Aus Gründen der sozialen Repression sind die Bilder aus der Würzburger Residenz.
Niemand auf diesem Erdenrund erfährt so viel Sympathie und liebevolle Darstellung in den Medien wie der entmietete Kreative, der der Gentrifizierung weichen muss, und angeblich hat das überhaupt nichts damit zu tun, dass wir da etwa einen Akt der finstersten Lobbyarbeit sehen: Natürlich sind die Autoren solcher Sozialschmonzetten selbst in prekären Mietverhältnissen und haben Angst, aus der Wohnlage, die ihre Anwesenheit trotz ihrer nicht normschönen Erscheinung erst so schick gemacht haben soll, wieder verdrängt zu werden. Sie haben ein Motiv, solche Geschichten zu schreiben, aber auch beste ethische Gründe, kaum schlechter als die zum Bau neuer Atomkraftwerke: Zuerst kommen Studenten und Kreative, dann Gutverdiener, dann Spekulanten aus München und letztlich diejenigen, die genau jenen Flair mit urinierten Matratzen am Strassenrand und Geschlechtsverkehr im Hausgang um 4 Uhr Morgens suchen, den sie nun aber selbst mit dickem Auto und dickem Scheck ruinieren.
Heute Abend findet in Berlin wieder eine Lesung von Betroffenen statt, und weil ich da leider nicht teilnehmen kann – ich muss gerade die Hausabrechnung für meine Münchner Bestlagenliegenschaft machen – habe ich mir gedacht, ich schreibe hier mal ein Stück reine Fiktion. Ich kenne solche Geschichten zwar aus Regensburg, Nürnberg, München und vermutlich gibt es sie auch in Stuttgart und Baden-Baden. Ich will auch nicht ausschliessen, dass man in Leipzig ähnlich verfährt. Aber in Berlin habe ich so etwas in der Art nur einmal erlebt, und die betreffende junge Dame ist nicht kreativ, sondern bodenständig und aus Buxtehude, was mich erstaunt hat, denn früher dachte ich immer, dass man im Norden diesen Ort erfunden hätte, um Bayern zu tratzen. Buxtehude gibt es aber wirklich und das Mädchen auch, nur ist sie mit ihrem festen Einkommen nicht typisch für jenes Publikum, das in aller Regel bei solchen Lesungen mit der Flasche in der Hand erscheint. Aber man wird ja wohl noch von einer menschenfreundlichen Entmietung des besten, nettesten und angenehmsten Menschen, nämlich einem selbst, träumen dürfen. Erfinden wir also eine holde Maid Gerlinde, die aus welchen Gründen auch immer in Berlin gelandet ist. Stellen Sie sich also meine Wenigkeit gewaschen und im HAZMAT-Anzug – mein Klassismus ist ansteckend – auf einer Bühne im Reichshauptslum vor, wie ich da nicht nur den üblichen Jammer, sondern Erbauliches lese:
Gerlinde entmietet sich – eine unwahre Geschichte.
Es war einmal für sieben Jahren ein Slum, in dem es sehr billige Wohnungen zum kaufen gab. Dort lebte die holde Gerlinde von einer ganz ordentlichen Anstellung. Natürlich hat Gerlinde gelesen, dass es eine Gentrifizierung gibt. Sie hat es auch selbst gemerkt, als irgendwann der Brauch aufhörte, in die nächstbilligere Wohnung zu ziehen und die alte Nebenkostenabrechnung zu ignorieren, so wie das früher war. Irgendwann verschwanden diese billigeren Wohnungen, und plötzlich konnte man nicht mehr so einfach den Vermieterforderungen durch Wegzug entgehen. Das war so richtig doof. Sagten auch alle im Freundeskreis und wedelten mit ihren iPhones, auf denen der neueste Beitrag von Andrej Holm stand, der als Gentrifizierungsexperte herumgereicht wird.
