ohne Sinn und Verstand und moralisch verkommen
Hans-Peter Uhl 2009 über Mitglieder des Chaos Computer Club
Eigentlich war diese Legislaturperiode aus kulturhistorischer Sicht gelaufen, als Bundesaussenminister Westerwelle seinen Sager von der spätrömischen Dekadenz zum Schlechtesten gab. Da war eigentlich klar: Es würde für seine Kabinettskollegen und Fraktionen schwer werden, dieses Niveau noch einmal zu unterbieten. Aber jetzt, auf der Zielgeraden kurz vor der Wahl, kommt die Blutgrätsche, und wie es sein muss, kommt sie nicht nur aus der CSU, sondern auch noch vom Hardliner Hans-Peter Uhl, der früher als Kreisverwaltungsreferent von München durch nicht gerade nachtschwärmer-, schwulen- und demonstrantenfreundliche Politik aufgefallen ist. Jetzt also, im Zuge von Prism und dem nicht enden wollenden NSA-Skandal, der längst auch ein Skandal des versagenden Innenministers ist, jetzt also stellt sich Uhl hin und sagt, angesichts der Datenspeicherung stosse “der Nationalstaat mit seiner Verpflichtung, seine Bürger zu schützen, erkennbar an Grenzen.” Und nach dieser Bankrotterklärung des Rechtsstaates kommt auch noch die kulturgeschichtliche, Westerwelle gnadenlos wegkeilende Meisterminderleistung:
“Wir müssen die Idylle des Biedermeiers verlassen.”
Man muss Uhl vielleicht zugute halten, dass das Biedermeier in Bayern vergleichsweise mild und ohne allzu viel Staatsterror abgelaufen ist. Bayern war zu Zeiten der Aufklärung eher ein zurückgebliebener Gottesstaat, und der Wechsel zwischen Freiheitswillen und Unterdrückung war hier nicht so brutal wie in den umliegenden Nationen. Biedermeier in Uhls und meiner Heimat ist mehr Griechenbegeisterung und Klassizismus, Schönheitengalerie und Kunstförderung, und als andere 1848 gegen die Unterdrückung aufstanden, wehrte man sich in Bayern nur gegen das in den Augen der Bewohner liderliche Wesen der Lola Montez, mit der der bayerische König Schmutzeleien betrieb. Andere Stimmen, die das Biedermeier auch in Bayern als muffige, reaktionäre und auf dem flachen Land als katholisch-autoritäre Epoche schildern, werden dagegen gern mit den adretten Damen von Stieler und Graefle (s.o.) überdeckt.
Aber ansonsten ist die Epoche nach dem Ende der Napoleonischen Kriege auch unter einem anderen Namen bekannt: Vormärz, nach dem März 1848 und seiner Revolution. Und das ist nun wirklich keine Epoche, die man als Idyll würde ansehen wollen, sondern nach der Epoche der Erklärung der universellen Menschenrechte, auf die wir uns heute so gern berufen, eine Zeit übelster Repression, Unterdrückung, Zensur, politischem Mord, aussergerichtlicher Folterkerker und personell und technisch weitestgehender Überwachung. Wenn man sich die Sache etwas genauer anschaut, verlassen wir kein Idyll des Biedermeiers, wir betreten gerade kein merkel’sches Neuland, sondern eine Neuauflage einer totalitären Schreckenszeit, die viele, denen ihr Leben und ihre Freiheit lieb war, zum Rückzug in ihr privates, unpolitisches und rechtloses “Idyll” zwang.
Das Äquivalent zum “War on Terror” war damals die Demagogenverfolgung, der Patriot Act und all die Überwachungsgesetze in den Vasallenstaaten hiessen damals Karlsbader Beschlüsse, die, wie heute auch, hastig und rechtlich fragwürdig beschlossen und zugunsten der Totalkontrolle im Deutschen Bund und in Österreich umgesetzt wurden. Die Bevölkerung war damals wie heute den Nachforschungen und Kontrollen schutzlos ausgeliefert, es tagten damals schon geheime Gerichte, die kein Opfer anhörten: Die “Zentralkommission zur Untersuchung hochverräterischer Umtriebe” konnte in Form einer Sondergerichtsbarkeit dafür sorgen, dass Professoren ihre Stellen verloren, Studenten aus den Hochschulen geworfen wurden und Demokraten in Gefängnissen landeten. Samt und sonders Leute übrigens, die jene Politiker heute als Vorväter unserer Demokratie in hohen Ehren halten, die uns ansonsten aber die Vorteile der Internetüberwachung erklären – wie dieser Herr Uhl.
Das damals schon gebräuchliche Argument, das alles diente der inneren Sicherheit, hätte man sicher schon zu einem “Supergrundrecht” aufgebauscht, hätte man es für notwendig erachtet, einen andauernden Bruch der Verfassung für das Wahlvolk zurecht zu neusprechen. Allein, es gab damals kein Wahlvolk und kein Grundgesetz. Was es gab, waren Absprachen zwischen Freunden und Partnern und ihrer Dienste: Die Österreicher, der Kirchenstaat und die italienischen Bourbonen tauschten sich über die Carbonari und das Junge Italien aus, Russen, Österreicher und Preussen sprachen über polnische Patrioten, deren Land sie unter sich aufgeteilt hatten, und Österreich und Preussen redeten über Studenten und andere Störenfriede und wie man ihnen den Lebensraum entziehen kann. Man witterte überall Verschwörung, man war ein wenig paranoid, und man war scharf auf vermeintlich sicheres Wissen.
