Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Vermögende Menschen in Unwettern, Kälte, Gestank und Dreck

Und das alles ist auch nicht günstig zu haben: Die Mille Miglia, das historische Rennen zwischen Brescia und Rom, bot den Teilnehmern abwechslungsreiche Witterung und realistische Bedingungen einer Ausfahrt, die früher als brutal und lebensgefährlich galt.

The ideal racecar will expire 100 yards past the finishline.
Stirling Moss

Das schönste Erlebnis nach dem ersten Tag der Mille Miglia war ein warmes Vollbad.

Das schönste Erlebnis nach dem zweiten Tag der Mille Miglia war ein warmes Vollbad.

Das schönste Erlebnis nach dem dritten Tag der Mille Miglia war ein warmes Vollbad.

Sagt man sich, wenn man in das warme Volbad steigt. Aber trotzdem geht es jeden Tag zurück an die Rennstrecke. Und nach drei Tagen schaut man gar nicht mehr hin, ob sie kommen: Man hört das von Weitem, man fühlt es durch die Vibrationen, wenn sie vorbeifahren, und man riecht es noch, wenn man sie schon nicht mehr sieht. Der Mensch hat Monster geschaffen, zu Millionen bevölkern sie die Erde und nehmen uns Platz, Zeit und Geld weg.  Was also feiert man bei der Mille Miglia? Vielleicht die Ehrlichkeit, die man sonst, in diesen leisen Computern auf vier Rädern, so gern vergisst.

Der schönste Erlebnis der Mille Miglia ist dann auch eigentlich der Moment, da die Motoren anspringen und das Öl heiss wird.  Es ist der Geruch der Schlechtigkeit, und drei Tage mag man das. Genau so.

 

Auspuffrohre und Ölwannen werden heiss, Dichtungen reissen, Leitungen brechen und manche rutschen auf dem Nass in die Strassengräben: Das gehört dazu. Dazu gehört auch, dass die Besucher auch im Regen ausharren, und die Cafes kleine Happen nach draussen stellen und die Markisen herunterlassen. Man drängt sich eben zusammen, denn kalt ist es draussen und sicher auch nicht warm in den Fahrzeugen, die in einer Epoche gebaut wurde, die als Klimaanlage eher undichte Auspuffrohre verstand. Damals, so zeigen es Schwarzweissbilder jener Epoche, die wir legendär nennen, schwappte man die Giftstoffe mit Wein runter und versiegelte das Lungenelend mit filterlosen Zigaretten, die man neben dem Einfüllen der Treibstoffe rauchte, denn zu der Zeit gab es aich noch keine Rentendebatten in TV-Talkshows. Heute ist es nur kalt, und es regnet. Das ist nicht so schlimm.

 

Natürlich gibt es auch “Bel Paese”, die traumhafte Landschaft mit ihren Bäumen, Kurven und heimtückischen Leitplanken, die nach der rutschigen Vertiefung in der Strasse genau dann zu Ende sind, wenn sich am Ende eine Pinie gen Himmel und Jenseits streckt. Sogar bei dieser verregneten Mille Miglia zeigte sich am dritten Tag in der Toskana, von Rom kommend und vor dem Eintritt in die Regenzone über Modena, Sonne und blauer Himmel (diese Bilder dann morgen). Dort habe ich ein älteres Paar getroffen, das seinen Wagen mit einem Motorproblem kurz hinter Rom abstellen musste. Und für das nächste Jahr, das nächste Rennen schon wieder Schals kaufte, in der Erwartung, dass es auch 2014 regnen kann, an diesen angeblich so schönen Maientagen in Italien, wenn auf den Bergen noch der Schnee liegt und die Bäche über die Strassen laufen. Sie erwarten auch, dass sie wieder mit dabei sind und dann auch bis zum Ziel kommen. Eigentlich gibt es ja auch gar kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung. So wie jene, die ich trug, zum Beispiel.

 

Und deshalb ist der schönste Moment der Mille Miglia das heisse Bad, denkt man, wenn man unterwegs friert, und dann hört man es wieder aus der Ferne, man greift zur Kamera und denkt nur an das Dröhnen und den Geruch von heissen Abgasen aus schlecht gedichteten Motoren, und überhaupt, denken sollen bitteschön andere, sonst würden unsere wissenschaftlich entwickelten Fortbewegungsmittel nicht so sein, wie sie sind, und Fussballmanager keine Telekomaktien kaufen, wie sie es tun. Ich denke nur, dass ich in Italien und am Auslöser bin.

(Wen es interessiert: Die Auslöser sind an einer Olympus Pen E-P2 und einer Panasonic DMC-G1, dazu drei alte, manuelle Objektive: Mit einem Super Danubia 28mm/f2.8 bei Blende 8 meistens am Tag, Porst Color Reflex 50mm/f1.4 mit Blende 4 am Abend und 2 in der Nacht (man merkt den Unterschied an den Farben), und die meisten Portraits der ersten Serie sind mit einem Auto Revuenon Zoom 35-70mm/f2.8-3.8 bei 60-70mm und Blende 4 gemacht – und das alles sind gebrauchte Objektive der 20-Euro-Klasse, mit denen man von den Leica- und Canonprofis herzlichst ausgelacht wird.)