken, Erdbeeren, Pecorino und wie man sie findet - dort nämlich, wo Armando, Gianni und Erni sie herstellen.

Stall, der: Stalla (it.), der Ort, in den man unbedingt schauen sollte.

Cu la tellllllo, sagt Manu. Italiener können das L lellen, wie sie das R rollen können. Ich probiere es, und inwendig lacht Manu darüber. Man sieht es in ihren Augen. Dann sagt sie es noch einmal vor, ich probiere es erneut und ahne: Das wird nichts mehr. Es wird immer nach deutscher Tourist im Schlamm klingen, dessen Italianita nicht ausreicht, vor einer Italienerin, einer echten, im echten Schlamm der Poebene. Unsere Schuhe sehen entsetzlich aus.

Bild zu: Landpartie mit Manu

Aber immerhin habe ich ihn jetzt gesehen, den legendären Culatelloschinken, und zwar nicht nur in dünnen, teuren Scheiben, sondern in vielen Brocken im Gegenwert eines Mittelklassewagens, an Stangen im Stall, in der feuchten Luft nach dem grossen Regen schimmelnd. Cu la telllo. Ich werde es nie schaffen. Ich hoffe aber, dass die Hersteller es schaffen, das zu bewahren. Es ist nicht ganz leicht mit diesem Schinken, denn er entspricht mit seinem Pilzbefall nicht unbedingt dem, was die EU für Fleisch vorschreibt. Es muss aber so sein, denn der Pilz gibt über die Enzyme den richtigen Geschmack – das ist, im Vertrauen, nicht im Mindesten so eklig wie das, was auf einer deutschen Tiefkühlpizza liegt. Der Cu la telllo schimmelt hier in der Lombardei monatelang. Hier die Tradition, da die EU. Es gibt einen Bestandsschutz für jene, die ihn schon immer gemacht haben. Es ist gar nicht so leicht, das alles so zu betreiben, dass man davon leben kann. Selbst wenn der echte Cu la telllo weltweit von Feinschmeckern gesucht wird. Ich habe ihn gefunden.

Bild zu: Landpartie mit Manu

Dank Manu. Manu ist hier in dieser fruchtbaren Ebene geboren und aufgewachsen, und mag den Wochenmarkt in Mantua so sehr, dass sie begonnen hat, dort nebenher beim Gemüsestand vom Corte Solfero 2 zu arbeiten. Über einen süssen Kürbis hinweg kamen wir ins Plaudern, und dass sie vorzüglich Deutsch spricht, war dabei hilfreicher als mein Italienisch. Übrigens, erzählte sie, am 20. Mai könnte man auch all die Bauernhöfe des Marktes direkt besuchen. Begleitest Du mich vorher mal dorthin, fragte ich. Und so stehen wir nun in der weichen Erde vor dem aus grossen Flusskieseln gebauten Hof des Jahres 1909, wo Gianni und Nadia Obst und Gemüse anbauen, wie man das früher gemacht hat. Gerade reifen, schneller allerdings als der Coletall… Culati… Cu la telllo die Fragole, die Erdbeeren auf dem Feld, und die Kirschen auf den Bäumen. Nächste Woche ist es so weit, dann beginnt die Ernte.

Bild zu: Landpartie mit Manu

Heute nennt man das Bio, und lange schien es, als würde die industrielle Landwirtschaft in Italien mit solchen Traditionen aufräumen. Das Gegenteil ist passiert: Die ähnlich gesinnten Bauern der Region haben sich zusammengeschlossen, und veranstalten gemeinschaftlich die Wochenmärkte der Region. Jeden Samstag, bei den Arkaden des Baumeisters Giulio Romano, ist am Samstag Markt in Mantua. Mit allem, was die Region und nicht der Weltmarkt bietet. Für so einen Culatellllo – langsam wird es besser – hätte der Weltmarkt nicht die Schweine, die Luft, die Gemäuer und den Schimmelpilz. Das gibt es nur hier.

Bild zu: Landpartie mit Manu

„Das gibt es nur hier“, solo qui, hört man oft, wenn man zwischen Gardasee und Po die Bauernhöfe besucht. Zum Beispiel den Aufstrich aus schwarzen Trüffeln und süssem Kürbis. Armando besitzt das Ca’ da Trifulin, das Haus des Trüffelsuchers. Jeder Liebhaber des Pilzes weiss, wie schwer der gute Trüffel zu finden ist, aber hier, nahe des Po, wo der Fluss das ideale Erdreich aus den Bergen hereingetragen hat, wächst ein hübscher, kleiner Wald mit Laubbäumen, und dazwischen ist das Haus. Trüffelsuche ist hier, solo qui, in etwa das, was bei anderen der Spaziergang mit dem Hund ist. Armando geht an trockenen Tagen mit seinen Hunden der Rasse Lagotto Romagnolo in seine Wäldchen, und wenn sie anschlagen, sticht er den Trüffel. Gäste bekommen ihn dann in Scheiben geschnitten serviert. Ich war kurz davor in Monte Carlo, da lag 1 Scheibchen auf dem Teller. Hier wird der Trüffel geschnitten, als wäre es Mozarella. Ist ja genug im Wald.