Dafür braucht man natürlich Informationen wie jene, die dieser Herr Uhl nach eigenen Worten für sicher hält, wären sie in einem versiegelten Brief gewesen. Ja, dieser Herr Uhl, der hätte damals sicher auch gesagt, dass der Briefverkehr kein rechtsfreier Raum sein darf, und Merketternich hätte ihm recht gegeben und dann hätten sie über Siegel gelacht: Tatsächlich war es nämlich so, dass in den sogenannten Schwarzen Kammern Heerscharen von Unterdrückern damit beschäftigt waren, die Post zu öffnen und zu lesen, und Metternich dann in Briefings zu melden, falls jemand so unvorsichtig war, etwas Falsches wie etwa fragwürdige Keywords zu schreiben. Und weil schon damals manche schlau genug waren, Nachrichten zu verstecken zu codieren, hatte Metternich auch noch eine eigene Dechiffrierungsabteilung eingerichtet, in der dann aber nicht nur normale Demokratieterroristen, sondern auch die diplomatische Post der Freunde und Partner gefilzt wurde, Das machten damals übrigens auch schon alle.
Da ging es dann aber um die grosse Politik, wie etwa, Überraschung, Freihandelsabkommen. Für die normalen Bürger, die vermutlich auch dachten, sie hätten nichts zu verbergen, gab es dagegen ein enges Netz von Spitzeln und Informanten jenseits der rechtlichen Kontrolle, die vorsorglich und verdachtsunabhängig alles aufschrieben, was später einmal nützlich sein könnte. Hat jemand einen verdächtigen Freund getroffen? Kauft er mehr Heine als Goethe? Besucht er oft Rossiniopern, singt er gar mit Mozart, ob der Herr Graf ein Tänzchen wohl wagen will? Beschwert er sich über die Wiedereinführung der Gesellschaft Jesu? Alles für sich sind das nur Kleinigkeiten, aber zusammengenommen, mit dem richtigen Verdacht versehen, ergibt sich ein Bild, und dafür sucht man dann nach Beweisen und schwupps, ist er in Guantanamo.
Pardon, Spielberg natürlich, so hiess der Folterknast, in dem das biedermeierliche Wien – Freude schöner Götterfunken – seine Gegner ohne Prozess verrotten und krepieren liess, manchmal begründet und manchmal wegen Lappalien wie anderer politischer Auffassung. Man konnte das nie wissen, die Bedrohung dieses Systems ging von seiner Geheimniskrämerei aus. Wie viele Anschläge mit Gift und Dolch verhindert wurden? Unklar. Geheimsache. Warum 1846 die Preussen vom polnischen Aufstand Wind bekamen und die Österreicher trotz Überwachung überrascht wurden? Tja. Warum sie die Aufstände in Italien erst bemerkten, als sie begannen? Tja. 80.000 Anschläge gab es seit 2001 weltweit, angeblich 45 soll Prism verhindert haben, wie viele von hauseigenen Diensten mitinitiiert wurden, wie viele es wirklich sind und wo nur irgendwelche Auffassungen zu Anschlägen hochstilisiert wurden, war bei Metternich ebenso unklar wie heute. Man wusste es schon damals nicht: Metternichs Spitzel ersoffen in den gewonnenen Daten, aber zumindest den Zweck, die eigenen Untertanen und Vasallenregionen in Angst und Schrecken klein zu halten – das hat dieser Staatsterror geschafft. Bis März 1848, den wir heute als wichtigen Moment der deutschen Geschichte kennen.
Nur Killerdrohnen hatte man damals nicht. Allerdings gab es Figuren wie Antonio Capece Minutolo, der als Polizeiminister der italienischen Bourbonen so freundlich war, den Gegnern der italienischen Freiheitsbewegung Waffen für Todesschwadronen zu liefern, die auch für Metternich die Drecksarbeit des Verschwindenlassens und Beseitigens machten. Und wie heute gab es dabei erhebliche Kollateralschäden, die aber in den Wiener Hofnachrichten als Nebeneffekte der inneren Sicherheit allenfalls am Rande erwähnt wurden. Dann lagen halt ein paar tote Italiener neben einem Haus, das als Versteck des Widerstandes galt – selbst schuld, wenn sie Kinder mitbringen. Eine Untersuchung der Vorgänge ist nicht nötig gewesen, und man ist auch niemandem Rechenschaft schuldig. Nationale Sicherheit halt.
Biedermeier. Eine idyllische Epoche. Metternich hat man dann in der Revolution von 1848 vertrieben. Uhl und Friedrich gelten weiterhin als Innenexperten, und die Kanzlerin wird ihnen brutalstmöglich wie unseren Freunden und Partnern das Vertrauen aussprechen, und massiv für ein internationales Abkommen eintreten, das unsere Sicherheitsgrundrechte bestens schützt.
Mindestens so gut wie die Karlsbader Beschlüsse, darf man annehmen. Die Idylle des Biedermeier ist nicht vorbei, sie geht mit Überwachungsfreunden wie Friedrich und Uhl gerade erst richtig los.
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