„Fangen Sie schon wieder an? Ist doch Politik,
hat doch mit Gewissen nichts zu tun.
Grundgesetz, ja Grundgesetz, ja Grundgesetz,
Sie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz
sagen Sie mal, sind Sie eigentlich Kommunist?“
Franz Josef Degenhardt, Befragung eines Kriegsdienstverweigerers
Sehen Sie, ich bin ganz sicher keine Kommunistin. Ich habe vielmehr mittlerweile eine vehemente Ablehnung gegenüber Ismen aller Art entwickelt. Kommunismus, Feminismus, Katholizismus: Alles nichts für mich, das sind Denkkorsette, und das möchte ich nicht. Die zwicken und lassen einen nicht frei atmen, das kann nicht wirklich gesund sein. Ich schaue mir das alles gerne an, ich bin ja relativ weltoffen, und manches mag auch zutreffend sein, da lerne ich dann gerne hinzu. Ich lasse mich mit Freude eines Besseren belehren. Hat jemand gute Argumente und muss ich nach Würdigung der Tatsachen anerkennen, dass ich mit meiner Behauptung im Unrecht war, ist das vielleicht nicht unbedingt ruhmreich. Dafür aber meist lehrreich. Manche Leute lernen halt gern, andere haben gern recht. Die gerne recht haben sind nach meiner Erfahrung tendenziell die mit den Ismen. Sobald ein Ismus sich an ein Wort hängt, ist es eigentlich dahin. Weil Ismen aus Worten und Ideen Ideologien machen. Und mit Ideologien habe ich grundsätzlich so meine Probleme.
Kommen Sie mir jetzt nicht mit Humanismus. Denken Sie doch mal an den „realen Humanismus“ und seine Errungenschaften in der früheren DDR, dann wird klar, was ich meine, wenn ich sage: Ismen tun auch der besten Idee keinen Gefallen. Und trotzdem habe ich heute beim Frühstück dieses Lied von Franz-Josef Degenhardt angehört. Nicht, weil ich an der Stelle weltanschaulich verklärt wäre, sondern weil ich die süffisant-boshafte Art mag, mit der es ihm singend gelingt, die Abseitigkeit der Argumentation des sich in der komfortablen Position des nicht-betroffen-Seins des den Kriegsdienstverweigerer befragenden Kammervorsitzenden aufzuzeigen. Man kennt eine solche Diskussionskultur heutzutage auch noch: von radikalfeministischen Veranstaltungen und der CSU beispielsweise.
Das Liedchen ist älter als ich, aber ich kann mich erinnern, dass ich auch noch mit Leuten zu tun hatte, die sich um die Möglichkeit, den Kriegsdienst zu verweigern, ernsthaft sorgen mussten. Die wollten aus welchen Gründen auch immer nicht zum Bund, und ich konnte das verstehen, war als Mädchen damals jedoch nicht betroffen und habe mich deswegen nicht weiter mit dem Thema befasst. Mittlerweile dürfen auch Frauen Wehrdienst ableisten, und wer eben nicht möchte, muss – ungeachtet des Geschlechts und natürlich unter Vorbehalt – nicht gegen seinen eigenen Antrieb etwas tun, das er oder sie nicht möchte. Es hat sich einiges im positiven Sinne verändert, und vielleicht möchten Sie mir insofern zustimmen, als dass es begrüßenswert und grundsätzlich erfreulich ist, wenn Eingriffe des Staates in gewisse Grundrechte, die in der Frage des Wehrdienstes durchaus berührt und auch nicht unerheblich beschnitten wurden, unterbleiben. Ich nehme an, Sie schätzen beispielsweise die Unverletzlichkeit ihrer Wohnung oder die Freiheit der Berufswahl auch sehr.
