Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Spätmittelalte Männer träumen von alten Reichen

Der Gott, der Eisen wachsen liess, ist längst schon in Pension. Unter Zentralgewalten Knüppel bleibt edlem Recken nur der Hohn. So gern würd er sich erheben und fordern das Geschick. Oder wenigstens ein wenig löffeln am Eis vom Movenpick.

Libenter homines id quod volunt credunt.
Gaius Julius Cäsar

Eines Tages sass ich, wie immer eigentlich, in der Bar Venezia in Mantua, und zufälligerweise kam die C. vorbei, die in einem Laden arbeitet, über den ich einmal geschrieben habe. Sie spricht gut englisch und ich phantastisch haptisch-italienisch, und so plauderten wir etwas, wie über den örtlichen Repräsentanten der Lega Nord, den ich am Vortag beinahe über den Haufen gefahren hätte. Da ist nämlich in Citadella Mantova so eine leicht illegale, aber sehr praktische Wendemöglichkeit, und die nehme ich gern mit Schwung. Nur war am Tag davor über den durchgezogenen Linien auch noch überraschenderweise der Stand der Lega Nord errichtet, und so schnell kann das gehen, aber immerhin, es wäre das Ende mit einer Barchetta aus Norditalien gewesen, und kein Alfasud. Das, sagte die C., hätte ihrer Mama aber gar nicht gefallen, denn die wählt Lega Nord und glaubt auch an Padanien und daran, dass sie alle Kelten sind.

Nun ist die C. von der Art, dass sie auch Attila der Hunnenkönig nach der Geschlechtsumwandlung sein könnte, und sie würde mir noch immer gefallen. Bei C. sehe ich Welt rosa und würde sie mir sagen, der Himmel ist grün, ich würde das auch hier genau so behaupten. Abetr keltisch? Mama C. würde durchdrehen, wenn sie sich nach Keltenart tätowieren lassen würde. Tatsächlich wäre kaum jemand des Keltentums so wenig verdächtig wie die Mama der C., jetzt mal vulgärgenetisch betrachtet, und auch die C. würde im bayerischen Stammesherzog durch den italienischen Einschlag auffallen. Nebenbei, die Kelten verschwinden so im 1. Jahrhundert von der Landkarte, auch in Bayern lassen sie stark nach, und danach kommt Völkerwanderung. Langabarden, Goten und dazwischen sogar ein paar Österreicher. Die sog. „Ethnogenese“ ist in der Archäöologie ein weites Feld, in dem es lustig zugeht, und gerade Oberitalien ist jetzt nicht ganz schlecht gemischt. Es ist also irgendwie nicht wirklich schlüssig, wie die Lega Nord davon auszugehen, dass es mal eine Art Region, Land oder Gebilde wie Padanien gegeben hat, das man mit einer Republica del Nord wieder aufleben lassen könnte. Denn eigentlich heisst sie ja Lega Nord per l’indipendenza della Padania.

Aber es ist Italien, und da sagen einem alle keltischen Stammesangehörigen natürlich, dass es, wenn Padanien schon nicht wahr ist, dann wenigstens gut erfunden sein soll. Das Padanienfest der Lega ist lange Jahre die lustige Seite des Versuches gewesen, einen Keil in die italienische Gesellschaft zu treiben. Damit konnte man behaupten, man sei schon immer anders gewesen, besser, stärker, blonder, genetisch anders, und nun werde man von der Diebin Rom ausgeplündert, zugunsten der nicht so ganz keltischen Leute im Süden des Landes, die nichts arbeiten wollen und deren Mafia immer noch so rückständig ist, dass sie in Drogen und in Müll macht, statt wie ehrenwerte Leute im Norden mit lautlosen Banken, Bauwirtschaft, Logen und Medien die Milliarden schiebt. Wer einmal die Lega in ihren grünen Hemden paramilitärisch aufmarschieren sah, lachte, und freute sich, dass es so etwas bei uns zum Glück nicht gibt, denn die CSU war allenfalls eine biedere Kopie dessen, was die Lega in Sachen Landeszerteilung wirklich plante.

Vor einem Jahr kam die Lega dann auch ins Schleudern, weil ausgerechnet diese Partei der vermögenden, mittelalten Sauberkelten eine problematische Parteienfinanzierung und andere Skandale aufwies, die man sonst nur der Diebin Rom nachsagte. Bei Cäsers De bello gallico hätte man auch nachlesen können, dass die Kelten jetzt eher flexible Moralbegriffe kannten, und obendrein auch eine Religion, die gar nichts mit dem christlichen Abendland zu tun hat, auf das sich die Lega so gerne beruft, wenn andere Völker sich an den Kelten ein Beispiel nehmen und ebenfalls nach Italien einwandern. Dass diese eher reichen, patriarchalisch orientierten, mittelalten und tonangebenden Männer dann statt der Nationalhymne lieber den Gefangenenchor aus Verdis Nabucco singen, ist nur eine weitere Absurdität dieser, nun ja, sagen wir mal, Bewegung, die sich dann noch hinstellt und von sich behauptet, sie wäre nicht links oder rechts, sondern sachorientiert. Was dem Umstand keinen Abbruch tut, dass die ideologischen Grundlagen von der uralten, sog. Neuen Rechten kamen.

