Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Alter Besitz als Leistungsungerechtigkeit

Abgekocht, gegrillt und verbrutzelt: Mit alten Bürgertugenden wie Sparsamkeit und Umsicht in Vermögensfragen wird man heute zum Opfer von Leuten, die ihre Bereicherung für einen Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit für ihre Leistung halten.

Genau. Jeder in Deutschland kann ein Haus bauen und Aktien kaufen. Jeder. Einfach so.
Miinaaa

Es gibt Debatten, die führt man besser, bevor die Debatten anfangen, sich selbst zu führen. Und als ich Anfangs der Woche auch in diesem Blatt das Wort „Leistungsungerechtigkeit” in Bezug auf Vermögen las, ahnte ich, dass wir bald einmal darüber würden reden müssen. Aber wie es nun mal immer so ist, war ich an diesem Tag leider auf der Rückreise von Italien und musste davor unbedingt Caccioricotta… das muss ich kurz erklären, also, Caccioricotta ist Haloumi für Reiche, ein seltener Bratkäse, aus dem man für Vegetarier eine Art Saltimbocca machen kann, Sie wissen schon, diese römischer Spezialität, ein dünnes Schnitzel und eine Scheibe Schinken mit Salbei. Das geht auch mit Caccioricotta und, beispielsweise, wenn Sie auch länger wie ich in Mantua als Drittwohnort leben, dann kennen Sie das ja: Sie gehen zu Zapparoli, holen sich den Caccioricotta, ersetzen dann den Schinken durch frittierte Zucchini und der Salbei bleibt. So geht also Saltimbocca vegetarisch. Wo waren wir stehengeblieben… ach so.

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Leistungsungerechtigkeit richtig, also ich hätte ja gleich was dazu schreiben sollen, aber dann war ich noch im Wäschegeschäft wegen meiner Brokatkissen und bei meinem Krawattenladen und habe noch als Souvenir einen Aurorafüller gekauft und als ich dann noch am Gardasee ein S-Works Tarmac genommen habe, war es schon so spät – ich bin nicht mal mehr zu meinem Schuster in Verona gekommen. Das ist immer diese Hektik, wenn man nur 10 Tage Zeit hat. Im Frühjahr, wenn ich hier monatelang lebe, schaffe ich das alles. Aber nun muss man sich entscheiden, will man die nötigen Besorgungen machen oder einen Beitrag schreiben, aber das war Italien und in Deutschland, das ahnte ich, würde ich sicher einmal daheim sitzen und draussen fiele der Regen: Dann ist immer noch Zeit zu einem Beitrag über die Frage, was daran eigentlich ungerecht sein soll, wenn man sich sein Eigentum nicht wirklich vollumfänglich, im Schweisse des Angesichts und mit blutenden Fingern und vielleicht auch noch am letzten Nachmittag in Italien selbst erarbeitet.

Denn formal ist es durchaus richtig: Wer seinen Besitz auf die ein oder andere Weise nicht selbst erarbeitet, hat massive Vorteile gegenüber den Besitzlosen, die erst mal ein Vermögen zur Seite schaffen müssen. Denke ich jetzt mal an den typischen Zögling dieser meiner Schicht, nehmen wir mal die R. von den P.s, da sind also von den Eltern 100 Quadratmeter in Schwabing und einen Platz für den Gaul im Blauen Land, und dann hat sie noch eine Wohnung in Berin mit sicheren Mieteinnahmen. Natürlich reisst sich die R. dann in ihrem Job bei einer läppischen Politikagentur für Was-mit-Rüstung kein Bein mitsamt Reiterstiefel aus. Es ist genug Zeit für vier Wochen in Spanien, und solange passen die Eltern auf die Hunde auf. In der Agentur arbeiten solange auch noch andere, die nicht so schön leben, vielleicht gar in Moosach mit Blick auf Industriegelände, die wie die schöneren Ecken von Frankfurt aussehen, und sich obendrein sehr wohl ein Bein ausreissen müssen. Man muss schon recht viel verdienen und enorm viel Steuern zahlen, um sich den Lebensstandard der R. Mieten zu können; ein Lebensstandard, den sie nur als natürlich erachtet. Vergleicht man die Arbeitsergebnisse der R. mit ihren Kollegen, muss man sagen: In Bezug zur tatsächlich erbrachten Leistung ist das schreiend ungerecht.

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Zur Verteidigung solcher Fälle kann man natürlich anführen, dass Produktionskosten solcher Nachfahren schon in meiner Jugend hoch waren, und auch weiterhin steigen werden. Was bei den Eltern an weiterer Vermögensanhäufung da wäre, wenn die Kinder nicht da wären, oder wenigstens nicht 10 Jahre und drei Studienversuche gebraucht hätten, um einen Job zu finden, für den die Eltern manchmal noch eine Kanzlei oder eine Praxis zahlen mussten, wissen diese Kinder ganz genau, denn oft wird es ihnen vorgerechnet. In meiner Familie gab es sogar Fälle, da wurde darüber peinlich genau Buch geführt. Und die schöne Ausrede, dass der J. In Berlin ist, weil er das von seinem Vater bezahlte Yachtchartergeschäft auf Malle vor die Kaimauer gesetzt hat, und in Spanien wohl immer noch offene Rechnungen sind – die hilft wenig. Trotzdem möchte ich aber darauf verweisen, dass allein die Zucht einer Stammhaltung in einer Epoche, da jedes Kind sein iPhone braucht, die Verteilungsungerechtigkeit durch die entstehenden Kosten mindert, wenn man weiter unten die Nachfahren nicht ganz so verzieht.