Der besagte Vorbehalt bei der Aussetzung der Wehrpflicht hat etwas mit der Bedrohungslage zu tun, die betrachtet man nämlich seit 2011 als so entspannt, dass man darauf verzichtet, junge Menschen – zur Not mit sanftem Zwang, es gab ja in der Historie des Wehrdienstes die ein oder andere Abstufung in Fragen der Freiwilligkeit – zum Dienst an der Waffe in der Bundeswehr zu bewegen. Wehrpflicht, das drückt ja schon aus, dass es mit dem persönlichen Enthusiasmus der Betroffenen jetzt nicht zwingend so weit her sein musste, wie man sich das nach heutigen Maßstäben wünschen würde. Ich erinnere mich noch, von einem entfernten Bekannten in den Neunzigern mal gehört zu haben, dass er sich aus finanziellen Motiven für eine gewisse Zeit bei der Bundeswehr hatte verpflichten lassen. Er war nämlich gerade Vater geworden, und irgendwo musste das Geld ja herkommen, und beim Bund war auch mit mäßiger Qualifikation ein vernünftiges Auskommen und damit ein Leben außerhalb sozialer Sicherungssysteme zu erzielen, das mag ihn wohl zu dieser Entscheidung gebracht haben.
Dass man heute im Bereich des Wehrdienstes in der Frage nach Freiwilligkeit andere Maßstäbe anlegt als noch zu meiner Kinderzeit, finde ich uneingeschränkt erfreulich. Ich kann mir keine Situation vorstellen, in der ich gerne – egal welche Arbeit – in einer Armee dienen möchte, und das hat wirklich mannigfaltige Gründe, vornehmlich solche, die in meinem ganz persönlichen Moralempfinden begründet und damit für andere, die vielleicht gerne in einer Armee dienen oder schlicht weniger zimperlich sind, nicht maßgeblich sein können. Hätte ich einen Sohn, ich würde eindringliche Appelle an ihn richten, nicht zur Bundeswehr zu gehen, weil ich es ganz privat für falsch halte. Ich würde wohl meine Erziehung im Großen und Ganzen darauf ausrichten, ihn nicht zu einem Menschen heranwachsen zu lassen, für den der Soldatenberuf die Erfüllung seiner Karriereträume ist. Es würde mir das Herz zerreißen zu wissen, dass mein Kind im Zweifelsfalle auf Befehl Menschen tötet. Denn ich halte das Töten anderer Leute für etwas, das unter annähernd allen Umständen zu vermeiden ist. Außerdem finde ich es höchst unattraktiv, Befehle auszuführen. Nennen Sie mich ruhig ein einfach gestricktes Weichei, das überdies von Politik keine Ahnung hat. Ich sehe das eben so, nach gründlicher Überlegung, da darf ich Sie beruhigen.
Ich sehe es aber auch so, dass es mir nicht anstünde, einem eventuellen Sohn den Gang zum Militär zu verbieten. Weil ich nämlich auch freiheitsliebend bin, und das heißt eben, andere Leute ihre eigenen Fehler machen Entscheidungen treffen zu lassen. Und letztlich ist der Beruf des Soldaten ja nach unseren Gesetzen nicht sittenwidrig. Was, das möchte ich an der Stelle gerne in Erinnerung rufen, auch für Prostitution gilt.
Entsprechend war ich sehr überrascht, als ich im Spiegel las, dass im Zuge der Einführung des sogenannten Prostituiertenschutzgesetzes der 13. Artikel des Grundgesetzes für Angehörige meiner Berufsgruppe eingeschränkt werden soll. Erstens sollen Sexarbeitende nicht mehr in ihren Arbeitsräumen übernachten dürfen, und zweitens sollen wohl damit ihre Wohnräume nicht mehr geschützt sein, weil man ja überprüfen muss, ob dort auch gearbeitet wird. Um ehrlich zu sein, in einem Raum, zu dem „Polizei und Behörden wie Gesundheitsämter…“ jederzeit Zutritt haben, möchte ich auch gar nicht schlafen. Ich könnte das vermutlich auch nicht, ich bin nämlich zart besaitet und würde mich in einer solchen Situation unsicher und ausgeliefert fühlen und kein Auge zu tun. Läge ich da so und könnte nicht schlafen, weil ich ständig um meine Privatsphäre fürchtete, ich meditierte unter Umständen über das Wort Tugendterrorismus und darüber, was es mit Menschen macht, wenn sie nichtmal mehr in ihren eigenen vier Wänden davon ausgehen dürfen, in Frieden gelassen zu werden.