Bild zu: Landpartie mit Manu

Mit traurigem Hundeblick schaue ich die Kette an, an der die Hunde liegen, und den ganzen Tag Trüffel riechen. Oder, wenn sie an das Fenster des Stalls gehen, den in der Haut eingenähten Bauchspeck der Schweine, noch so eine Spezialität, etwas ganz Besonderes, auch mit Schimmelschicht, die hier ein Jahr an der Luft trocknet, wie der Culatello. Ich sage es gekonnt, und Manu schämt sich nicht mehr mit mir. Oder die eingemachten Früchte. Mit Trüffel. Ja, diese Kette, die wäre was für mich. Lieber ein Hund hier, solo qui, im Haus des Trüffelsuchers, als wie ein Hund in Deutschland beim Essen leiden. In einem Land ohne solche Wäldchen, wo sie einem den Trüffel in Molekülen vorsichtig, voooorsichtigst auf die Teller reiben, als sei es Plutonium im Labor, und das dann für exklusiv halten.

Bild zu: Landpartie mit Manu

Dabei ist es nur Tradition, und keine Wissenschaft. Im hochaufgeschossenen Enri, der die Käserei Forte d’Attila betreibt, würde man vielleicht eher einen Professor vermuten, so wie der verschmitzte Armando einer Figur mit rotem Parteibuch aus Don Camillo ähnelt (im Stall hängt ein Wehrmachtssattel, und wer weiss, vielleicht hat es da auch noch vergessene Panzer), und Gianni wie ein Condottiere der Renaissance aussieht. Aber Enri hat mit moderner Ernährungswissenschaft oder gar Genfood nichts zu tun, er züchtet seine Kühe selbst, beschafft das Heu von den eigenen Wiesen, und verzichtet bewusst auf jene Beimischungen der Agrarindustrie, die aus Milch ein immer gleich fad schmeckendes Industrieprodukt machen. Denn wenn die Milch keinen Charakter hat, hat auch der Käse keinen Geschmack; es sei denn, man hilft nachher wieder mit Chemie nach – aber genau das will Enri nicht tun.

Bild zu: Landpartie mit Manu

Es macht schon schon ein Unterschied, wie der Käse hergestellt wird. Ob die Milch aus der antibiotikaverseuchten Massentierhaltung im Norden über die Alpen gekarrt und zu dem verarbeitet wird, was in Deutschland dann als echt italienische Delikatesse gilt. Oder ob die Kuhrasse, die hier gezüchtet wird, die Milch liefert, mit der Käse für den regionalen Markt geschaffen wird. Jeden Tag wird in der kleinen Anlage bei Enri im Hof ein anderer Käse gemacht; der Frischkäse geht sofort auf den Markt, der Gorgonzola blauschimmelt Wochen, und monatelang wartet der Hartkäse in den Kühlkammern auf seine Reifung. Es eilt nicht. Und es schmeckt vermutlich nie ganz gleich, so, wie je nach Wetter auch das Gras und die Kräuter unterschiedlich wachsen. Das Leben am Fluss fliesst immer noch träge dahin, die Menschen haben Zeit, es dauert eben, bis Käse, Trüffel, Erdbeeren und Culatello reifen, Geschmack braucht Dauer, es ruhen die Kühe und verdauen, die Stallkatzen wollen auch gestreichelt werden, und auf mein Ciao Bella und Uoh belllllissssima reagieren sie sofort. Ich mache beim L und in Manus Achtung langsam, aber stetig Fortschritte.

Bild zu: Landpartie mit Manu

(Was kostet eigentlich so ein Hof, frage ich Manu, als wir beim Rückweg nach Mantua an einem verfallenden Gemäuer vorbeikommen. Manu schaut mich an, wie man arme Verrückte eben so anschaut. Es bläut über uns der Himmel, die Sonne scheint, ein leichter Wind weht durch die Ställe am Speck vorbei und bewegt die Blätter der wildwachsenden Feigenbäume, und darunter wächst im Wasser des Flusses vermutlich ein weisser Trüffel, dick und wohlschmeckend. Am 20. Mai kann man das alles bei „Per Corti e Cascine“ erradeln und erfahren und besuchen, das Programm findet sich unter agriturismomantova.it)

Bild zu: Landpartie mit Manu

Wenn Sie aber lieber Bilder von der Mille Miglia sehen wollen, selbst gemacht und nicht von einer Firma gestellt, wie es sonst so um diese Zeit hier im Blog üblich ist, ohne Schreibaussatzer und Sponsorbapperl: Bedaure. Ich muss Sie da auf mein anderes Blog verweisen.