Letztlich kommt es aber nicht auf die Höhe der leistungsungerecht vergebenen Summen an, um die sich das öffentliche Geschrei erhebt. Das ist in der Praxis gar nicht so wichtig. Was ich für einen echten Vorteil halte – neben solchen Nachteilen wie meinem verpassten Schustertermin in Verona – hat nur sehr am Rande mit Geld zu tun. Es ist diese eigentümliche Sicherheit, dass alles schon irgendwie gut gehen wird, die einen dann dazu verleitet, öfters ehrlich zu sein, als es dem Wunsch nach einer Karriere entsprechen würde. Oder sich mal etwas gegenüber den Vorgesetzten herausnehmen im Wissen, dass man im schlimmsten Fall butterweich fällt. Das macht Firmenleitungspersonal nervös, weil sie erwarten, der andere sei irgendwie abhängig oder gezwungen, etwas zu tun, und daran orientiert sich auch die Bezahlung: Dieses Frühjahr hat ein Buchverlag versucht, mich finanziell ein klein wenig über den Tisch zu ziehen – da habe ich ihnen den Vertrag eben vor die Füsse geworfen und bin gegangen im Wissen, dass ich so im September Zeit für Italien habe. Gut, es war jetzt zu wenig Zeit. Aber wer bin ich, dass ich mich von so jemandem… wegen lumpiger…

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Das hat den Verlag schockiert. Auch, dass ich gesagt habe, dass ich auch sonst nichts mehr mit ihnen zu machen gedenke. Ich mein, wer bin ich denn. Das kennen sie sonst von Autoren ganz anders. Und das ist die eigentliche Ungerechtigkeit, der eine darf auf keinen Fall, der andere kann. Wir leben in einer angeblich freien Welt, aber die Freiheiten, die man hat, werden von Konkurrenz, Sanktion und sozialem Druck scharf reglementiert und finanziell berechnet. Man lese sich nur mal die beliebten Gehaltsverhandlungstexte durch, mit denen Witschaftsmedien unter der Überschrift „Karriere” – „Rattenrennen” träfe es besser – auffällig werden; das spanische Hofzeremoniell war dagegen eine lässige Veranstaltung. Aber man muss mitmachen, sonst ist der Weg in den Vermögenshimmel verbaut, und das Kreditscoring ist nicht so gut. Wofür? Die Frage, ob sich die Beteiligten jetzt drei oder vier Zimmer mieten können, ist nicht so wirklich nachvollziehbar, wenn man aus ein paar Dutzend Räumen wählen kann. Wie die meisten, die am erbenden Ende einer aussterbenden Familie stehen.

Drei kinderlose Tanten mit Villen und die ein oder andere Restwohnung – auf diese Realität laufen nämlich derartige Graphiken der Debatte hinaus – lassen sich notfalls auch als Leistungsungerechtigkeit für den Besitzer interpretieren. Der Mieter kann gehen, aber das Haus von der Babette kann man nicht einfach verkaufen, und man hat damit nur Scherereien. Daheim muss ich beispielsweise vier Ster Holz schlichtem, Wein ernten, ein Rohr und die Wetterbretter von, Moment, 12 vorne, 10 zur Seite, 12 hinten, 34 Fenstern und das Hoftor streichen. Sicher, dafür habe ich den moralisch fragwürdigen Triumph, nächste Woche auf der Buchmesse über Lektor, Programmleitung und Verleger zu lachen. Aber der kleine psychologische Vorteil kommt nicht mit dem schnellen Auto, dem Hummer oder der Kaviardose daher, oder was immer man zur Bebilderung solcher Debatten benutzt. Er kommt mit gelben Gummihandschuhen, einer zerrissenen Hose und dem Wissen daher, dass das seit über 150 Jahren hier so geht und immer so weiter gehen wird, bis zum letzten Farbeimer. Die Ungerechtigkeiten gleichen sich schon irgendwie aus. Auch wird man von mir kein Gejammer hören, dass mein Kleiderschrank schon 100 Jahre alt ist, und ich mit keine schicken, heute so beliebten Wandtattoos über ein neues Chinasofa machen kann: Da ist Chippendale und Italien in Öl, Leinwand und Rahmen im Weg.

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Das alles ändert sich natürlich an jenem Tag, da die Leistungsgerechtigkeit kommt und Mehrbesitz benachteiligt: Dann nämlich lohnen sich all jene unschönen Bilder von Neureichen, die Manager Magazin lesen, Hummer essen und mit dem überteuerten Rennwagen – und hier jedes Jahr das neueste Modell – zu Champagnerwochen fahren. Dann lohnt sich auch das Umdekorieren der Küche, und solche Vorstellungen wie meine, dass der Küchenschrank meiner Urgrossmutter immer noch gut genug ist, sind lächerlich. Das Erhalten von Häusern für die Zukunft ist dann zwecklos, ganz im Gegensatz zu schneller Immobilienentwicklung auf der grünen Wiese, zusammen mit dem spekulativen Verkauf. Wer prasst, als gäbe es kein Morgen, wer es im Urlaub richtig krachen lässt, wer dafür sorgt, dass er alles mitnimmt und damit unter dem Satz bleibt, der Reichtum definiert – der hat es gut. Der macht es richtig. Die anderen, die dumm genug waren zu glauben, dass sie für die alten, bundesrepublikanischen Tugenden wie Sparsamkeit und Beständigkeit belohnt werden, weil die Welt nicht an jenen gesundet, die lieber heute über ihre Verhältnisse leben, als morgen in ordentlichen Verhältnissen; diejenigen, die so für ihr Alter vorgesorgt hat, dass sie jetzt Gegenstand so einer Debatte sind – sie alle werden sich noch wundern. Dass dadurch die Gesellschaft gerechter wird, wage ich übrigens zu bezweifeln. Aber sicher werden es gute Zeiten für Startups, die in China modische Sofas auf Internetbestellung zusammentackern lassen.