Allerdings stellte sich dann heraus, dass die erzwungene Begleichung von Nebenkostenschulden keinesfalls ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist, und der Teil des Mietvertrages, der Schönheitsreparaturen verlangt, auch eingehalten werden muss. Gerlindes beste Freundin Dorte-Josepha etwa wurde vom Vermieter gezwungen, ihr phantastiches Wandbild beim Auszug zu entfernen, ja, zu zerstören. So geht man mit Student_Innen der UdK nicht um, aber auch die Androhung eines Vermieterwatchblogs hat nichts geholfen: eine drei mal fünf Meter grosse, aktionskünstlerisch angebrachte Vulva musste übermalt werden. Und weil Gerlinde damals half – ohne Kautionsrückzahlung hätte Dorte-Josepha wieder nach Greifswald ziehen müssen – machte sie sich beim Pinseln schon so ihre Gedanken. Zuerst kommen die Kreativen und ziehen gerechterweise in die Wohnungen der Alkis und Rentnerinnen, die sich das nach dem Tod des Mannes nicht mehr leisten können. So weit, so gut und moralisch richtig. Dann sind sie kreativ und nach ihnen kommen Mieter oder gar Käufer, die nicht mehr eine Vulva in Rosa-Violett mit den schärfsten Sprüchen von Laurie Penny und Jessica Valenti sehen wollen.
Dorte-Josepha zog weiter ins nördliche Neukölln, wo sie eine sozial bewegte WG in der ehemaligen Wohnung eines Migranten fand, der wegen der sinkenden Taxieinnahmen wegzog, wohin auch immer. Diese Ecke war jetzt plötzlich schick, und als Gerlinde nach der dritten Mieterhöhung selbst überlegte, ob das nicht etwas wäre, schaute sie bei Immowelt die Preise an. Virtuelles Wohnungsgucken. Was es da so alles gibt. Nur mal so interessehalber auch die Kaufangebote. Die schönen Mietwohnungen waren nach kürzester Zei weg, die Eigentumswohnungen dagegen waren noch da. Eine davon – unrestauriert, aber schon mit Heizung und vertretbarem Bad – war gut gelegen, recht gross, hatte einen Balkon und sah auch sonst nett aus. Und da kam Gerlinde dann die zündende Idee: Wenn da jetzt jeder Kreative hinzieht, geht das dort auch bald los mit der Gentrifizierung. Wo Leute wie sie mieten, kaufen dann später die Münchner.
Warum also nicht einen Schritt voraus sein, dachte sie sich und rief testweise beim Makler an. Kaufen konnte sie die Wohnung zwar nicht, aber einmal anschauen, das kostet ja nichts. Die Wohnung war wirklich nett und hatte ein schönes Licht in den alten Fenstern, die Strasse war ruhig und dennoch nicht abgelegen, und auf dem Heimweg dachte sie an die Nebenkosten, als sie eine grölende Masse der Kotti-Mietstreikenden sah. Da fühlte sie sich mit ihrer Kaufidee einen Moment nicht gut, ja sogar schäbig. Aber nach den bisherigen Erfahrungen könnte sie dort mieten. Und wäre nach vier, fünf Jahren wieder verdrängt worden. Also fragte sie ganz vorsichtig bei ihren Eltern an. Die waren heilfroh, dass es nur um eine Wohnung und nicht ein Zweitstudium Genderforschung ging und sagten zu, eine Bürgschaft anzugehen, und ihr Vater freute sich, etwas Handwerkliches tun zu können. Ihre Oma gab ihr 20.000 sauer ersparte Euro. Und die Kreditbedingungen waren gar nicht so schlimm. Schlimmer waren die Ausfälle von Dorte-Josepha gegen das Schweinesystem der Vermieter und Wohnungskäufer, denn kaum hatte sich Gerlinde durch den Termin beim Notar gezittert, geriet auch schon die sozial bewegte WG in Bewegung und die immer noch Biokäse essende Hauptmieterin wehrte sich gegen den Zangsveganismus der anderen. Dorte-Josepha zog den Kürzeren und Gerlinde dankte ihrem Erzeuger, der gerade eine neue Badewanne einbaute – so kam ihre Freundin nicht auf die Idee, sich bei ihr einzuquartieren und eine Vulva ins Parkett zu schnitzen.
