Die Poesie wird mit dem Hammer gemacht
Wladimir Majakowski
Armut kostet Lebensfreude. Armut setzt unter Druck. Armut erzwingt bestimmte Verhaltensweisen und bringt Menschen zum schweigen. Armut ist schuld daran, dass man sich nicht öffentlich zu seinem wahren Sein bekennen kann. Armut bringt Menschen dazu, sich zu verleugnen und die Umwelt mit Lügen bei Laune zu halten. Armut ist ein Stigma, das man fürchten muss. Kurz, Armut hat enorme soziale Auswirkungen und zwar gerade bei jenen, auf die es in diesem Lande, in unserem sozialen Gefüge wirklich ankommt: Auf die Vermögenden. Armut, wie sie Hartz IV erzeugt, ist elitenfeindlich.
Nicht überall natürlich. So unter uns können wir schon darüber reden, was wir so haben und uns noch zu beschaffen gedenken. Wenn ich hier über meine Wünsche berichte, in Meran einen Altersruhesitz zu erwerben, gerade so gross, dass man ihn als älterer Mensch selbst besorgen kann, also nicht mehr als 200 Quadratmeter Denkmalschutz, dann bleibt das hier unter uns. Das erzählt dann auch keiner weiter, und ausser den Lesern bekommt es auch keiner mit. Ich rede hier unter Gleichen mit Gleichen, und wir unterscheiden uns da nur in der Frage, ob andere Orte nicht hübscher wären, und ob einem Olivenhain nicht der Vorzug gegenüber einem kleinen Weinberg zu geben ist. Das sind die kleinen Konflikte, die das Dasein so mit sich bringt, wir können sie kollegial beseitigen. In Meran ist ohnehin nicht genug Platz für uns alle. Was dem einen seine Sommerfrische, ist dem anderen seine Hacienda oder seine Karawanserei, der eine nagelt Barockgemälde an die Wand und der andere ersteigert Nagelbilder von Günther Uecker.
Ich war aber auch mal Nachbar von Uecker. Damals lebte ich in Berlin, für anderthalb Jahre, und Uecker hatte im gleichen Art-Deco-Ensemble eine Art Atelier. Aus dieser Zeit kenne ich viele Berliner. Manche sumpfen ein Dutzend Jahre später immer noch so wie damals, und andere – die Minderheit, aber immerhin – haben es zu etwas gebracht. Aus den Hackern wurden Chefs von Securityfirmen, aus den Studenten Partner in Kanzleien, aus den Internet-Autoren beliebte Sachbuchautoren, die sich mit Themen wie Liebe, Kochen und Kinderkriegen einen Namen machten – oder sie blieben eben mittellose Autoren, ewige Studenten oder versuchten, Projekte über ihre Anhänger zu finanzieren, in denen sie erklärten, wie sich Welt und Internet nach den Vorstellungen zu verhalten habe, die in einem Einzimmerappartment zwischen indischem Lieferessen und Bier entwickelt wurden.
Manche blieben, was sie sind und twittern darüber, dass sie ihre Nebenkostenrechnungen nicht bezahlen konnten. Andere kauften rechtzeitig Wohnungen, arbeiteten so hart, wie das auch im Westen üblich ist, und sind jetzt für Berliner Verhältnisse vermögend. Exakt eine einzige davon sagt öffentlich, dass sie Gentrifizierung gut findet, die Schliessung von Borzn an der Ecke für richtig hält, keinen Wert auf versoffene Künstler im Rinnsteig legt und gerne noch eine Wohnung kaufen würde, um ihre Mieter Richtung Schöneweide zu entmieten, das Objekt zu sanieren und dann zur finanziellen Absicherung mit hoher Rendite an stubenreine Schwaben zu vergeben, wenn sie Messer und Gabel ohne Gefahr der Selbstverstümmelung nutzen können und deren Eltern bürgen. Eine einzige ist ehrlich.
Die anderen haben das teilweise genau so gemacht und finden das, wenn sie nach Bayern kommen, nicht ganz falsch. Zuerst sprechen sie aber noch instinktiv leise und fügen stets ein „aber“ hinzu, und erklären wortreich, wie schlimm es doch anderen gehe und der Staat versage. Aber nach der dritten Halben im Jägerstüberl lösen sich die Zungen, nebenan feiert die Jugend von Waakirchen den Vermögenszuwachs durch die Immobilienspekulation, und am Ende nehmen sie eine Dampfnudel im Bewusstsein, dass eine weitere Wohnung nicht schlecht sei. Über den ehemaligen Blogger, der nun Firmen berät, wie man das Internet infiziert, wissen sie auch, dass er ein Haus gekauft hat. Mit Garten. Ausserhalb des Autobahnrings, mit Kredit, und er redet nicht öffentlich drüber. Aber eine Mitarbeiterin, die nach drei Jahren Ausbeutung hingeschmissen hat, hat das überall erzählt, dass der J. jetzt Hausbesitzer ist. Das Kapitalistenschwei – ei – ei-eine Halbe noch, Teres, sagen sie dann und fangen sich wieder, wenn sie merken, wo sie sind. Manchmal werden sie rückfällig und verkünden den Mainstream der Linken, der üblich ist, wenn Besitzende und Besitzlose aufeinander treffen.