Davon ausgehend, dass es einen Konsens darüber gibt, dass Grundrechte, die das Grundgesetz gegenüber dem Staat sichern soll, für jeden gelten sollten, finde ich die geplante Einschränkung von Artikel 13 GG schon ein starkes Stück. Sie erinnern sich: Die Tätigkeit von Sexarbeitenden wird vom Gesetzgeber nicht mehr als sittenwidrig betrachtet und ist völlig legal. Theoretisch.
In Deutschland gibt es nämlich mehr oder weniger keine Stadt ohne Sperrbezirk, in dem Sexarbeit verboten ist. Ein flächendeckendes Verbot besteht grundsätzlich für alle Gemeinden unter 20.000 Einwohnern, bis 50.000 Einwohner können (und tun das natürlich) Gemeinden Prostitution ganz oder teilweise untersagen, ab 50. 000 Einwohnern gibt es dann per Sperrgebietsverordnung in aller Regel eine dunkle Ecke in einem Industriegebiet, in der wir die völlige Legalisierung und Anerkennung unserer Tätigkeit genießen und ein Zimmer mieten können. Dass die teilweise unverschämten Mieten mit der Verknappung des Raumes, in dem man legal arbeiten kann, einhergehen halte ich jetzt nicht für einen Schluss, der allzu komplexe Gedankengänge voraussetzt.
Nein, ich bin nicht dafür, Großbordelle neben Kindergärten zu stellen, ich finde auch nicht, dass man in der weiterführenden Schule lernen sollte, einen Puff für alle einzurichten, aber für ein moralinsaures faktisches Berufsausübungsverbot unter dem Deckmäntelchen regionaler Sonderverordnungen, die kaum ein Mensch mehr durchschaut, kann ich mich auch nicht erwärmen.
Zusätzlich zu den Kosten, die eine – ich nehme mir ein Beispiel am oben besungenen liberalen und zuvorkommenden Kammervorsitzenden und mache es mal plastisch – , hochmobile und herumreisende migrantische und unter hohem Erwerbsdruck stehende Sexarbeiterin mit in der Heimat zu versorgender Familie hat, wenn sie gesetzeskonform überteuerten, weil in nicht unerheblichem Maß in den Händen windiger Gestalten einiger von mir nur wenig geschätzter Großbordelliers befindlichen legalen Arbeitsraum anmietet, darf sie jetzt auch noch ein extra Hotel bezahlen. Für sich ganz privat. Für nach der Arbeit. Wenn sie nachts um zwei oder drei aus dem Puff kommt und freilich große Lust hat, im Industriegebiet herumzulaufen. Sie wird sich wohl oder übel ein Taxi nehmen und zu ihrem Schlafzimmer fahren. Um dann zum Mittagsläuten, selbstverständlich nach weiteren Extrakosten für den late checkout, wieder ins Sperrgebiet zu gondeln, weil sie im Hotel nicht bleiben kann, ohne eine zweite Nacht zu bezahlen. Und zur Krönung darf sie dann mit dem Finanzamt zu diskutieren, ob die Hotelkosten für das private Zimmer absetzbar sind. Mit mangelhaften Deutschkenntnissen ist das sicher die reine Freude. Aber vielleicht hat der Bordellbesitzer ja auch einen Anwalt oder Steuerberater an der Hand, die meine migrantische Kollegin beraten können, die offizielle Anmeldung als freiwillige und selbstbestimmte Prostituierte und sichere Verwahrung des Hurenausweises samt Nachweis über die erfolgte Gesundheitsberatung übernehmen die Herrschaften ganz gewiss auch gerne.
Denken Sie an mich, wenn in ein, spätestens zwei Jahren die sympathischen und freundlichen Großbordelliers neben ihren Puffs hässliche aber funktionale Hotels hochgezogen haben und von den dann endlich optimal geschützten Huren noch eine zünftige Summe pro Übernachtung abkassieren. Mehrwertsteuerbegünstigt, wohlgemerkt. Wenn Sie etwas Geld übrig haben und als Hotel nutzbare Immobilien in der Nähe von Puffs kaufen können, tun Sie das jetzt. Es ist eine solche Investition auch moralisch nicht zu beanstanden, dient sie doch dem Schutz der ausgebeuteten Frauen in der Prostitution.