Natürlich taten die Schulden weh. Wenn jeden Monat die Bank einen gewissen Betrag haben will, kann man nicht mehr auf Dispolimit leben. Das erste Jahr war wegen Rückzahlungsbeträgen brutal, die andere mit leichter Hand für Gras und Tattoos ausgaben. Darunter litt auch Gerlindes Sozialleben, und wenn die anderen über Vermieter schimpften, log sie zwangsweise mit und tat so, als würde ihr die Wohnung nicht gehören. Tut sie auch nicht, dachte sie, sie gehört zu mehr als der Hälfte immer noch der Bank. Aber so ganz stimmte das auch nicht mehr: Die Preise zogen deutlich an, und weil sie sechs Wochen im Jahr auch heimlich an Touristen vermietete – und betete, dass es keiner ihrer Freunde merkte – konnte sie jährlich 4000 Euro mehr als erwartet zurückzahlen. Die Mitarbeit am Dorte-Josephas Internetmagazin „Re_Volt – Eure Krise ist unsere Chance“ fuhr sie deutlich zurück. Die Schulden zwangen sie, nicht mehr jedes unbezahlte Projekt mit einer Arbeit zu unterstützen, die andere selbstverständlich entlohnten. Und von ihrer Oma lernte sie das Kochen mit wenig Geld, anstelle der Adressen der neuesten Veganrestaurants.
Ab und zu, mit grösser werdenden Abständen kamen Mails von Dorte-Josepha, die mittlerweile in Lichtenberg wohnte, ob sie nicht doch mal wieder Lust auf Aktionen hätte. Da wäre so eine Lesung im Wrangelkiez gegen Gentrifizierung. Gerlinde bekam aber auch eine Mail von Ferdinand. Ferdinands Eltern hatten überhaupt keine Lust, sich ihre Juristenfinger an der Gurgel eines Berliner Vermieters dreckig zu machen und hatten von Anfang an gekauft. Letzthin war sie bei ihm auf dem Balkon, und sie sprachen natürlich nicht über die Nebenkosten, sondern über die Immobilienpreise. Und dass sie eigentlich das Geschäft ihres Lebens gemacht hatte, indem sie nicht auf die Gentrifizierung gewartet hat, sondern sich gleich selbst entmietete. Ferdinand fand das gut. Das erinnerte ihn an die Hausfrauen daheim. Ihre Zielstrebigkeit imponierte ihm. Er hatte an diesem Abend Zeit und als Gerlinde mittelleichten Herzens Dorte-Josepha absagte, dachte sie eigentlich gar nicht an deren Schulden bei ihr, oder an die soziale Gerechtigkeit, sondern nur an den Wein, den Ferdinand aus Baden in Flaschen ohne Etikett bekam und das Glück, ihn an einem Ort zu trinken, den man hat, und dem einen keiner mehr nehmen kann. Was weisst denn Du eigentlich, höhnte dagegen Gerlindes Unterbewusstsein in Richtung Dorte-Josepha, Gentrifizierung und Entmietung sind super, wenn man es richtig macht – dann hat man auch einen schönen Sommerabend statt einer Lesung mit beleidigten Sozialjournalisten und Mietervolksbegehren. Gerlinde sagte dem Unterbewussten, es sollte jetzt still sein, so etwas sagt man nicht. Und schreiben erst recht nicht. Weder an Dorte-Josepha noch in der Süddeutschen Zeitung mit ihrem Themenschwerpunkt Gentrifizierung.
Natürlich wird sie einst die gerechte Strafe treffen. Wenn die Weltrevolution kommt. Und Dorte-Josepha kann ihr nicht helfen, denn wenn sie nicht gestorben ist, lebt sie bei aktuellen Gentrifizierungsgeschwindigkeit zu diesem Zeitpunkt im Sternbild der Jungfrau.