Man gibt gegenüber Ärmeren nicht an, das habe ich auch so gelernt. Glaube ich. Vor langer Zeit. Aber das ist doch so, oder? Man tut das nicht. Man lässt niemanden merken, was in der Grube ist, von der man in Bayern meint, dass da das Geld ist, das man holt. Man will nicht, dass der andere sich unterlegen fühlt. Die grosse Halle war deshalb nur eine teure Fehlplanung, ein anderes als das grosse Grundstück hat man nicht bekommen, die Wohnung in Paris war ein Notverkauf von einem Freund – man findet immer Ausreden, damit das alles bescheiden wirkt, wenn andere weniger besitzen. Aber mit Hartz IV kommt eine völlig neue Kategorie dazu, und mit dem Netz, Twitter, Facebook und leichtgläubigen Journalisten der Süddeutschen Zeitung überwinden solche Schicksale auch Klassengrenzen: Anderen geht es schlecht. So schlecht, dass man nicht einmal mehr den kleinsten Röhrenverstärker für die Küche verargumentieren kann. Kein Wachtelei kann man zeigen, nicht einmal darüber reden kann man, dass man noch eine vierte Halbe bestellen konnte, halten sich die anderen doch den ganzen Abend an einem Mineralwasser fest, und schreiben ihre Anklagen gegen das System auf dem iPhone nieder. Kann man da heim in Berlin einfach so berichten, dass man gern im Eigentum wohnt und 7 Prozent mehr Rendite hat? Zumal, wenn man die D. wegen der G. auch einladen musste und die wiederum der J. das alles brühwarm erzählt.
Das ist schrecklich. Denn wozu hat man Vermögen, wenn man dann wieder so tun muss, als wäre man auch nur ein armer Schlucker, warum sitzt man beisammen und lügt sich klein, statt offen über Freuden zu reden. Bei Gesprächen über Sex musste man früher aufpassen, dass der Pfarrer nichts erfuhr und einem das Leben im Dorf erschwerte – heute dagegen ist immer die Gefahr da, dass irgendwo eine grässliche Megäre sitzt, die ihr Leid als Opfer der Systems nutzt, um im Kiez angemessenes Mitleid und einen angenehmen Job nach ihren Wünschen einzufordern. Früher musste der Reiche der Kirche viel vermachen, heute tut er das nicht, aber er lässt sich vom Recht der Ärmeren unterdrücken, und schweigt. Verheimlicht. Stimmt vielleicht sogar mit ein in den Chor der Kapitalismuskritiker und Vermieterfeinde. Da drüben sitzt doch diese Frau R., die bei der SED KPD PDS Die Linke im Bundestag arbeitet und deren Mann in Kreuzberg ein Blog gegen Gentrifizierung betreibt – also Profil flach halten, die anderen tun es doch auch und kaufen nur Bio, weil es ihr Beitrag zur Bewahrung des Planeten und des Uckermärker Bauern und der französischen Gänseleberstopferin ist.
Das ist eine elende Schweigespirale, ein Unterbietungswettlauf nach unten, und das alles aus der Angst heraus, jemand könnte etwa auf die Idee kommen, man geniesse seine Privilegien und wünschte die anderen dorthin, wo sie mit ihren eigenen Restprivilegien nicht stören. Hartz IV ist der Schreckensbegriff, die Geissel, mit der man unsereins Mores einpeitschen und die Stimme senken lassen will, und deshalb fordere ich hier, dass es weg muss.
Wir könnten es ja in bedingungsloses Grundeinkommen nennen und einen Marketingetat draufpacken, mit dem wir alle hungrigen Twitterer mit mehr als tausend Followern beauftragen, das toll zu finden. Dann werden sie auch von der Süddeutschen Zeitung gefunden, und dort schreiben sie dann, dass es ihnen dank der segensreichen Entscheidung im Bereich der sozialen, hören Sie, sozialen Medien viel besser geht. Eine hochqualifizierte Studentin kommt in den Medien nun mal besser an als Zigtausende im Osten, die nie diesem Schicksal entgehen werden.
Und falls das alles immer noch zu teuer ist, könnten wir es wenigstens in iVhartz umbenennen? iPhone, iPad, iVhartz. Klingt doch gleich ganz anders und wer das hat, kann sich auch nicht beschweren, wenn andere über den Farbabgleich von Barockgemälde und Seidenvorhang reden. NATURseide natürlich. Von schon ausgeschlüpften Maden. Wir achten schliesslich auf den Planten und den sozialen Ausgleich.