Die Lega, das ist so eine der Sachen in Italien, die vergisst man, sobald man das Land verlassen hat, wie die scheusslichen Industriegebiete, Berlusconi, verrostete Stromleitungen, die Fabrikruinen, die Armut der alten Leute, die Tristesse all dessen, was vor der Schönheit des Landes noch einmal besonders gemein, vulgär und unpassend erscheint. Dieser Filter für all die Bossis und Finis, für diese verhuzelten Männlein, die alle so aussehen, als würden sie am liebsten immer noch spitze Schlangenlederschuhe und Hosen tragen, die im Schritt zu eng sind, ist nötig für die Italiensehnsucht, und zum Glück kann ich sagen: Er ist nicht mehr so wichtig, wie vor 10 Jahren. Die Lega ist eine italienische Partei wie jede andere: Man würde dafür nicht nach Italien fahren, und man ist froh, dass einen so etwas daheim nicht erwartet.

Ich überlege schon den ganzen Tag, wo eigentlich der Unterschied zwischen dem legendären Padanien und den angeblich so grandios-legendären Deutschland der D-Mark unter Helmut Kohl sein sollen. Denn so wenig wie Mama C. Keltin ist, so wenig waren die Jahre unter Kohl in etwas, das in meiner Erinnerung und für viele andere Jüngere allzu viel Sentimentalität verdient hätte. Ich mein, nicht umsonst sieht man diese Bilder, Schlagzeilen, irrwitzigen Unterfangen von damals und sagt sich: Das könnte man heute alles nicht mehr machen. Ein Strauss wäre undenkbar. Ein Rhein-Main-Donaukanal wäre undenkbar. Neue Atomkraftwerke, Rüstungswettlauf, der allgegenwärtige, dumpfe Gestank der Reaktion der geistig moralischen Wende… dass diese alte BRD ein rundum netter, guter und lebenswerter Staat war, können allenfalls die Profiteure behaupten, spätmittelalte, eher patriarchalisch veranlagte Menschen, die sich mit der Moderne nicht zurecht finden und gern ihren eigenen spätmittelalten, patriarchalischen Weg mit hohen Rentenbezügen gehen wollen, mit all den angeblich so tugend- und arbeitsamen Mittelständlern und Professoren und Honoratioren eines Landes, das nach ihrem Bestreben loskommen soll von der Räuberin Brüssel.

Die Zeiten, da die Politik noch eine gefällige Komponente haben musste, sind natürlich lang vorbei, und sieht man den Steinbrück oder die Merkel, so ist da nicht wirklich ein herber Absturz Alternativenlega für Kohls Deutschland, aber im Ernst: Die politische Zukunft des Landes habe ich mir, so privat, anders als einen Typus vorgestellt, der mir in Italien todsicher mit Freizeitsandalen ins Bild latschen würde, und auch nicht als einen, der meint mir erzählen zu können, wie das richtige Deutschland auszusehen hat: So, wie sich halt der typische Legamittelaltling das richtige Padanien vorstellt. Als eine Ort der kulturellen Hegemonie des gesunden Menschenverstandes. Ich habe die 8oer Jahre in Bayern überlebt, ich weiss schon, warum ich Italien immer als Ort der Befreiung betrachtet habe. Irgendwo kichert hämisch jemand unter dem fetten Gras im Bärental, heute Nacht träume ich hoffentlich nicht von Ignaz Kiechle, Friedrich Zimmermann, Manfred Kanther und anderen führenden Figuren Deutsch-Padaniens, die zusammen Wurst in Kartoffelsuppe essen und mir aus dem neuen Spiegel – Thema passend, wie die Südeuropäer ihren Reichtum verstecken – vorlesen, und dann fordern sie alle zusammen so etwas wie Renovatio Imperii.

Das wäre ein schlechter Start. Denn morgen fliege ich ans Südende von Europa, in die Region zwischen Syracus und Agrigent, gleich gegenüber von Afrika, wo es natürlich keine Kelten gibt, in den Schatten einer normannischen Burg, und dann werde ich mir griechische Tempel, italienischen Barock, römische Bikinimädchen und byzantinische Mosaike anschauen. Ich mag dieses Europa lieber als zu einfache Erklärungen spätmittelalter Männer, die sich immer benachteiligt fühlen, weil sie es auch sind: Das Leben und die Liebe küssen keine bitteren Kleingeister, weder in Bad Nauheim, noch im Parlament, weder in Mantua noch in Rom. Natürlich wird es dafür Stimmen geben. Endlich wieder gesunder Menschenverstand, keine Vielschichtigkeit mehr, keine komplexen Überlegungen, ob wir nicht vielleicht auch Schuld sind, Papa sagt jetzt mal was Sache ist. Immer das gleiche von Rostock bis Syracus. Ich werde mich an den Strand setzen und ihnen den – Rücken zudrehen..

HINWEIS:

Dem Kommentarblog, in dem dieser Beitrag ebenfalls steht, und in dem Schreiben und Administrieren sehr viel einfacher geht, sollten Sie keinesfalls den Rücken zudrehen.